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15.000 Menschen demonstrierten am Montag in Dresden mit der Bewegung "Pegida".

© Reuters

Proteste wie Pegida im digitalen Zeitalter: Wutbürger auf der kommunikativen Einbahnstraße

Die Forderung nach Dialog läuft ins Leere, wenn es um Phänomene wie Pegida geht. Vielen Wutbürgern kommt es wie im Internet nur aufs Posting an - an Resonanz sind sie nicht interessiert. Ein Gastkommentar.

Es ist ziemlich ruhig geworden im Gida-Land. Aktuell produziert Pegida nur noch damit Schlagzeilen, als rechte Formation in Landtage einziehen zu wollen. Dabei hatte man vor ein paar Monaten noch den Eindruck, es gäbe kein dringlicheres Anliegen in Deutschland, als die vermeintliche Islamisierung des sächsischen Abendlandes zu diskutieren.

Doch ging es bei Pegida wirklich darum? Während sich in der ganzen Republik schnell Ableger von Ba- bis Bogida bildeten, deren Größe sehr überschaubar blieb und meist nur einen weiteren Versammlungsanlass für die lokalen üblichen Verdächtigen bot, zog das Original in Dresden am Anfang Montag für Montag ein deutlich größeres, heterogenes Publikum aus allen Altersschichten an – bevor es schließlich auch dort das Schicksal der anderen Gidas ereilte.

Wutbürgers Paradies zwischen Elbe und Zwinger

Die mediale Aufmerksamkeit war kurzzeitig enorm. Eine selbsternannte Pegida-Sprecherin durfte sich sogar am Sonntagabend bei Günther Jauch erklären – und offenbarte doch nur, dass eine Sprecherin nicht zwangsläufig Talent fürs Sprechen mitbringt. Der Zuschauer rätselte derweil weiter, worum es Pegida eigentlich geht. Ein genauere Analyse der Pappschilder und Meinungsaussagen im Demonstrationszug zeigte denn auch, dass nicht nur muslimische Flüchtlinge Anlass des Protests waren. Die Bandbreite der Forderungen war immens: gegen PKW-Maut, Maidan-Revolution, GEZ, Lügenpresse, steigende Mieten, Steuern, gegen Parteien und etablierte Politik. Wutbürgers Paradies lag zwischen Elbe und Zwinger!

Viele Kommentatoren übersahen dabei, dass Pegidas zwischenzeitlicher Erfolg genau darauf beruhte, dass es kein wirkliches gemeinsames Ziel gab. Im Gegensatz zu anderen Protesten wie etwa gegen Stuttgart 21, gab es bei Pegida keinen konkreten Forderungskatalog, sondern lediglich einen diffusen Plattformgedanken, der den Protest gegen alles Mögliche erlaubte. Individuelle Befindlichkeiten waren der Treiber, die vereinende Gegen-die-da-oben-Haltung der soziale Kitt dieser Ad-hoc-Bewegung – Trendforscher würden wohl von „Crowdprotesting“ sprechen.

Pegida war digital eingeübte Kommunikation, die nun analog kanalisiert wurde. Oder anders gesagt: der erste Straßen-Shitstorm der Republik! Als Kommentarfeld diente nun ein Pappschild. Eine spontane Kanalisierung genereller Unzufriedenheit mit der etablierten Politik, die von der Tendenz digitaler Systeme zur raschen emotionalen Selbstaufschaukelung profitierte. Soziale Netzwerke erleichterten dabei die Mobilisierung – wobei in diesem Fall die digitale Welt als Bühne nicht genug war.

Dialog scheint kaum möglich

Die fast schon reflexartige Forderung einiger Wissenschaftler und Politiker nach einem Dialog muss man kritisch hinterfragen. Denn einem derartigen Versuch dürfte bei Pegida – um im Bild zu bleiben – ähnlich viel Erfolg beschieden sein wie dem Unterfangen, einen Troll im Online-Forum von der eigenen Meinung zu überzeugen. Fundamentaler technologischer Wandel zieht auch immer einen ebenso starken sozialen Wandel nach sich. Gesellschaftliche Kommunikation und die Struktur des Öffentlichen ändern sich grundlegend. Auch die Digitalisierung bringt hier ihre ganz eigene Veränderungslogik mit.

Wer "Lügenpresse" ruft, ist von vornherein nicht an einer Diskussion interessiert, weil eine Diskussion ohne die Medien nicht stattfinden kann. Es gab von Seiten Pegidas kein Gesprächsangebot, weil die "Bewegung" darauf ausgerichtet war, sich zur größeren Öffentlichkeit hin abzuschotten.

schreibt NutzerIn FabMax

Dazu gehört auch die von der Politikwissenschaft so genannte „Verflüssigung der Politik“. Dieser Fachbegriff erlangte auch außerhalb akademischer Kreise Bekanntheit, als die Piratenpartei zu einem Zeitpunkt, als sie noch ausreichend Mitglieder für viel Feedback hatte, die Meinungsbildungs-Software „Liquid Feedback“ zu nutzen begann.

Shitstorms sind selten nachhaltig

Heraklits Pantha rhei, alles fließt, ist also aktueller denn je: Die öffentliche Meinung bekommt eine größere Schwankungsbreite, etablierte Politik- und Partizipationsformen werden in Frage gestellt. Die politische Teilhabe selbst wird unverbindlicher, spontaner und unberechenbarer. Meinungen und Programme werden zunehmend durch Emotionen ersetzt – Guttenberg-Hypes, Online-Pranger und Skandalisierung sind die Folge.

Protest ist politische Kommunikation und Partizipation zugleich. Bei Pegida wird er jedoch zur kommunikativen Einbahnstraße. Denn eine solche Form der Gruppenkommunikation orientiert sich an der digital eingeübten Gewohnheit, einen Beitrag in die öffentliche Sphäre zu posten, und dann zu schauen, ob er Likes oder sonstige Resonanz bekommt. Ein Dialog kommt dabei nur zustande, wenn der ursprüngliche Absender des Postings bereit ist, auf die Reaktionen zu antworten – und wenn er überhaupt weiß, was er antworten soll. Doch wo kein echtes Programm, da keine Antwort und auch keine Aussicht auf langfristigen Erfolg.

Die Erfahrung zeigt: Shitstorms sind selten nachhaltig, sie verschwinden meist genauso schnell wieder, wie sie gekommen sind. Die Politik sollte sich jedoch darauf einstellen. Die nächste Versammlung der Unzufriedenen im Land kommt bestimmt – spontan, ein bisschen unvorhersehbar und hoffentlich begleitet von weniger medialer Hysterie.

Christian Grünwald ist Politikwissenschaftler und Kreativdirektor bei der Kommunikationsagentur Zum goldenen Hirschen in Köln.  Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder. 

Christian Grünwald

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