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Prozessbeginn: Tauss hat ausgezwitschert

Der frühere SPD-Politiker Jörg Tauss steht wegen Kinderpornos vor Gericht. Die Fakten sind klar in diesem Prozess. Unklar ist, wie sie zu bewerten sind. Tauss selbst hält sich für unschuldig.

Der Vogel zwitschert nicht mehr. „Von mir gibt es nichts“, sagt Jörg Tauss, der erste Bundestagsabgeordnete, der sich wegen Kinderpornografie vor Gericht verantworten muss. Bis kurz vor seinem Prozess am Dienstag im Landgericht Karlsruhe war der 56-Jährige noch auf seinem Blog tauss-gezwitscher.de aktiv. Berichtete dort von seiner Politik und Initiativen, die er anschob, seit er sein Mandat zurückgab und von der SPD in die Piratenpartei wechselte. Legte sich mit Politikern an, die mit ihrem Ex-Kollegen nichts mehr zu tun haben wollten.

Jetzt sitzt er im Schwurgerichtssaal, hält den Blick gesenkt und hört Staatsanwältin Stephanie Egerer-Uhrig zu. Fast anderthalb Stunden liest sie vor, was bei Tauss auf Handys und DVDs gefunden wurde. 102 Fälle von Kinder- und Jugendpornografie. Hunderte Bild- und dutzende Videodateien. Die Kinder sind sechs bis acht Jahre alt, andere zwölf, andere sind Jugendliche. Meist sind es Jungen. Manchmal sind Erwachsene dabei. Warum Jungen?, fragt Richter Udo Scholl. Weil er über eine „schwule Hotline“ in die Szene eingestiegen sei, sagt Tauss.

Die Fakten sind klar in diesem Prozess. Unklar ist, wie sie zu bewerten sind. Tauss selbst hält sich für unschuldig. Er glaubt, zum Besitz der Pornos berechtigt gewesen zu sein. Recherchematerial für künftige Gesetzgebung. Er beruft sich auf eine Vorschrift im Strafgesetzbuch, die den Pornobesitz im Rahmen „dienstlicher oder beruflicher Pflichten“ für straffrei erklärt. Eine Schutzbehauptung, sagt die Staatsanwaltschaft.

Der Fall Tauss kann alles sein zwischen mittelgroßer Verschwörung und sehr großer Dummheit. Fest steht, dass der Absturz des SPD-Politikers einmalig ist. Tauss galt in seiner Fraktion als Internet-Pionier, als einer, der den Schweinkram kennt, wie der Angeklagte es selbst ausdrückt, aber auch als einer, der die Chancen des Mediums sieht. Bald nach seinem Einzug in den Bundestag machte er von sich reden, als er einen virtuellen Ortsverein der SPD gründete. Seiner Partei diente er als Medienbeauftragter, Datenschutz und freie Kommunikation waren seine Lieblingsthemen.

Jetzt bringt ihn der Schweinkram vor Gericht, wenn er auch nicht per Internet, sondern per Dateiversand via Handy und Post zu ihm kam. Tauss sagt, er habe einen „stinkenden Schweinestall ausmisten“ wollen, sich mit Kinderpornohändlern eingelassen, um sie dingfest zu machen. Als Vertrauensnachweis in der Szene seien die Bildchen verschickt worden. Und er habe mit seinen Recherchen belegen wollen, dass das seinerzeit von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) durchgedrückte Gesetz zu Internetsperren Unsinn sei. Er habe sich von der Exekutive an der Nase herumgeführt gefühlt. Das Kinderpornoproblem liege außerhalb des Netzes.

Die beiden Verteidiger, Michael Rosenthal aus Karlsruhe und Jan Mönikes aus Berlin, werfen den Ermittlern politische Motive vor. „Die Staatsanwaltschaft hat ihn fertiggemacht“, sagt Rosenthal. Ein lautstarker Kritiker politischen Unfugs solle mundtot gemacht werden. Die Staatsanwaltschaft sei auch nur der Fortsatz eines Justizministeriums.

Tauss gibt alles zu, aber er ist nicht geständig. „Ich habe mich unorthodox um das Thema gekümmert“, aber: „Ich kann morgens in den Spiegel schauen.“ Schon früher habe er den Kollegen in seinem Büro Kinderpornobilder präsentiert, als Anschauungsmaterial. „Ich habe Kontakte zur Szene gesucht.“ Jetzt, sagt er, will er dazu beitragen, alles aufzuklären.

Es wird ihm wenig helfen, glauben seine Anwälte. Der Fall zeigt auch, wie schnell ein Ruf zerstört wird in der Gemengelage aus öffentlichem Informationsanspruch, Medienkonkurrenz und getriebenen Staatsanwälten. Bei Tauss waren es nicht viel mehr als 30 Minuten. So viel Zeit verging zwischen dem Start der Durchsuchungen und den ersten Meldungen darüber im März 2009. Der Politiker ist Zielperson der „Operation Steppenwolf“, einer größer angelegten Aktion gegen Kinderpornohändler. Die Fahnder bekommen seine Daten in die Hände, als sie nach einem „Werner“ suchen. „Werner“ war Kunde eines Bremerhavener Kleinkriminellen, eines pädophilen Lagerarbeiters, der strafbare Pornos konsumiert und vertreibt. In aller Heimlichkeit wird der Immunitätsausschuss informiert, der Weg für die Fahnder ist frei.

Wer auch immer es war, die Presse ist gut informiert. Noch als Ermittler in Tauss’ Berliner Privatwohnung stehen, kursiert die Nachricht, es sei belastendes Material gefunden worden. Kritik handelte sich die Staatsanwaltschaft auch ein, als sie der „Bild“-Zeitung später bestätigte, es sei Anklage erhoben worden – der Angeklagte selbst wusste davon noch nichts. Anwalt Mönikes nennt es „soziale Exekution“, was da geschah. Die Karlsruher Staatsanwaltschaft weist die Vorwürfe zurück. Es habe ein öffentliches Interesse gegeben. „Wir haben keinerlei Einfluss genommen“, sagt Staatsanwältin Egerer-Uhrig. Und berichtet vom Begrüßungstext eines Handys, das in Tauss’ Wohnung gefunden wurde: „Hallo Werner“.

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