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Die Proteste in Brasilien dauern an - obwohl der Auslöser, die Fahrpreiserhöhungen, behoben ist. Die Erhöhungen sollen nicht kommen.

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Update

Proteste in Brasilien: Umstrittene Fahrpreiserhöhungen auf Eis gelegt

Die Proteste in Brasilien entzündeten sich an Fahrpreiserhöhungen, die angekündigt worden waren. Sie sind mittlerweile verschoben, doch im Land kehrt einfach keine Ruhe ein. Auch in der Nacht kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten, es gab auch Verletzte.

Nach Massenprotesten im ganzen Land haben die brasilianischen Metropolen São Paulo und Rio de Janeiro die kritisierten Fahrpreiserhöhungen für den öffentlichen Nahverkehr zurückgenommen. Der Gouverneur des Bundesstaates São Paulo, Geraldo Alckmin, und der Bürgermeister von Rio, Eduardo Paes, verkündeten die Entscheidung am Mittwoch vor Journalisten.

Ungeachtet dessen demonstrierten auch am Mittwoch wieder Tausende für ein gerechteres Land. Schon am frühen Morgen blockierten mehrere Hundert Menschen an verschiedenen Stellen Einfallstraßen in die Metropole Sao Paulo. Rund um die Millionenstadt Belo Horizonte besetzten Protestierer die Bundesstraße BR 40. In Fortaleza kam es vor dem Fußballstadion, in dem am Nachmittag das Confederations-Cup Spiel zwischen Brasilien und Mexiko stattfinden sollte, zu Auseinandersetzungen zwischen mehr als 15000 Demonstranten und der Polizei.

Bereits am Dienstagabend waren in Sao Paulo rund 50000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Fahrpreiserhöhung für städtische Busse sowie zahlreiche andere Missstände im Land zu demonstrieren. Wieder war darunter eine randalierende Minderheit, die versuchte, ins Rathaus einzudringen. Als dies nicht gelang steckten sie einen Übertragungswagen des Fernsehens und Bankfilialen in Brand. Auch Geschäfte wurden geplündert. Der Großteil der Demonstranten distanzierte sich von den Randalierern unter denen man neben radikalen Linken auch eingeschleuste Provokateure vermutet. Auch in 30 kleineren Ortschaften demonstrierten am Dienstagabend wieder Tausende für ein anderes Brasilien.

Die landesweite Protestwelle hatte am Montag begonnen, als in Dutzenden Städten mindestens eine Viertelmillionen Menschen auf die Straße gegangen waren, allein in Rio de Janeiro waren es konservativen Schätzungen zufolge 100000. Mittlerweile solidarisieren sich nicht nur berühmte Musiker wie Caetano Velos oder Marisa Monte mit den Demonstranten, sondern auch die Fußballer der Nationalmannschaft. Der Star des Teams, Neymar, schloss sich seinen Kollegen Dani Alves, Hulk, David Luiz und Dante an. Er sagte: „Auch ich will ein gerechteres, sicheres, gesünderes und ehrlicheres Brasilien.“

Die Grafik zeigt die Orte der Proteste und ihre geschätzte Teilnehmerzahl.
Die Grafik zeigt die Orte der Proteste und ihre geschätzte Teilnehmerzahl.

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Die Politik reagiert nun verständnisvoll bis demütig auf die Proteste, die in diesem Ausmaß niemand erwartet hatte. São Paulos Bürgermeister Fernando Haddad kündigte eine Rücknahme der Preiserhöhungen für Bustickets an. Die Präfekten in zehn weiteren brasilianischen Städten, darunter neun Landeshauptstädte, wollen es ihm gleichtun. Rios Bürgermeister Eduardo Paes will sich vor einer Entscheidung mit den Demonstranten treffen. Dabei ist unklar, wen er meint, denn die Proteste finden spontan statt. Sie haben keine Repräsentanten.

Zudem richten sich die Demonstranten mittlerweile nicht mehr nur gegen hohe Bustickets, sondern gegen die Milliardenausgaben für die Fifa-Fußball-WM, die verbreitete Korruption in Politik und Wirtschaft sowie die frappierende Ungleichverteilung des Wohlstands. Die Hauptforderung der Demonstranten lautet: Unsere Steuern sollen für Bildung, Gesundheit, öffentliche Sicherheit und bessere Transportnetze ausgegeben werden.

Am ehesten scheint dies Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff verstanden zu haben. Sie versprach am Dienstag, dass die „Stimmen der Straße“ gehört würden. Ihre Regierung habe Millionen aus der absoluten Armut geholt und die Mittelklasse vergrößert. Nun hätten die Menschen das Recht, mehr zu fordern. Auch die großen Medienhäuser des Landes vollzogen nach den Massendemonstrationen Kurskorrekturen. Anstatt nur Bilder von Ausschreitungen am Rande zu zeigen, beschäftigt man sich nun auch mit den Motiven der Demonstranten.

Für Donnerstag sind in Dutzenden brasilianischen Städten weitere Proteste geplant. In Rio will man eine Million Menschen auf die Straße bringen. Der Marsch soll zum Maracana-Stadion führen, wo zeitgleich das Confederations-Cup-Spiel zwischen Spanien und Tahiti stattfindet. Zum Schutz dieses sowie anderer Spiele des Turniers, das völlig in den Hintergrund gerückt ist, hat die Regierung Truppen der Spezialeinheit Força Nacional entsandt.

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