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Auf der Seite Erdogans. Nach dem Putschversuch am 15. Juli gingen Tausende in der Türkei auf die Straße, um den Präsidenten zu unterstützen.

© dpa

Putschversuch in der Türkei: Ein Bericht ohne Zweifel

Der Untersuchungsausschuss in der Türkei sieht klare Schuldige für den Putschversuch: Er macht die Gülen-Bewegung verantwortlich – und wirft dem Geheimdienst Versagen vor.

Knapp eintausend Seiten zählt er, doch die drei wichtigsten Personen kommen nicht zu Wort. Der Putsch-Untersuchungsausschuss des türkischen Parlaments hat seinen Abschlussbericht verfasst, ohne die Chefs von Armee und Geheimdienst sowie den Staatspräsidenten angehört zu haben. Die Regierungspartei wollte es nicht, und erst recht nicht Recep Tayyip Erdogan. „Ich will nichts mehr sagen“, hatte der Staatschef unlängst erklärt, der Ausschuss möge mit seiner Arbeit zu Ende kommen. Dabei ist Erdogan sonst sehr gesprächig. Täglich hält er wenigstens eine Rede, die live auf den Nachrichtensendern übertragen wird.

T24, ein regierungsunabhängiges Nachrichtenportal, veröffentlichte am Donnerstag den Entwurf des Abschlussberichts. Am 4. Januar soll er dann offiziell vorgestellt werden. Bis dahin soll der Ausschuss seine Untersuchung über die Hintergründe des vereitelten Putschs vom Juli dieses Jahres und über die Infiltrierung des türkischen Staates durch die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen beenden. Viel wird sich am Bericht nicht mehr ändern: Die regierende konservativ-islamische AKP hat mit ihren neun Abgeordneten die Mehrheit im Ausschuss; die vier Sozialdemokraten der CHP und der eine Vertreter der Kurdenpartei HDP – er ist noch nicht verhaftet – werden ihre abweichende Meinung zu Protokoll geben, vielleicht auch der Parlamentarier der rechtsnationalistischen MHP.

Doch auch wenn Hakan Fidan, der Leiter des Geheimdiensts MIT, Generalstabschef Hulusi Akar und Erdogan persönlich nicht vor dem Ausschuss ausgesagt haben, so werden die türkischen Parlamentarier doch sehr deutlich: Der Geheimdienst sei die staatliche Institution, die sich während des Putschs als unzureichend erwiesen habe, und müsse nun neu aufgestellt werden, so empfiehlt der Untersuchungsausschuss. Ganz so, wie die USA es nach 9/11 mit ihrer Bundespolizei FBI getan hätten.

Fidan und sein Geheimdienst sind der große blinde Fleck des 15. Juli. Am frühen Nachmittag jenes Freitags erfuhr der Chef des MIT von den unmittelbaren Vorbereitungen eines Militärputschs. Die politische Führung des Landes – den Präsidenten und den Regierungschef – alarmierte er nicht. Fidan beriet sich dafür mit Armeechef Hulusi Akar. Auch der schien merkwürdig gelassen reagiert zu haben. Krasse Fehleinschätzungen? Oder ein Komplott im Komplott?

Erdogan hat beide Männer im Amt belassen, während die Säuberungswellen gegen angebliche Gülenisten anderswo im Staat, bei Medien, der Privatwirtschaft und an den Universitäten erbarmungslos vorangetrieben werden. 85 911 Staatsbedienstete wurden bis zur Drucklegung des Ausschussberichts entlassen; nur 229 kehrten demzufolge bisher nach einer Untersuchung der Vorwürfe an ihre Arbeitsplätze zurück.

Dass der Putsch das Werk der Gülen- Bewegung war, ist die Prämisse des Untersuchungsausschusses – oder zumindest der Regierungsmehrheit im Ausschuss. Ein Organigramm des globalen Netzwerks mit seinen „Imamen“ für die Kontinente und dem seit 1999 im selbstgewählten Exil in den USA lebenden Prediger Gülen ist dem Ausschussbericht beigelegt, ebenso wie eine lange Liste türkischer Politiker, Unternehmer und Journalisten, die Gülen-treue Beamte im Sicherheitsapparat abhörten.

Der langjährige Chef von Turkish Airlines, Temel Kotil, ist darunter oder auch die Söhne von AKP-Ministern. Der heute 75-jährige Gülen wird für ziemlich jede politische oder religiös motivierte Gewalttat verantwortlich gemacht, die im vergangenen Jahrzehnt in der Türkei stattfand: vom Mord am armenisch-türkischen Publizisten Hrant Dink im Jahr 2007 über jenen an Protestanten in Malatya im selben Jahr zum mysteriösen Hubschrauberabsturz des national-islamischen Parteichefs Muhsin Yazicioglu 2009. Der Putsch vom Juli 2016 war nur der Höhepunkt von Gülens Destabilisierungsversuchen, so lautet der Gedanke.

Weil der Bericht des Untersuchungsausschusses die Handschrift der Regierungspartei trägt, findet man nichts über die engen Verbindungen zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung. Gülen habe innerhalb aller Parteien gute Beziehungen gehabt, heißt es lediglich.

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