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Zeitung: Ex-Vizepräsident im Iran verurteilt

© dpa

Prozess in Iran: Sechs Jahre Haft für den "Bloggenden Mullah"

Der ehemalige iranische Vizepräsident und Reformer Mohammad Ali Abtahi wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. In einem Schauprozess musste er ein falsches Geständnis ablegen. Nach dem Urteil kam er gegen Kaution frei.

Ränder unter den Augen, Angst im Gesicht, schlecht sitzende, graue Anstaltskleidung am Leib – das waren die letzten Bilder von Mohammed Ali Abtahi, als er vor Monaten im Staatsfernsehen beim Teheraner Schauprozess zu sehen war.

Jetzt verurteilte ihn der 15. Revolutionäre Gerichtshof zu sechs Jahren Haft und setzte ihn gegen eine Kaution von umgerechnet 480.000 Euro vorläufig auf freien Fuß, wie die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete.

Der Richterspruch ist nicht rechtskräftig. Nach Angaben seiner Tochter wurde Abtahi verurteilt "wegen Verschwörung gegen die Sicherheit des Landes, Propaganda gegen die Regierung, Beleidigung des Präsidenten, Teilnahme an einer illegalen Demonstration sowie Besitz von Geheimdokumenten".

Der 51-jährige Geistliche, der im Westen auch als der "Bloggende Mullah" bekannt ist, gehört zu den wichtigsten Vordenkern im iranischen Reformlager. Drei Jahre lang war er Stellvertreter des prominenten Präsidenten Mohammed Chatami und ist damit der bisher hochrangigste Angeklagte, der nach den Protesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad bestraft worden ist.

Der neue iranische Justizchef Sadegh Laridschani hatte Mitte August als eine seiner ersten Amtshandlungen alle Fernsehübertragungen des Schauprozesses unterbunden. Seither versucht er, das negative Justizspektakel gegen rund 140 Angeklagte hinter den Kulissen zu Ende zu bringen – mit einer willkürlichen Mischung aus Härte und Gnade.

Vergangene Woche gab die Justizverwaltung bekannt, bislang seien fünf junge Demonstranten zum Tode verurteilt worden, 81 weitere Inhaftierte hätten Strafen zwischen sechs Monaten und 15 Jahren erhalten. Wie das von Abtahi, sind auch alle diese Urteile bislang nicht rechtskräftig.

Dagegen kamen der Wahlkampfberater des Reformkandidaten Mehdi Karroubi, der frühere Teheraner Bürgermeister Morteza Alviri, sowie der kanadisch-iranische Newsweek-Reporter Maziar Bahari ohne Urteile gegen hohe Kautionen frei. Bahari verließ noch am selben Tag den Iran und flog über London nach Kanada. Auch die französische Sprachlehrerin Clotilde Reiss wurde aus dem Gefängnis entlassen und wohnt seitdem in der französischen Mission. Letzte Woche musste sie erneut vor Gericht erscheinen, ohne Klarheit über ihr Schicksal zu erhalten.

Das Urteil in erster Instanz gegen Abtahi fiel im Rahmen der politischen Justizpraxis der Islamischen Republik vergleichsweise milde aus. Das könnte bedeuten, dass das Regime angesichts der anhaltenden Empörung im Volk keine zugespitzte Konfrontation mit den Leitfiguren der Opposition – Mir Hossein Mussawi, Mehdi Karroubi und Mohammed Chatami – riskieren möchte.

Im Evin-Gefängnis war dem Chatami-Vize allerdings so schwer zugesetzt worden, dass er beim Schauprozess im Fernsehen ein vorbereitetes "Geständnis" vortrug: "Ich sage allen meinen Freunden und allen, die uns hören, der Vorwurf des Wahlbetrugs war eine Lüge und wurde konstruiert, um Unruhen im Iran zu schüren. Iran sollte so werden wie Afghanistan und Irak – und dadurch Schaden nehmen", las der Ex-Vizepräsident vom Blatt ab.

Seine Frau berichtete später, ihm seien in der Haft Pillen verabreicht worden, die Gedächtnisstörungen bewirken, so dass er sich an vieles nicht mehr erinnern kann. Bis zu seiner Verhaftung führte Abtahi ein Institut für interreligiösen Dialog und schrieb tägliche Kolumnen in seinem populären Blog webneveshteha.com, der inzwischen abgeschaltet ist. "Es war ein großer Schwindel" stand über seinem letzten Eintrag, den der Politiker in der schlaflosen Nacht nach dem Wahltag und 72 Stunden vor seiner Festnahme verfasst hatte.

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