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Public-Private-Partnership: Frankfurts Blamage

Die Stadt Frankfurt wollte ihre Brücken privat sanieren lassen. Kritiker wurden ignoriert. Nun ist das Projekt zur Imagekatastrophe für die gesamte Branche geraten.

Besonders hübsch war dieses Prestigeprojekt noch nie. Auf hohen Stelzen aus Industriebeton zerschneidet die Rosa-Luxemburg-Straße die Stadt Frankfurt am Main. Die Brücke, von der aus man Familien in den Wohnhäusern links und rechts in die Dachzimmer schauen kann, ist alt, sie rostet und bröckelt. Als eine von 170 Brücken in Frankfurt, wollte die Stadt sie mithilfe eines gigantischen „Public Private Partnership“-Projekts sanieren. Es sollte ein Vorzeigeprojekt für die gesamte Branche werden und geriet zum Desaster. Seit Sommer ist nun alles aus.

Der Mann, der das Projekt absagen musste, heißt Stefan Majer und ist grüner Verkehrsdezernent der Stadt. Majer ist ein freundlicher Mann, er will auch heute nichts Schlechtes über die Arbeit seines Vorgängers sagen, obwohl er nun hinter ihm aufräumen muss. Dieser hatte, gemeinsam mit der CDU-geführten Kämmerei und der Mehrheit der Lokalpolitiker, das Projekt 2010 begeistert beschlossen.

Ohne dass nur ein einziger Eimer Beton angerührt wurde, sind heute knapp 2,1 Millionen Euro verloren, die bereits an externe Berater gezahlt wurden. Geblieben sind marode Brücken. Außerdem drohen der Stadt Schadensersatzforderungen von Bauunternehmen in unbekannter Höhe. Majer sagt: „Es war ein Projekt aus finanziell besseren Zeiten und ist heute nicht mehr umsetzbar.“ Was Majer nicht sagt: Das Projekt ist an typischen PPP-Risiken gescheitert, vor denen bereits damals zahlreiche Kritiker gewarnt hatten. Doch denen wollte niemand zuhören.

Es war ja auch verlockend. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends denkt niemand an eine mögliche Finanzkrise. Aufgaben des Staates in die Privatwirtschaft auszulagern gilt als modern. Statt selbst Millionenkredite aufzunehmen, lässt die Stadt darum mehrere Schulen von Privatunternehmen finanzieren, bauen und betreiben. Sie verpflichtet sich im Gegenzug dazu, Nutzungsgebühren über 30 Jahre zu zahlen.

Dagegen protestieren zwar viele Bürger, die fürchten, die Bauqualität könnte unter dem Profitstreben der privaten Bauherren leiden. Die Stadt aber ist mit dem Ergebnis zufrieden. Es sei schnell und kostengünstig gebaut worden. So zufrieden ist man damals mit dem PPP-Modell, dass sich Verkehrsdezernat und Kämmerei nun auch an Größeres wagen wollen.

Von den 340 Brücken der Stadt sind viele in schlechtem Zustand. Die Kosten der nötigen Sanierungen – so schätzt es die Stadt – würden sich allein in den ersten Jahren auf etwa 95 Millionen Euro belaufen. Im PPP-Modell sucht sich ein Privatunternehmer eigenständig Geldgeber, saniert die Brücken und hält sie für 30 Jahre instand. Der vermeintliche Vorteil für die Stadt Frankfurt: Statt zu Beginn alle Kosten selbst zu tragen und dafür hohe Kredite aufzunehmen, hätte sie einfach nur Zahlungen über 30 Jahre zu leisten, ohne direkte Schulden in ihren Büchern zu haben. Außerdem müssten keine neuen Stellen im Verkehrsdezernat geschaffen werden, die ein FDP-Dezernent der vorherigen Regierung zusammengestrichen hatte.

Die schwarz-grüne Stadtregierung schnürt ein Brückenpaket für insgesamt 500 Millionen Euro. Darin enthalten: Sanierungen an 170 Brücken für 95 Millionen Euro, Nutzbarkeit der Brücken über 30 Jahre für 153 Millionen Euro. Der größte Brocken allerdings sind 212 Millionen für externe Berater und Manager. Der wichtigste Baustein ist die Rosa-Luxemburg-Straße, viele der anderen Brücken sind hingegen winzig, wie zum Beispiel die Listennummer 110, der „südliche Fußgängersteg im Nord-West-Zentrum zum Abenteuerspielplatz“.

Heute gibt ein Sprecher der Kämmerei zu: Durch das Zusammenschnüren von großen und kleinen Bauwerken sei das Projekt von Anfang an unheimlich komplex gewesen. Aber man habe damals geglaubt, der Stadt einige lästige Aufgaben vom Hals schaffen zu können, während die Firmen wiederum von den großen Brücken im Paket profitieren würden. Eine Win-Win-Situation sozusagen.

Es gibt Widerstand - sogar innerhalb der Behörden

Doch eine schöne Idee ersetzt keine Baugenehmigung. Hessens Haushaltsordnung schreibt den Kommunen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vor, die belegen muss, dass ein PPP-Projekt günstiger ist als die konventionelle Bauweise. Bei dieser würde die Stadt das Projekt selbst finanzieren und betreuen.

Das Beratungsunternehmen Alfen consult, das unter anderem auch beim privaten Autobahnausbau berät, kommt für die Stadt zu dem Ergebnis: Die PPP-Variante ist für die Stadt 8,4 Prozent günstiger als die konventionelle. Zudem hätten die Unternehmen einen Anreiz, besonders nachhaltig zu bauen, da sie über 30 Jahre lang selbst für die Unterhaltung der Brücke zuständig seien. Auch der Mittelstand werde bei PPP-Projekten stärker als üblich beteiligt. Der Jubel ist groß. Die FAZ kommentiert im Februar 2010, der Plan stimme „zuversichtlich“ und das Vorgehen der Stadt sei „zu preisen“.

Doch es gab schon damals einige, die das anders sahen. Die Bürgerinitiative „Bündnis gegen Privatisierung“ hatte schon die Schulen-PPPs heftig bekämpft. Elke Hügel ist Sprecherin der Initiative. Sie wuchtet einen ganzen Aktenordner zum Brückenstreit auf den Tisch. Die Zeitungsartikel darin zeigen sie und andere bei einer Protest-Radtour von Brücke zu Brücke, wie sie gegen „Finanzhaie“ plakatieren und vor dem Rathaus demonstrieren. Zu teuer und zu intransparent seien PPP-Verfahren, lautet ihr Vorwurf. „Das galt auch für die Brücken“, sagt sie, „212 Millionen von 500 Millionen Euro nur für externe Berater, das ist doch Wahnsinn.“

Und Elke Hügel fand Mitstreiter wie Otto Kuhn. Der ist Geschäftsführer des Verbands baugewerblicher Unternehmer Hessen und bis heute stinksauer. „PPP ist absolut mittelstandsschädigend“, schimpft er. Ein Generalunternehmer drücke die Preise, wo er nur könne, damit sich das Projekt für ihn lohne. Statt hessische Mittelständler als Subunternehmer zu beauftragen, suche er sich lieber Firmen aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern. „Wir sind denen zu teuer und gehen leer aus“, sagt Kuhn. Bei einer konventionellen Bauweise hätten sie sich dagegen um kleinere Brücken in Eigenregie bewerben können. Kuhn spricht bei Kundgebungen des „Bündnisses gegen Privatisierung“ und spricht mit dem Kämmerer. Doch die Stadt bleibt bei ihrer Einschätzung.

Auch innerhalb der Behörden gibt es Widerstand. Das Revisionsamt der Stadt prüft die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und rät von der Zustimmung zum Projekt ab. Die Kosten der städtischen Variante seien künstlich hoch-, die Kosten der PPP-Variante dagegen heruntergerechnet worden. Das Amt kritisiert beispielsweise die geschätzten Controlling-Kosten. Diese seien bei der Stadt viermal so hoch angesetzt worden, als es die Erfahrungswerte von anderen Projekten erwarten ließen. Außerdem werde pauschal davon ausgegangen, das PPP-Projekt bringe zehn bis 20 Prozent Effizienzgewinne durch schnelleres Bauen. Das sei nicht belegt.

Am Ende warnen die Beamten zudem: Die Bindung über 30 Jahre an ein Unternehmen sei mitnichten ein Vorteil, sondern vielmehr eine Schwäche der PPP-Variante. Die Stadt lege sich für drei Jahrzehnte auf Brückensanierungen fest, obwohl sich planerisch in einem solchen Zeitraum immens viel ändern könne. Die Beamten sollten Recht behalten.

Das gesamte Projekt scheitert

Das Urteil des Revisionsamts ist klar. Trotzdem ignorieren die Abgeordneten ihre eigenen Fachleute. Grüne, FDP und CDU beschließen das Projekt 2010 gegen die Stimmen der SPD und der Linken. Denn die ideologischen Gräben sind zu diesem Zeitpunkt schon zu tief, PPP ist in Frankfurt zur Glaubensfrage geworden. Der Leiter des Revisionsamts, Ulrich Übele, gilt als ausgemachter PPP-Gegner. Schon bei den Schulen hatten er und seine Beamte sich gegen PPP-Varianten ausgesprochen und sich damit Feinde gemacht. Inzwischen ist Übele Pensionär. Über das geplatzte Brückenprojekt hat er in der Zeitung gelesen: „Es ist ein gutes Gefühl, wenn sich die eigenen Bedenken bewahrheiten“, sagt er. „Schade für die Stadt.“

Die Probleme zeigen sich schnell. Erst zieht sich die Planungsphase in die Länge, weil die Unternehmen sich in der Vorbereitung des komplexen Projekts schwerer tun als erwartet. Dann, im Frühjahr 2012, platzt die Bombe: Die Rosa-Luxemburg-Brücke fliegt aus dem Projekt. Das Planungsdezernat meldet Bedenken an, weil die Brücke in der Stadtplanung für 2030 nicht mehr enthalten ist. Die Hochstraße, die jetzt so brutal ein ganzes Wohnviertel durchschneidet, soll abgerissen und ebenerdig geführt werden. Sich als Stadt zu verpflichten, die nächsten 30 Jahre Sanierungsarbeiten an einer Brücke zu bezahlen, die zum Abrisskandidaten erklärt wurde, wird zum Problem.

50 Millionen eines Sanierungsbedarfs von insgesamt 95 Millionen hätte die Rosa-Luxemburg-Brücke in dem Brückenpaket ausgemacht. Ohne sie macht das Projekt endgültig keinen Sinn mehr. Trotzdem wird noch zwei Monate darum gerungen, ob noch einmal komplett umgeplant wird. Am 18. Juni sagt Majer das Projekt schließlich ab. „Die Befürchtung ist, dass am Ende Kosten in Höhe von einer Milliarde entstehen“, sagt Kämmerei-Sprecherin Anne Rückschloss am 20. Juni der Frankfurter Rundschau. Das Brücken-PPP ist mit diesem Satz Geschichte, die lange Laufzeit ist ihm zum Verhängnis geworden.

Das Verkehrsdezernat erstellt jetzt eine Liste mit den dringendsten Brückensanierungen. Sieben Millionen haben sie dafür im kommenden Haushalt vorgesehen. Das Wort mit den drei Ps wird Majer so schnell nicht mehr in den Mund nehmen. Er sitzt lieber die Schadensersatzforderungen aus, als dass ihm und seinen Nachfolgern das Projekt noch 30 Jahre lang „wie Kaugummi unter den Schuhen klebt“. Elke Hügel dagegen hat schon einen neuen Aktenordner angelegt: „Integrierte Gesamtschule West.“ Das Bildungsdezernat findet PPP-Schulen nämlich immer noch prima. Das Revisionsamt schimpft, Hügel demonstriert.

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