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Zwei Jahre Straflager - so lautet das Urteil gegen die drei Mitglieder der Punkband Pussy Riot.

© Reuters

Update

Prozess gegen Punkband: Merkel kritisiert "unverhältnismäßig hartes Urteil" gegen "Pussy Riot"

Zwei Jahre müssen die Frauen der Band "Pussy Riot" nun in Haft verbringen. Bürgerrechtler sprechen von Abrechnung und Rache. Die Anwälte wollen in Berufung gehen. Und international gibt es Kritik.

Es war genau 15:27 Uhr Moskauer Zeit, als im Moskauer Chamowniki-Gericht die entscheidenden Worte im Prozess gegen die Mitglieder der feministischen Punkgruppe Pussy Riot fielen. Marina Syrowa, die Vorsitzende Richterin, erkannte Maria Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch für „schuldig des groben Unfugs zwecks Anstiftung zu religiösem Hass“. Darauf stehen bis zu sieben Jahre Haft. Die drei jungen Frauen hatten kurz vor den russischen Präsidentenwahlen Anfang März in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche zur Gottesmutter um Vertreibung Wladimir Putins gebetet.

International wurde das Urteil kritisiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, das „unverhältnismäßig harte Urteil“ stehe „nicht im Einklang mit den europäischen Werten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“. Zu diesen Werten habe sich Russland unter anderem als Mitglied des Europarats bekannt. Das US-Außenministerium erklärte seine Sorge, das Urteil werde „negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit in Russland“ haben, und forderte, der Prozess müsse neu verhandelt werden. US-Präsident Barack Obama zeigte sich "enttäuscht". "Die Vereinigten Staaten sind über das Urteil enttäuscht, einschließlich der unverhältnismäßigen Strafen, die erteilt wurden“, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest.

Bilder: Der Prozess gegen Pussy Riot

Staatsanwalt Alexander Nikiforow hatte in der vergangenen Woche für die Angeklagten jeweils drei Jahre Haft beantragt, die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die Performance in der Kirche sei vom Verfassungsrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Ihre Beweisanträge wurden während der Verhandlungen jedoch permanent abgeschmettert, Entlastungszeugen nicht gehört. Die Anwälte und ihre Mandantinnen hatten daher von vornherein mit einem politisch motivierten Schuldspruch gerechnet.

Zwei Jahre müssen die Frauen, von denen zwei ein kleines Kind haben, nun in Haft verbringen. Zwar wollen die Anwälte Berufung einlegen. Doch sie rechnen bestenfalls mit einer Minderung des Strafmaßes um wenige Monate. Gefasst nahmen sie das Urteil entgegen. Im Käfig, obwohl auch in Russland bis zur Urteilsverkündung die Unschuldsvermutung gilt, und in Handschellen wie gemeingefährliche Serienmörder.

Bilder: Weltweite Proteste gegen den Prozess

Bürgerrechtler sprechen von Abrechnung und Rache. Denn der eigentliche Vorwurf lautet auf Majestätsbeleidigung. Grigori Jawlinski, der Übervater der sozialliberalen Jabloko-Partei, warnte, Russland würde immer weiter Richtung Totalitarismus abgleiten.

Und selbst Michail Fedotow, der Chef des Beirates für Menschenrechte und Zivilgesellschaft beim Präsidenten und damit Staatsbeamter, zeigte sich empört über das Urteil. In einem Interview für die Nachrichtenagentur Interfax sagte er, er als Jurist könne kein anderes Urteil als einen Freispruch akzeptieren. Seiner Meinung nach geht es in der Causa Pussy Riot nicht um religiösen Hass und Feindschaft zu Gläubigen, sondern um politischen Hass. Das gegen die drei Punkerinnen ergangene Urteil könne einen gefährlichen Präzedenzfall für das Vorgehen gegen Andersdenkende schaffen.

Video: Urteilsverkündung gegen "Pussy Riot"

Fedotow steht damit nicht allein. Schon während der Verhandlungen hatten namhafte russische Juristen eine Resolution unterzeichnet, in der sie warnten, ein Schuldspruch könne das gesamte russische Rechtssystem zerstören. Ohne Recht kein Staat, glaubt auch der Politikwissenschaftler Dmitri Oreschkin. Der Prozess hätte daher das Zeug zum Anfang vom Ende der Ära Putin. Dieser habe zwar die ohnehin rudimentäre Zivilgesellschaft in Russland fest im Griff, deren Macht im westlichen Ausland jedoch fatal unterschätzt.

In der Tat: Es waren Künstler von Weltrang, die sich für die Freilassung der Kolleginnen von Pussy Riot einsetzten. Und die Solidaritätsbekundungen reißen nicht ab, nicht im Ausland und nicht in Russland. Lange vor Beginn der Urteilsverkündung hatten sich rund 2000 Menschen – Gegner und vor allem Sympathisanten von Pussy Riot – vor dem Gerichtsgebäude eingefunden. Mehrere prominente Teilnehmer wurden festgenommen, darunter der Oppositionsführer und Ex-Schachweltmeister Gari Kasparow. Zuvor war bekannt geworden, dass Präsident Wladimir Putin bei jüngsten Meinungsumfragen eine historische Niederlage kassierte. Weniger als 48 Prozent vertrauen ihm noch. Das und die allgemeine Empörung über das Urteil gegen Pussy Riot könnte die erlahmte Protestbewegung im Herbst erneut befeuern.

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