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Politik: Prozess gegen KZ-Wärter Demjanuk könnte bald eröffnet werden

Zentrale Stelle Ludwigsburg hält Ermittlungen für abgeschlossen / 1,3 Millionen Deutsche werden seit Kriegsende noch vermisst

Berlin/Ludwigsburg - Der Zweite Weltkrieg wirft auch 63 Jahre nach seinem Ende noch lange Schatten. Auch die juristische Aufarbeitung der NS-Gräuel ist längst nicht abgeschlossen. Bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg sind noch immer 22 Ermittlungsverfahren anhängig, sagt dessen Leiter Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm. Allein im vergangenen Jahr seien 32 Verfahren neu eingeleitet und 33 abgeschlossen worden. Der wichtigste Fall 2008 war nach Schrimms Einschätzung der des ehemaligen KZ- Wärters John Demjanjuk. Die deutschen Ermittler werfen dem heute 88-Jährigen Beihilfe zum Mord in 29 000 Fällen vor. Nach ihren Ermittlungen soll der gebürtige Ukrainer von März bis September 1943 SS-Wachmann im NS-Vernichtungslager Sobibor in Polen gewesen sein. Demjanjuk war 1952 in die USA ausgewandert. Dort kämpft er gegen seine Ausweisung, nachdem ihm die US-Staatsbürgerschaft aberkannt wurde. „Aus unserer Sicht sind die Ermittlungen gegen Demjanjuk abgeschlossen, und es könnte Anklage erhoben werden“, sagt Schrimm.

Die Zentrale Stelle ist nur für Vorermittlungen zuständig, für die Anklage dagegen eine örtliche Staatsanwaltschaft. Demjanjuks Fall soll von der Münchner Staatsanwaltschaft bearbeitet werden, entschied der Bundesgerichtshof Anfang Dezember. Erkenntnissen der Zentralen Stelle zufolge war der mutmaßliche Massenmörder 1951 für einige Monate in einem Flüchtlingslager bei München untergetaucht.

Sollte der Fall vor Gericht kommen, können die Ermittler dessen Dienstausweis auf Echtheit prüfen. Der „Spiegel“ berichtet, dass die US-Sonderermittlungsbehörde für NS-Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen anbiete, den von der SS ausgestellten „Dienstausweis Nr. 1393“ zu Analysen nach Deutschland zu schicken. Ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft München I bestätigt, dass ein solches Angebot vorliegt. Nach Angaben des „Spiegel“ weist das Dokument den heute 88-Jährigen als KZ-Aufseher der „Trawnikis“ aus, einer Gruppe von rund 5000 Balten und anderen Ausländern, die für die Nazis arbeiteten.

Der Chef der amerikanischen Behörde, Eli Rosenbaum, zeigte sich nach „Spiegel“-Informationen befremdet darüber, dass in Deutschland Gerüchte über Zweifel an der Echtheit des Ausweises kursierte. Dem Bericht zufolge hatten BKA-Angehörige im Umfeld eines früheren Verfahrens gegen Demjanjuk in Israel 1987 Auffälligkeiten an dem Ausweis bemerkt, die die Authentizität in Frage stellten. Ein Gutachten über die Echtheit habe es seinerzeit vom BKA aber nicht gegeben. Rosenbaum sagte, der Ausweis sei in den USA und in Israel forensisch geprüft und für echt befunden worden.

Etwa 1,3 Millionen Deutsche werden noch immer vermisst, berichtet Dorota Dziwoki, Leiterin des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Jedes Jahr würden Angehörige bis zu 2000 neue Anfragen an das DRK stellen. Besonders viele Hilfeersuchen kämen um die Weihnachtszeit. „Gerade an den Festtagen spricht man in vielen Familien wieder über ungeklärte Schicksale und versucht sie aufzuklären“, meint Dziwoki.

Seit Anfang der 90er Jahre hat das Rote Kreuz die Schicksale von 230 000 Insassen ehemals sowjetischer Straf- und Kriegsgefangenenlager klären können. Erst seit dem Ende der Sowjetunion sind die russischen Archive voll zugänglich. Seither nutzt das DRK auch diese Daten. „Aber es wird uns mit Sicherheit nicht gelingen, alle offenen Schicksale zu klären“, sagt Dziwoki. Seit der Einrichtung des DRK-Suchdienstes im Oktober 1945 sei der Verbleib von 1,2 Millionen Vermissten erforscht worden. Die genaue Zahl der im Zweiten Weltkrieg Verschwundenen ist unklar. Eine Umfrage der Bundesregierung hatte 1950 in Westdeutschland ergeben, dass damals von drei Millionen Menschen jede Spur fehlte. Daten für Ostdeutschland nach Kriegsende fehlen. AP

Weitere Informationen unter: http://www.drk-suchdienst.de; http://www.zentrale-stelle.de

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