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Sewastopol. In der größten Stadt der Krim liegt – jahrzehntelang vertraglich gesichert – die russische Schwarzmeerflotte.

© Reuters

Pulverfass Krim: Russlands schwere Geschütze

Die Halbinsel Krim im Süden der Ukraine entwickelt sich zu einem neuen Krisenherd der Ukraine. Droht ein Konflikt mit Russland?

Während in Kiew am Donnerstag das Parlament den Umbruch in der Ukraine mit der Wahl des neuen Regierungschefs Arseni Jazenjuk besiegelte, wuchs in dem Land wie auch im Westen die Sorge vor einem Eingreifen Russlands. Die Halbinsel Krim im Süden der Ukraine, wo überwiegend Russen zu Hause sind, entwickelte sich zu einem unberechenbaren Krisenherd.

Wie ist die aktuelle Lage auf der Krim?

Die Wortwahl war drastisch: Durch die „von Banden unterstützte verfassungswidrige Machtübernahme radikaler Nationalisten“ in der Ukraine seien Ruhe und Frieden der Krim und ihrer Bewohner gefährdet. Die durch Wahlen legitimierten Volksvertreter würden daher „die gesamte Verantwortung für das Schicksal der Krim übernehmen.“ So steht es in einer Erklärung, die das Präsidium des Parlaments der Schwarzmeerhalbinsel am Donnerstagnachmittag zu Beginn einer außerordentlichen Tagung verabschiedete. Wichtigster Tagesordnungspunkt: ein Volksentscheid zum künftigen Status der Region. Viele favorisieren einen Beitritt zur Russischen Föderation, besonders Radikale versuchten in der Nacht zu Donnerstag die Zukunft vorwegzunehmen: Sie holten die ukrainischen Flagge, die auf dem Sitz des Parlaments der Krim in Simferopol weht, ein und hissten die russische. Bewaffnete, die sich als „Kräfte zur Selbstverteidigung der russischsprachigen Bevölkerung“ bezeichneten, umzingelten das Gebäude, ließen die Parlamentarier am Folgetag jedoch passieren. Weil sie sicher sein können, dass sie ihre Interessen vertreten. Die Mehrheit ist moskautreu.

Woher kommt diese Russlandtreue?

Sie kommt daher, dass Russen in der Bevölkerung mit rund 60 Prozent die übergroße Mehrheit bilden. Das Zarenreich siedelte sie gezielt an, als es die Halbinsel im 18. Jahrhundert dem Osmanischen Reich abnahm. Dessen Herrscher hatten dem im Mittelalter eroberten Khanat der Krimtataren relativ große Autonomierechte gewährt und sich dadurch dessen Loyalität gesichert. Russland standen die Krimtataren stets kritisch gegenüber. Stalin ließ sie wegen angeblicher Kollaboration mit der Wehrmacht 1944 kollektiv nach Sibirien deportieren.

Sein Nachfolger Nikita Chruschtschow erlaubte Teilen der Volksgruppe die Rückkehr, „schenkte“ die Krim aber 1954 der Ukraine, in deren Parteiapparat Chrustschow selbst seinen Aufstieg begonnen hatte. Die Mehrheit der Krim-Bewohner, aber auch der Bevölkerung Russlands hat sich damit nie abgefunden. Russen wie Tataren – der Rest der Volksgruppe durfte nach dem Ende der Sowjetunion 1991 zurück – fordern mehr Autonomierechte, die Tataren zudem Wiedergutmachung. Sie haben zu Russen wie Ukrainern ein nicht ganz spannungsfreies Verhältnis, sehen in der neuen Macht in Kiew aber offenbar das geringste aller möglichen Übel und sind gegen eine Annäherung an Russland.

Woran entzündet sich der Konflikt?

Vor allem Krimtataren waren an den Auseinandersetzungen mit bewaffneten Gruppen der russischsprachigen Bevölkerung um die Zukunft der Halbinsel beteiligt. Sie begannen bereits am Montag in Sewastopol, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist. Russische Politiker gossen dabei Öl ins Feuer Der größere Teil der Krim-Bevölkerung wolle sich von der Zentralregierung in Kiew keine „neue Demokratie“ aufzwingen lassen, warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der russischen Duma, Alexei Puschkow. Der Westen müsse respektieren, dass auch das Volk der Krim das Recht auf freie Willensäußerung hat. Die russischsprachige Bevölkerung fürchtet nach den Vorgängen in Kiew um ihre kulturelle und politische Selbstbestimmung. Deshalb setzte das besetzte Regionalparlament am Donnerstag ein Referendum über den künftigen Status der autonomen Republik für den 25. Mai an.

Wie groß ist die Gefahr eines militärischen Eingreifens Russlands?

Am Mittwoch hatte Wladimir Putin überraschend die Überprüfung der Gefechtsbereitschaft im zentralen und im westlichen Militärbezirk angekündigt. Darüber war zwar auch die Nato informiert worden (siehe Kasten). Aber der Schritt hatte dennoch im Westen heftige Irritationen ausgelöst. Fast zeitgleich warnte Georgiens Ex-Präsident Michail Saakaschwili im ukrainischen Fernsehen, Russland werde versuchen, die Krim aus der Ukraine herauszubrechen und sie mit abtrünnigen Regionen Georgiens und Moldawiens zu einem russischen Protektorat vereinigen, das Moskaus Südflanke als Schutzschild dient.

Aus Sicht russischer Experten ist ein bewaffneter Konflikt wie 2008 mit Georgien unwahrscheinlich. Die Ukraine hat zehnmal mehr Soldaten als die georgische Nationalgarde: rund 200 000 Mann. Auch wäre die internationale Reaktion verheerend. Allerdings bangt Russland um das Schicksal seiner Schwarzmeerflotte. Denn die neue Macht in Kiew könnte die 2010 verlängerten Abkommen zur Stationierung der russischen Flotte auf der Krim kippen. So pochen die prowestlichen Kräfte im ukrainischen Parlament, die mittlerweile die Mehrheit haben, darauf, zu den alten Pachtverträgen zurückzukehren, die 2017 ausgelaufen wären. Moskau fürchtet auch, die Ukraine könnte ihre Neutralität aufgeben und der Nato die Stationierung von Schiffsverbänden auf der strategisch wichtigen Krim erlauben, über die Russland Zugang nicht nur zum Schwarzen Meer, sondern auch zum Mittelmeer und damit zum Südatlantik hat.

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