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Politik: Prügel vor dem Kontrollbesuch

Türkische Polizisten schlagen Demonstranten zusammen. EU-Vertreter sind schockiert über die Gewalt

Auf dem Beyazit-Platz in Istanbul war von EU-Reformen nichts zu spüren. Brutal gingen türkische Polizisten gegen eine friedliche Frauen-Demonstration vor: Mit Knüppeln und Reizgas jagten sie die Demonstranten, schlugen und traten sogar auf Frauen ein, die am Boden lagen. Unbeteiligte Passanten wurden mitverprügelt. Die Demonstranten hatten anlässlich des internationalen Frauentages am heutigen Dienstag gegen die Benachteiligung der Frauen in der türkischen Gesellschaft und gegen den hohen Anteil von Frauen in Gefängnissen protestiert.

Zur selben Zeit traf die so genannte EU-Troika zu Gesprächen mit der Regierung in Ankara ein. „Am Vorabend eines Besuchs der EU, bei dem die Rechte von Frauen ein wichtiges Thema sein werden, sind wir besorgt angesichts derart unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstranten“, hieß es in einer Erklärung der drei. Diese wollen mit einer „Road Map“ die Türkei vor dem Beginn der Beitrittsverhandlungen im Oktober eigentlich zu weiteren Reformen verpflichten. Wie nötig das ist, zeigen nicht nur die prügelnden Polizisten von Istanbul.

Nach der Entscheidung für Beitrittsgespräche im Dezember habe sich in der Türkei in Sachen Reformpolitik nicht viel getan, kritisierten EU-Vertreter in den vergangenen Wochen. Hansjörg Kretschmer, EU-Botschafter in Ankara, warnte die Türken vor einer Gefährdung der Beitrittsgespräche, falls bei den Reformen nicht wieder Gas gegeben werde. Erweiterungskommissar Olli Rehn sprach in Ankara etwas zurückhaltender von einer „Atempause“, die zu Ende gehen müsse.

Streit gibt es auch um Zypern. Beim EU-Gipfel hatte die Türkei die Unterzeichnung eines Zusatzprotokolls zur Zollunion versprochen, mit dem Ankara die griechische Republik Zypern indirekt anerkennen würde. Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan hat diese Unterschrift bisher nicht geleistet. Rehn erhielt nach eigenen Angaben nun von Außenminister Abdullah Gül die Zusage, dass die Türkei das Protokoll deutlich vor dem Beginn der Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober unterschreiben wird.

Im Gespräch mit Gül nannte Rehn weitere unerledigte Aufgaben der türkischen EU-Bewerbung: Die Türkei müsse die Folter entschlossener bekämpfen, die kulturellen Rechte der Kurden sichern, für eine Besserstellung der Frauen sorgen, die Meinungsfreiheit ausweiten und die Situation der christlichen Minderheiten verbessern. In all diesen Bereichen hatte die Türkei in den vergangenen Jahren Gesetze geändert. Die Umsetzung vieler Reformen lässt aber auf sich warten; nach Auffassung einiger EU-Beobachter in Ankara gibt es sogar eher Rück- als Fortschritte. Am Montag rügte die EU offiziell den „unverhältnismäßigen“ Gewalteinsatz der Polizei bei der Istanbuler Frauen-Demo. In Ankara forderten Rehn und der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn Gül auf, er solle dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal vorkomme.

Gül kündigte an, der Vorfall werde untersucht. Er sprach aber von „Provokationen“, auf die die Polizei falsch reagiert habe. Überhaupt bestreitet Ankara, dass der EU-Prozess ins Stottern geraten ist, und betont, die Vorbereitungen auf die Beitrittsgespräche liefen planmäßig. Vor dem Dezembergipfel sei die Türkei bei den Reformen so schnell gewesen, weil sie auf den letzten Metern gespurtet sei, sagte Gül; sogar „Doping“ sei dabei im Spiel gewesen. Nun gehe alles etwas ruhiger zu. Rehn und Asselborn lachten zwar darüber. Doch dann gaben sie dem türkischen Minister den ernsten Rat, die Reformen fortzusetzen – mit oder ohne Doping.

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