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Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen bei den Protesten in Hong Kong.

© Reuters

Proteste für mehr Demokratie: Hoffnung auf ein Wunder in Hongkong

Hongkong ist gespalten zwischen Befürwortern und Gegnern der Proteste. Ein Zufall kann die Balance kippen. Das größte Risiko ist nicht gezielte Eskalation, sondern dass die Lage ungewollt außer Kontrolle gerät. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Ein schmaler Grat liegt zwischen Triumph und Tragödie in Hongkong. Da ist noch das Beste, was man über die Zuspitzung sagen kann: Die Demonstranten wissen, wie prekär die Lage ist. Sie handeln friedlich, verantwortungsbewusst, diszipliniert. Damit haben sie viele Herzen gewonnen, in der Stadt und der Welt. Einen klaren Weg zum Erfolg kann jedoch niemand weisen. Das sprechen die Protestierer offen aus. „Glauben Sie, dass der Chief Executive zurücktritt und China freien Wahlen zustimmt?“ – „Nein.“ – „Sie harren dennoch aus?“ – „Ja. Manchmal geschehen Wunder.“

Die Hongkonger denken an Erfolge - und ans Massaker vom Tienanmen

Die Hongkonger haben den Erfolg gemeinsamen Aufbegehrens 2012 im Kopf, als sie mit Massendemonstrationen die Einführung des Propagandafachs „National Education“ in den Schulunterricht verhinderten. Und die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989. An jedem 4. Juni gedenkt die Stadt der Opfer.
Das Datum zeigt, von wie vielen Faktoren der Ausgang eines solchen Kräftemessens abhängt: Entschlossenheit und Geschlossenheit, Rückhalt in der Gesellschaft, Kultur und Zufälle. Am 4. Juni 1989 gab es die erste freie Wahl in Polen, die erste seit Jahrzehnten im damaligen Ostblock, erkämpft durch jahrelanges Aufbegehren. Dort geschah das „Wunder“ unblutigen Machtwechsels und wiederholte sich alsbald in Ungarn, der DDR, der Tschechoslowakei, dem Baltikum. In Peking floss am selben Tag Blut.

Die Hongkonger haben es weder mit einer Imperialmacht im Niedergang zu tun, wie es die Sowjetunion 1989 war. Noch mit einem Gegner, der ohne Rücksicht schießen lassen kann. China will als verlässlicher Partner gesehen werden und bemüht sich, Verträge wie den über die Rückgabe der britischen Kronkolonie 1997 einzuhalten. Zugleich will die KP ihr Machtmonopol sichern. Die zugesagten freien Wahlen verzögert sie seit 17 Jahren. Nun versucht Peking für die Wahl des Stadtoberhaupts 2017 einen faulen Kompromiss: Jeder Hongkonger darf wählen – aber nur unter zwei bis drei Kandidaten, die ein China-treues Wahlkomitee absegnet. Das wäre keine freie Wahl.

Wer "Chaos" auslöst gilt als Schädling

Wie geschlossen ist die Bewegung? Die Studentenführer begannen mit Straßenprotesten mehrere Tage vor dem von „Occupy“-Führer Benny Tai avisierten Datum. Sie blockierten den Verkehr, was Tai vermeiden wollte aus Sorge, Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Da kommt die Kultur ins Spiel. Wer den finanziellen Erfolg der Stadt gefährdet, wer Gewalt und „Chaos“ auslöst, gilt als Schädling. Umgekehrt gewinnt die Bewegung Sympathien, wenn die Staatsmacht Tränengas oder Knüppel einsetzt. Hongkong ist gespalten zwischen Befürwortern und Gegnern der Proteste. Ein Zufall kann die Balance kippen: ein Mensch, der von einem Einsatzfahrzeug überfahren wird, und der Bewegung einen Märtyrer gibt. Oder ein Demonstrant, der die Nerven verliert, Staatsvertreter angreift und einen mehrheitlich akzeptierten Grund zum Durchgreifen liefert. Das größte Risiko ist nicht gezielte Eskalation, sondern dass die Lage ungewollt außer Kontrolle gerät. Es fehlen Gesprächskanäle zwischen der Protestbewegung und der Führung in Peking. Vermittlung von außen ist schwierig. Hongkong ist Teil Chinas, Peking wird Einmischung nicht dulden. Großbritannien hat aber als Vertragspartner des Abkommens über Hongkong eine Wächterfunktion. Die Kanzlerin kann bei den Regierungskonsultationen Besorgnis äußern und auf Gewaltverzicht dringen. Damit ein Wunder möglich bleibt.

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