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Die Griechen haben gegen Flüchtlinge und die Regierung protestiert.

© ARIS MESSINIS / AFP

Wohin mit den Flüchtlingen in Griechenland?: „Wir haben Angst, dass es wieder so wird wie 2015“

Nach dem Generalstreik auf den griechischen Inseln will die Regierung Asylverfahren beschleunigen und EU-Gelder für Abschiebezentren beantragen.

Die Frau besitzt ein Reisebüro auf Lesbos, sie liebt ihre Insel und ihre Arbeit. Doch als kürzlich ihr Diensttelefon klingelte, bekam sie einen Schock. Ein Anruf von einem Flüchtlingsboot mitten im Mittelmeer: „Hilfe! Wir brauchen Hilfe! Helfen Sie uns!“, schrie jemand verzweifelt in gebrochenem Englisch.

Seit Jahren kommen unablässig Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten und ärmeren Ländern an. Verschleierte Frauen laufen an Touristinnen im Stringtanga vorbei, während Griechen bei einem Ouzo ihre Netze am Strand reparieren – zwei Welten.

Der Hilferuf aus dem Flüchtlingsboot geht der Frau aus der Tourismusbranche nicht aus dem Kopf. Wie die Flüchtlinge an ihre Rufnummer gekommen seien, weiß sie nicht, vielleicht im Internet gegoogelt. Jedenfalls informierte sie alle zuständigen Stellen in der Hoffnung, dass den Menschen geholfen werde.

Dann erzählt sie, wie die UN sie einmal bat, einen Bürokomplex für 40 Mitarbeiter auf Lesbos zu finden. Gibt es bei uns auf der Insel so gar nicht, sagt sie. Und wer hilft eigentlich uns? So denken viele Einheimische: „Wir sind keine Rassisten, aber wir können nicht mehr.“ Der Generalstreik Mitte der Woche war ihr Hilferuf.

„Wir haben Angst, dass es wieder so wird wie 2015“

Jetzt befürchten die Menschen auf Lesbos, dass zum Ende des Monats auch die sogenannten Transitcamps nahe den Strandortschaften geschlossen werden, wo die meisten Boote landen, und sich die Flüchtlinge dann wieder überall in den Gassen verteilen. „Wir haben Angst, dass es wieder so wird wie 2015“, sagt eine Hotelbetreiberin dem Tagesspiegel.

Auf den Inseln Samos, Leros, Lesbos, Chios leben 210.000 Einheimische – und aktuell mehr als 42.000 Flüchtlinge und Migranten. Schlafplätze, Toiletten und Duschen gibt es aber nur für 6200 Menschen. Es ist ein Elend – auch für die Griechen auf den Inseln, die in den 1980er Jahren noch weißblaue, traumhafte Zufluchtsstätten waren für alternative Rucksacktouristen.

Diese ließen sich früher den Wind an Deck der Fähren um die Nase wehen, jetzt drängen dort unter Deck, wo sonst die Autos stehen, Hunderte Migranten, immer wenn Menschen von den Inseln aufs Festland gebracht werden. „Die Fähren sehen aus wie schwimmende Flüchtlingslager“, sagt eine italienische Reporterin, die auf Lesbos recherchiert.

Österreichs Innenminister Karl Nehammer hält das Verlegen der Geflüchteten aufs Festland für einen Fehler. Dies werde nur das Geschäft der Schlepperbanden unterstützen und noch mehr Flüchtlinge auf die griechischen Inseln bringen, die letztlich nach Deutschland oder Österreich weiterreisen wollten.

Asylverfahren sollen beschleunigt werden

Griechenland war im vergangenen Jahr erneut das Hauptziel von Migranten und Flüchtlingen in Europa. Nach UN-Angaben kamen fast 60.000 von ihnen über den Seeweg und fast 15.000 über den Landweg über die Türkei. Nach umfangreichen Protesten der Lokalbevölkerung hat die griechische Regierung beschlossen, das Migrantenlager von Moria auf der Insel Lesbos sowie vier andere Lager auf den Inseln Chios, Samos, Leros und Kos bis zum Sommer 2020 zu schließen.

Die Lager sollen von Abschiebezentren ersetzt werden, die als geschlossene Anstalten organisiert werden. Asylverfahren sollen beschleunigt werden, derzeit wartet man teils Jahre. Wer keine Aussicht auf Asyl hat, soll in die Türkei abgeschoben werden. Dies hatte die EU mit der Türkei 2016 vereinbart.

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis will zusätzliche EU-Mittel zur Bewältigung der Flüchtlingskrise beantragen. „Wir brauchen europäische Hilfe für den Bau neuer Flüchtlingsunterkünfte auf den Inseln, um die bestehenden Lager zu ersetzen, die eindeutig sehr problematisch sind.“

„Wir haben auch Menschenrechte“

„Wir warten ab, was in der Realität passiert“, sagte dazu der Bürgermeister von Vathy auf Samos , Giorgos Stantzos. Die Regierung in Athen hatte bereits 2019 die Schließung der Lager angekündigt. „Bislang ist nichts geschehen.“ Klar ist: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Immer wieder gibt es in den Camps Ausschreitungen und Tote.

Die Menschen auf Samos sind verzweifelt, Flüchtlinge wie Einheimische. Griechen werden Schafe und Hühner aus den Gärten gestohlen. „Wir können diese Situation nicht mehr ertragen. Wir haben auch Menschenrechte“, sagte Stantzos. In der Region um Vathy sind zurzeit 7100 Flüchtlinge untergebracht.

Ständig mahnen Menschenrechtler der EU, der UNO, einzelner europäischer Länder: Die Lage in den Slumcamps mit Gewalt, Prostitution, traumatisierenden Situationen für Kinder, mehr als 4000 unbegleiteten Minderjährigen, teils von den Eltern für den Familiennachzug vorgeschickt, sei inhuman. Das Bundesland Brandenburg hat jetzt erste Kinder und Jugendliche aufgenommen.

EU-Türkei-Abkommen in Gefahr?

Migrationsforscher Gerald Knaus sieht das 2016 von ihm mitentwickelte EU-Türkei-Abkommen in Gefahr. „Wenn nicht bald etwas passiert, wird dieses Abkommen nicht an der Türkei scheitern, sondern am Unvermögen der EU“, sagte er laut einer KNA-Meldung. Die Türkei hat aber schon mehr als fünf Millionen Flüchtlinge im Land. Athen will in 2020 bis zu 20000 Flüchtlinge von den Inseln von Westen zurück in die Türkei schicken – aus Syrien kommen aus dem Süden neue Flüchtlinge nach.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zugesichert, Deutschland wolle die griechische Küstenwache stärken. Griechen sagen, man müsste doch den Schleppernetzwerken in der Türkei das Handwerk legen, die offensichtlich über Internetseiten und Moneytransfers arbeiten.

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