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Kaum zu glauben: Der Obdachlose Johnny (.) half Kate mit 20 US-Dollar aus der Patsche.

© Elizabeth Robertson/The Philadelphia Inquirer/dpa

Psychologie: Das Störende am Guten

Obdachlose, die ihr Geld spenden, Flüchtlinge, die Taschen voller Geld abgeben: Ist das toll - oder deprimierend, weil man selbst vielleicht nicht so gut wäre? Eine Kolumne

Eine Kolumne von Ariane Bemmer

Immer wieder gibt es diese Geschichten von Menschen, die trotz eigener Notlage der Pflicht zum Gutsein folgen, denen nahezu etwas Märchenhaftes anhaftet. Da war zuletzt der Obdachlose Johnny, der einer Autofahrerin namens Kate geholfen hat, als die mit leerem Tank in einer gefährlichen Ecke von Philadelphia liegenblieb. Er hat für sie von der nächsten Tankstelle Benzin für 20 Dollar geholt und das von seinem Erbettelten bezahlt. Ist das nicht verrückt? Statt auf ihre Notlage zu pfeifen und sich um seine zu kümmern, verschlimmert er seine sogar noch. Was für ein guter Mensch. Kate konnte ihm das Geld nicht mal erstatten, weil sie nur eine Kreditkarte dabeihatte. Aber sie hat die Geschichte im Internet bekannt gemacht und für Johnny Geld gesammelt.

Und dann waren da 2016 der syrische Flüchtling aus NRW, der in einem gespendeten Kleiderschrank Bargeld und Sparbücher im Wert von 150 000 Euro entdeckte und die Polizei informierte, oder im September in Berlin das irakische Flüchtlingsmädchen Lailah, das in der U-Bahn eine Tasche mit 14 000 Euro fand und abgab. Topp, twitterte die Polizei. Fürwahr. Sie hätten es auch behalten und damit ihren Alltag im Flüchtlingsheim ein bisschen komfortabler gestalten können. Das hätte wahrscheinlich besser in die als eher asozial verschriene Gegenwart gepasst.

Was trägt man selbst zur als asozial verschrienen Gesellschaft bei?

Sind solche Geschichten toll? Oder deprimierend, weil man nicht so sicher sein kann, wie man selbst handeln würde, weil man selbst noch erinnert, wie man neulich im Supermarkt den Kassiererverrechner um zwei Euro nicht anzeigte, weil man selbst womöglich zur als asozial verschrienen Gegenwart mehr beiträgt, als man dachte, und das, obwohl man weder obdachlos noch Flüchtling ist?

Für alle, die an ihrem potenziellen Anteil zur Weltverbesserung zweifeln, kommt jetzt Erleichterung aus Frankreich. Dort hat am Flughafen Charles de Gaulle ein allen gut bekannter Obdachloser beim Suchen nach Liegengebliebenem die Klinke zur Hintertür einer Wechselstube gedrückt, die sich als nicht verschlossen erwies, und war auf mehrere Säcke mit Geld gestoßen. Insgesamt 30 000 Euro. Und er hat nicht die Tür leise verschlossen und die Polizei auf das Sicherheitsrisiko hingewiesen, sondern zugegriffen und ist abgehauen. Das ist nun zwar das Gegenteil von vorbildhaft, aber ist es nicht rein psychologisch auch entlastend? Endlich mal ein Bedürftiger, der zuerst an sich denkt! Dass er nun gesucht wird, ist so gesehen nahezu nicht einzusehen.

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