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Politik: Putin in Berlin: Tschetschenien, war da was? Alle deutschen Politiker sind nett zu dem russischen Staatschef (Kommentar)

Wer die Reaktionen deutscher Politiker auf Putins Besuch in Berlin verfolgt, kann sich nur wundern. Hans-Dietrich Genscher forderte vorgestern im "Tagesspiegel" den Willen zu einer immer engeren Zusammenarbeit mit der neuen russischen Führung ein.

Wer die Reaktionen deutscher Politiker auf Putins Besuch in Berlin verfolgt, kann sich nur wundern. Hans-Dietrich Genscher forderte vorgestern im "Tagesspiegel" den Willen zu einer immer engeren Zusammenarbeit mit der neuen russischen Führung ein. Gewiss, muss man Russland ernst nehmen. Aber schließt das die Verbeugung vor einem Staatsmann ein, dessen Politik Zweifel mehr als alles andere verdient?

Kanzler Schröder erwähnt zum Beispiel das Thema Tschetschenien nur am Rand seiner Erklärungen, zeigt sich aber fasziniert von seinem sachkundigen Gesprächspartner. Ein misslauniger Außenminister Fischer spricht im "Tagesthemen"-Interview vom Meinungsaustausch zu Fragen, bei denen es nun einmal verschiedene Positionen gebe, und der Notwendigkeit, den Tschetschenienkonflikt politisch zu lösen. Der Moderator Ulrich Wickert, der es gern deutlicher hätte, hakt mehrfach nach - erfolglos. CDU-Chefin Angela Merkel ist gleichfalls beeindruckt von Putin und freut sich schon auf ihren Russlandbesuch. Und Edmund Stoiber will die Leinen in Richtung wirtschaftliche Zusammenarbeit los machen und betont, dass Putin doch demokratisch gewählt ist.

Aber das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn am Anfang der "demokratischen Wahl" Putins stand der völlig zerrüttete Vorgänger Boris Jelzin, der um den Erhalt seines kriminellen Familienimperiums zittern musste und einen Abgang mit Ehren suchte. Sein von ihm ins Auge gefasster Nachfolger bürgte für KGB-Kompetenz, Durchsetzungskraft und die bedingungslose Bereitschaft, alle finanziellen Transaktionen des Jelzinclans zu decken. Putin, den bis dahin kaum ein Mensch kannte, musste nur noch die Wahlen gewinnen. Profil gewann er durch die Entfesselung des zweiten Tschetschenienkrieges in den Ruinen von Grosny. Wahlkonkurrenten, wie Grigor Jawlinski, die als russische Patrioten diesen schmutzigen Krieg in Frage stellten oder gar nach den Hintermännern der kriegsauslösenden und als tschetschenisch-terroristisch deklarierten Sprengstoffanschläge fragten, hatten keine Chance. So wurde Putin von einer Woge des Chauvinismus an die Macht gespült. Sein Versprechen, die letzten tschetschenischen Terroristen, zu denen nach der Säuberungspraxis russischer Sondereinheiten auch Frauen und Kinder gehören, nötigenfalls auf dem Klo zu massakrieren, sollte man ernst nehmen.

Putin kommt hier zu Lande gut an, weil er als Freund Deutschlands gilt. Da war der KGB für ihn eine ausgezeichnete Schule. Er wäre von allen guten Geistern verlassen, wenn er sein "Dresdner Kapital", seine geheimdienstlichen Gesellenjahre in der späten DDR, nicht einsetzen würde, um Deutschland zu umwerben und seinen Gesprächspartnern zu suggerieren, dass sie es mit einem Freund des Landes zu tun haben. Das ist eine Frage des Kalküls. Man muss nur darauf hereinfallen wollen, wenn Wirtschaftsinteressen und der alte Traum deutsch-russischer Sonderbeziehungen winken.

In allen Ländern Osteuropas werden bei diesen Avancen die Warnlampen angehen. Schröders Unternehmen, die baltischen Staaten kurz vorher für mehrere Tage zu besuchen, in allen ihren berechtigten Erwartungen zu vertrösten und jetzt den Schulterschluss mit dem dem russischen Präsidenten zu üben, wird in die Geschichte eingehen. Nun ist von einer neuen Ära in den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland die Rede. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem Putin präsidialdiktatorisch die noch kaum entwickelten demokratischen Ansätze in den russischen Provinzen abzuwürgen sucht, die tschetschenische Sonderverwaltung ausruft und auf die Nachfrage betreffs verhafteter Journalisten treuherzig erklärt, dafür sei die Staatsanwaltschaft zuständig.

Wenn es deutschen Politikern um demokratische Verantwortung und Unterstützung für die russische Gesellschaft ginge und nicht nur um Wirtschaftsinteressen und Machtkalkül, sollten sie die Stimmen der sich formierenden russischen demokratischen Opposition, die Stimme von Sergej Kowaljow und der Gesellschaft Memorial ernst nehmen und nicht Russland mit dem System Putin verwechseln. Dann wäre es auch nicht die alleinige Aufgabe eines versprengten Häufleins von Demonstranten auf den Straßen Berlins, an eine Reihe unbequemer Wahrheiten zu erinnern. Die "Ära Putin" wird im besten Falle zu einer fragwürdigen Episode auf dem schwierigen Weg Russlands in die Demokratie.

Wolfgang Templin

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