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Ein Attentat der RAF: Das Wrack des gepanzerten BMW, in dem der Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts und sein Fahrer ums Leben kamen, liegt im Straßengraben.

© dpa

RAF - die dritte Generation: Die Mörder von Alfred Herrhausen wurden nie gefasst

Zwischen 1983 und 1993 schlugen die RAF-Terroristen der dritten Generation immer wieder zu. Ihre blutige Bilanz: zehn Tote, drei versuchte Mordanschläge, mehr als zwei Dutzend Verletzte. Doch keines der Attentate ist vollständig aufgeklärt.

Es ist kalt an diesem Morgen in Gauting am Starnberger See, der 1. Februar 1985. Vor einem weißen Bungalow mit einer Gaslaterne neben dem schmiedeeisernen Gartentor liegen Schneehaufen. Um 7.20 Uhr öffnet Ingrid Zimmermann die Haustür. Eine zierliche Frau mit Wollmütze hat geklingelt, sie hält einen Umschlag in der Hand. „Ein Brief für Dr. Zimmermann“, sagt sie. „Ich brauche von ihm eine Unterschrift.“

Für Ingrid Zimmermann ist die Frau in diesem Moment lediglich eine Briefbotin. Zehn Minuten später ist sie die Mörderin ihres Gatten. Denn plötzlich drängt sich auch noch ein Mann in die Wohnung, Trenchcoat, rot-grün-gelbe Wollmütze. 1,70 Meter groß, in den Händen eine Maschinenpistole.

Die beiden fesseln Ingrid Zimmermann und lassen sie im Flur liegen. Ihr Mann dagegen muss sich im Schlafzimmer auf einen Stuhl setzen. Dann kracht ein Schuss. Ernst Zimmermann, Vorstandsvorsitzender des Konzerns MTU, der auch Motoren für „Leopard“-Panzer herstellt, stirbt durch einen Genickschuss. Hingerichtet von einem Kommando der Roten Armee Fraktion (RAF). Von den Mördern gibt es bis heute nicht die geringste Spur. Nicht mal einer ihrer Namen ist bekannt.

Der erste Mord der dritten RAF-Generation.

Begonnen hatte alles am 14. Mai 1970. An diesem Tag, einem Donnerstag, befreien ein Mann und drei Frauen, darunter Ulrike Meinhof, Andreas Baader. Ein ehemals verkappter Dandy, der wegen Brandstiftung im Gefängnis sitzt und über Pläne von einer Stadtguerilla sinniert. Dieser Tag gilt als Geburtsstunde der RAF. Rund zwei Jahre später sind fast alle RAF-Mitglieder verhaftet, darunter die Führungsgruppe Baader, Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.

Doch der Terror ist damit nicht zu Ende. Die RAF erhält neue Mitglieder, vor allem ehemalige Sympathisanten, die zweite Generation. Die entführt und ermordet unter anderem den Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer. Im Herbst 1982 werden die RAF-Führungsköpfe Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz festgenommen. Nun ist auch die zweite Generation Geschichte.

Doch nicht die RAF selbst. 1984 formiert sich die dritte Generation, wieder tauchen vor allem frühere Sympathisanten ab.

Am 30. November 1989, vor fast genau 25 Jahren, erschüttert diese RAF-Gruppe mit ihrem spektakulärsten Anschlag die Nation. Um 9.34 Uhr fährt ein gepanzerter Mercedes 500 in Bad Homburg über den Seedammweg, auf dem Rücksitz Alfred Herrhausen, Sprecher der Deutschen Bank, einer der mächtigsten Wirtschaftsführer Europas. Als der Wagen ein silberfarbenes Jugendfahrrad passiert, das an einem Begrenzungspfahl lehnt, fliegt der Mercedes in die Luft. In einer Sporttasche auf dem Rad sind sieben Kilogramm Sprengstoff explodiert, ausgelöst durch eine Lichtschranke, die der Mercedes durchfahren hat.

Grausamer Höhepunkt einer Terrorwelle.

Mindestens vier Personen waren an dem Anschlag beteiligt, die Vorbereitung hat Wochen gedauert. Die RAF bekennt sich in Schreiben an Tageszeitungen und Presseagenturen zu dem Attentat. Die übliche Methode: Nach jedem Anschlag offenbart sich die RAF, Erklärungen und Rechtfertigungen gespickt mit schwer verständlichen ideologischen Phrasen. Aber auch im Fall Herrhausen: keine Spur von den Mördern.

Zwischen 1984 bis 1993 wütet die dritte RAF-Generation, ihre entsetzliche Bilanz: zehn Tote, drei versuchte Mordanschläge, mehr als zwei Dutzend Verletzte. Sie zündet eine 240-Kilo-Autobombe auf der Rhein-Main-Airbase der US Army, sie jagt den BMW des Siemens-Managers Karl-Heinz Beckurts in die Luft, der ebenso stirbt wie sein Fahrer. Sie legt den Gefängnisneubau in Weiterstadt mit 200 Kilogramm Sprengstoff in Schutt und Asche. Weiterstadt ist ihr letztes Attentat. Ein Jahr zuvor hatte die RAF erklärt, sie wolle ab sofort die „Eskalation zurücknehmen“. Anders gesagt: Sie ermordet keine Menschen mehr. In Weiterstadt fährt die RAF die Wärter, die sie gefangen hat, in sichere Entfernung und flieht dann im Auto eines Gefängnisbeamten, der gefesselt mit seinen Kollegen in einem Kombi sitzt.

Nicht eines dieser Attentate bis Weiterstadt ist vollständig aufgeklärt, in den wenigsten Fällen kennt man überhaupt die Täter. Nur Eva Haule (Anschlag auf die Airbase und missglückter Anschlag 1984 auf die Nato-Schule in Oberammergau), Birgit Hogefeld (Airbase, Mord an US-Soldat Edward Pimental und Anschlag auf Staatssekretär Hans Tietmeyer und seinen Chauffeur) sowie Manuela Happe (sie hatte 1984 auf Polizeibeamte geschossen) wurden als Mitglieder der dritten Generation verurteilt.

Warum ist die Fahndung trotz Millionensummen so erfolglos?

Haule, Hogefeld und Happe haben eine klassische RAF-Biografie. Haule studiert jahrelang und lustlos Sozialwesen in Reutlingen und Sozialpädagogik in Berlin, betreut den inhaftierten RAF-Terroristen Christian Klar und taucht 1984 selber zu den Illegalen ab. Vor ihrem Gang in die Illegalität lebt sie von Sozialhilfe.

Hogefeld studiert Jura, jobbt dann aber als Orgellehrerin. Auch sie betreut ein inhaftiertes RAF-Mitglied. 1984 geht sie mit ihrem Freund Wolfgang Grams in die Illegalität. Beide sind ganz wesentlich am Aufbau der dritten Generation beteiligt.

Manuela Happe und Eva Haule lernen sich in Berlin kennen, in der linksradikalen Szene. Haule und Hogefeld werden später jeweils zu lebenslanger Haft verurteilt. Haule kommt 2007 frei, nach 21 Jahren Haft. Als sie das Gefängnis verlässt, ist sie 53 Jahre alt. Hogefeld muss 18 Jahre absitzen, 2011 darf sie in Freiheit, als 55-jährige Frau. Manuela Happe wird zu 15 Jahren Haft verurteilt; sie darf 1995, nach elf Jahren im Gefängnis, wieder in die Freiheit.

Das ist die juristische Bilanz der Fahndung nach der letzten RAF-Generation. Aber warum nur ist der deutsche Fahndungsapparat trotz größten Personaleinsatzes, trotz Millionensummen für die Fahndung, trotz seiner High-Tech-Methoden so erfolglos?

In einem Karlsruher Reihenhaus sitzt ein älterer Mann mit markantem weißen Bart und sagt, Resignation in der Stimme: „Diese Leute haben die Fehler ihrer Vorgänger vermieden. Die haben sehr genau zugehört, als in den Prozessen gegen Mitglieder der zweiten Generation die Fahndungsmethoden der Polizei zur Sprache gekommen sind.“ Rainer Griesbaum war jahrelang Bundesanwalt, er war in die Ermittlungen im Fall Herrhausen eingebunden, er war führend bei der Jagd nach der dritten Generation der RAF. Jetzt ist er 66 Jahre alt und seit Ende 2013 im Ruhestand. Aber das Thema lässt ihn nicht los.

Die Rasterfahndung hatte dem Bundeskriminalamt (BKA) noch bei der Jagd nach Mitgliedern der zweiten Generation geholfen. Die Polizei identifizierte eine Systematik bei der RAF: Die Terroristen mieteten Wohnungen in Hochhäusern, sie zahlten Miete, Strom und Wasser in bar, sie fuhren Autos mit gefälschten Kennzeichen. Und, natürlich: Sie hinterließen auch noch massenhaft Fingerabdrücke.

Die dritte Generation hat aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt

Die Mitglieder der dritten Generation lebten dagegen im Land wie ganz normale Bürger. „Völlig unauffällig“, sagt Griesbaum. Diese RAF-Leute bewegten sich nahezu ausschließlich in Zügen, ausgestattet mit Bahncards. Das konnte man später anhand von Gepäckstücken nachweisen, die Grams und Hogefeld gehörten. Sympathisanten mieteten Wohnungen für die Illegalen, die hinterließen auch keine Fingerabdrücke. Nur eine RAF-Unterkunft der dritten Generation flog auf, ein Zimmer, entdeckt 1985 in Tübingen. Eine Frau, der Name ist bis heute unbekannt, hatte das Zimmer von einer Studentin gemietet, die es am schwarzen Brett der Uni anbot, weil sie eine Zeitlang ins Ausland ging. Aber das Zimmer blieb auf die Studentin angemeldet. Die Miete wurde ihr aufs Konto überwiesen.

Weil die RAF nicht fassbar war, umwehte sie zunehmend ein seltsamer Mythos. Und in dieser Atmosphäre entwickelte sich eine abenteuerliche Theorie. 1992 erschien das Buch „Das RAF-Phantom“ mit der Kernaussage, die dritte Generation der RAF habe nie existiert. Vielmehr hätten deutsche Geheimdienste seit 1984 die Anschläge verübt.

Eine völlig abstruse These. Birgit Hogefeld hat dazu nach ihrer Festnahme lapidar erklärt: „In den linksradikalen Zusammenhängen hatte dieser Unsinn nie eine Bedeutung.“ Auch Griesbaum kommentiert: „Blödsinn.“ Erheblich deutlicher formulierte Eva Haule 2007 in einem Leserbrief an die „Junge Welt“: „Hier noch mal klipp und klar: die RAF war verantwortlich u.a. für die Aktionen gegen Alfred Herrhausen, Gerold von Braunmühl und Detlev Rohwedder.“ Den Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt von Braunmühl erschossen zwei RAF-Mitglieder am 10. Oktober 1986 vor seiner Haustür. Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder starb 1991, als er kurz vor Mitternacht gerade ins Bett gehen wollte. Ein Scharfschütze der RAF tötete ihn aus 63 Meter Entfernung. Der Mörder saß auf einem Gartenstuhl in einem Schrebergarten.

Es gibt derzeit keine neuen Erkenntnisse

Im November 2013 treffen sich Bundesanwälte und Kripoleute beim BKA zu einer großen Besprechung. Thema ist die Bilanz der Fahndung nach der RAF. Griesbaum ist dabei, ein paar Tage noch, bis er in den Ruhestand tritt. „Die bittere Erkenntnis lautete: Wir haben alle Ermittlungsansätze abgearbeitet, es gibt derzeit keine neuen Erkenntnisse“, sagt er.

1998 erklärt die RAF ihre Selbstauflösung, das achtseitige Papier wird an Presseagenturen geschickt. 2007 untersucht das BKA mit neuesten Methoden sogar noch die Briefumschläge, in denen die Erklärung verschickt worden ist. Vielleicht, so lautetet die Hoffnung, findet man nachträglich noch eine DNA-Spur. Und? Was wurde gefunden? „Nichts“, sagt Griesbaum.

DNA-Spuren, die mit den jetzigen Methoden noch nicht aufzuspüren sind, das ist die einzige Hoffnung, die Griesbaum und das BKA noch haben. Sonstige kriminaltechnische Spuren zu den RAF-Leuten gibt es nicht.

In einem Weinlokal in Stuttgart sitzt Klaus Pflieger vor einem Glas Mineralwasser. Pflieger war ebenfalls Mitglied der Bundesanwaltschaft, er hat den Prozess gegen Eva Haule geführt, er hat ebenfalls RAF-Mitglieder gejagt. Auch er ist jetzt im Ruhestand, ein Mann mit ergrauten Haaren und gediegenem Auftreten. Pflieger faltet die Hände und sagt mit einem Anflug von Frust: „Früher hatten wir noch Stimmproben zum Vergleich.“ RAF-Mitglieder der zweiten Generation hatten 1977 ihre Gespräche mit dem entführten Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer auf Tonband aufgenommen. „Und Vergleiche von Schreibmaschinen, wie noch bei der zweiten Generation, gab es später auch nicht mehr“, sagt Pflieger. Die RAF der dritten Generation tippt auf die Tasten von Computern.

Eva Haule wurde eine Schreibmaschine zum Verhängnis

Nur Eva Haule wird noch eine Schreibmaschine zum Verhängnis. Die steht in ihrer Zelle, auf ihren Tasten hat sie einen Kassiber mit Angaben zum Airbase-Anschlag an Manuela Happe getippt. Die Zettel fallen bei einer Routinedurchsuchung aus einem Wäschekorb. Experten beweisen, dass die Nachrichten auf Haules Schreibmaschine entstanden sind. „Zu 99 Prozent basierte darauf ihre Verurteilung“, sagt Pflieger.

Verhaftet wird Haule allerdings nicht durch klassische Ermittlungen. Stattdessen wird sie ganz banal Opfer eines misstrauischen Mannes. Der ist bei der Polizei als „Oberverdachtsschöpfer“ eingestuft, und an einem Samstag im August 1986 teilt er Beamten in Rüsselsheim mit, dass im Eiscafe „Dolomiti“ drei Personen sitzen, die sich verdächtig benehmen. Die Polizei kommt und stellt unverhofft fest, dass ihr gerade Eva Haule und zwei Mitglieder der „Kämpfenden Einheit“ ins Netz gegangen sind. Mitglieder der „Kämpfenden Einheit“ stammen aus dem Unterstützerbereich der RAF.

Haules Festnahme ist Zufall. Die klassischen Fahndungsmethoden dagegen laufen ins Leere. „Die Frage der Ermittler war ja immer: Weshalb haben wir nur rudimentär verwertbare Spuren gefunden?“, sagt Griesbaum.

Die Terroristen setzen Autos sehr dosiert und nur kurz vor der Tat ein

Beim Überfall auf das Ehepaar Zimmermann pfeift plötzlich der Wasserkessel auf dem Küchenherd. Die RAF-Frau rückt ihn auf eine andere Herdplatte, sie trägt keine Handschuhe. Trotzdem werden keine Fingerabdrücke gefunden. Solche Spuren lassen sich mit einem Wundspray vermeiden. Man muss es nur auf die Fingerkuppen sprühen.

Die Terroristen setzen Autos sehr dosiert und frühestens kurz vor der Tat ein. In den Fahrzeugen finden Kriminalexperten dann zwar Haare und Faserspuren, „aber das nützte uns nichts“, sagt Griesbaum. „Wir hatten ja keine Vergleichsspuren.“ Gehört ein Haar einem harmlosen Autofahrer oder einem RAF-Mitglied? Das BKA weiß es nicht.

Glück haben die Fahnder selten. RAF-Mitglieder hatten 1990 insgesamt 250 Gewehrkugeln in die US-Botschaft in Bad Godesberg gejagt. In dem Fluchtfahrzeug finden BKA-Techniker endlich ein Haar, das sie auch zuordnen können – zehn Jahre nach dem Fund. Es gehört Daniela Klette.

Sie, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg werden bis heute als RAF-Mitglieder gesucht. Von Staub und Klette werden DNA- und Faserspuren gefunden. Nach Garweg wird aufgrund komplizierter Ermittlungsmethoden als RAF-Mitglied gefahndet.

Aber selbst nachträglich entdeckte DNA-Spuren allein nützen wenig. Nachdem ein RAF-Scharfschütze 1991 den Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder in seiner Wohnung erschossen hat, wird am Tatort ein Handtuch gefunden. Am Stoff klebt ein Haar von Wolfgang Grams. Dass Grams RAF-Mitglied ist, steht zu diesem Zeitpunkt außer Frage. „Doch das Haar allein reicht nicht, um ihm nachzuweisen, dass er an dem Mord beteiligt war“, sagt Pflieger.

Zeugen-Aussagen waren selten zielführend

Ja, aber was ist denn dann mit Zeugenaussagen? Ingrid Zimmermann hat die Täter doch gesehen, an der Haustür, als sie noch ganz entspannt ist. Sie müsste sich doch wunderbar erinnern. Und die Herrhausen-Mörder fallen als Jogger getarnt auf. Zudem haben sie eigenhändig sechs Wochen vor dem Anschlag einen Draht für die Lichtschranke verlegt. Getarnt als Bauarbeiter haben sie in aller Ruhe den Bürgersteig aufgemeißelt. Kurz darauf entdeckt ein nichts ahnender Passant einen Teil des Drahts und zieht ihn raus. Die Täter verlegen einen neuen Draht.

Tja, Zeugenaussagen. Klaus Pflieger legt die Stirn in Falten und sagt: „Zeugenaussagen sind mit Abstand unser schwächstes Beweismittel.“ Auch Griesbaum winkt nur ab. „Natürlich haben viele Leute die RAF-Mitglieder bei der Vorbereitungsphase im Fall Herrhausen gesehen“, sagt er. „Aber niemand war in der Lage, diese Leute genau zu beschreiben geschweige denn, sie auf Lichtbildern wiederzuerkennen.“

Im Fall Ponto verursacht eine Zeugenaussage sogar eine peinliche Panne. Jürgen Ponto, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, wird am 30. Juli 1977 in seinem Haus von RAF-Mitgliedern erschossen. Die Tür zu Ponto hat Susanne Albrecht für die RAF geöffnet. Sie ist die Schwester seines Patenkinds. Ponto wusste nicht, dass Susanne Albrecht Kontakt zur RAF hatte.

„Frau Ponto“, sagt Pflieger, der später auch mit diesem Fall befasst war, „hat die Begleiter von Susanne Albrecht gesehen. Auf Lichtbildern der Polizei zeigte sie auf eine Frau. „Sie gehörte zu den Tätern“, sagte sie. Die Polizei nahm die Frau fest. „Nach 14 Tagen“, seufzt Pflieger, „musste man sie wieder freilassen. Sie hatte ein Alibi“.

Natürlich gäbe es noch eine Methode, die Spur zu den ehemals Illegalen aufzunehmen. Viele rutschten ja über die Sympathisantenszene in den RAF-Kern. Auch Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams waren jahrelang Unterstützer der RAF.

"Verschwinden ist keine Straftat"

1993 will die Polizei Hogefeld und Grams mit 38 BKA-Leuten, 37 GSG-9-Männern und 22 weiteren Beamten des Bundesgrenzschutzes festnehmen. Klaus Steinmetz, ein V-Mann des Verfassungsschutzes, hat Hogefeld in Bad Kleinen bei Schwerin getroffen, ein einmaliger Erfolg. Kurz vor der Abreise von Hogefeld und Steinmetz aus Bad Kleinen stößt Grams zu den beiden. Der Festnahmeversuch endet als Debakel: Der GSG-Mann Michael Newrzella kommt ums Leben, Grams tötet sich selber mit einem Kopfschuss, Hogefeld wird verhaftet.

Aber wenn doch der Weg zu den Illegalen einem Muster entspricht, könnte man doch einfach nur registrieren, welcher Unterstützer und Sympathisant plötzlich von der Bildfläche verschwunden ist. Oder? Nahe liegt doch dann, dass die betreffende Person zur RAF gewechselt ist. Doch bei dieser These blickt Pflieger nur mitleidig. So läuft’s im Rechtsstaat Bundesrepublik nicht. Natürlich hatten die Ermittler die Unterstützerszene im Blick. Aber nur weil einer plötzlich verschwindet, kann man gegen den ja keinen Haftbefehl ausstellen. „Verschwinden ist schlicht keine Straftat.“

Es gab einen Fall in dieser Richtung, der Pflieger „beschäftigt hat“. Barbara Meyer gehörte in Stuttgart jahrelang zur Sympathisantenszene, sie stand auch mal im Verdacht, die RAF konkret unterstützt zu haben. „Wir haben bei ihr Durchsuchungen gemacht“, sagt Pflieger.

Und plötzlich war sie wie vom Erdboden verschluckt. „Unsere erste Reaktion war: Sie muss ein RAF-Mitglied geworden sein“, sagt Pflieger. Barbara Meyer wurde nun mit Haftbefehl gesucht. Doch dann, für Pflieger „völlig überraschend“, hat sie sich gestellt. Es gab Gespräche mit der Staatsanwaltschaft, man konnte ihr nichts nachweisen, und dann „wurde das Verfahren eingestellt“.

Auch das Foto von Christoph Seidler prangte auf RAF-Fahndungsplakaten. Im November 1996 stellt er sich ebenfalls freiwillig, zwölf Jahre nach seinem Abtauchen im November 1984. Nach wenigen Stunden wird er wieder freigelassen. Er hatte Kontakt zur RAF, das gibt er zu. Aber diese RAF hat ihm auch einen Umzug in den Libanon vermittelt. Sogar Eva Haule gibt das zu. „Wir von der RAF meinten, die Lösung für Christoph sei ein anderes Land“, teilt sie mit. Die Bundesanwaltschaft kann nicht widerlegen, dass Seidler bis zu seinem Auftauchen im Libanon gelebt hat. Der Haftbefehl gegen ihn wegen des Verdachts der Beteiligung am Herrhausen-Attentat wird aufgehoben. Die Ermittlungen gegen ihn werden später eingestellt.

Gerade mal drei RAF-Mitglieder sucht das BKA namentlich: Staub, Klette, Garweg, drei Personen im reifen Alter. Staub und Klette sind 60, Garweg ist 50 Jahre alt. Und diese drei kommen für viele RAF-Anschläge nicht infrage. Staub saß bis 1988 im Gefängnis, Garweg gilt erst seit 1990 als RAF-Mitglied. Und auch Klette wird in der 80er Jahren lange im legalen Umfeld gesehen.

Jetzt, 2014, hat auch Pflieger keine Hoffnung mehr, dass Anschläge noch aufgeklärt werden

Birgit Hogefeld wurde für den Airbase-Anschlag auch deswegen verurteilt, weil ihr die Ankläger nachweisen konnten, dass sie den US-Soldaten Edward Pimental in die Falle gelockt hatte. Die RAF erschoss Pimental, weil sie den Dienstausweis des US-Soldaten benötigte. Sonst wäre sie nicht auf die Airbase gekommen. Hogefeld wurde durch eine Gegenüberstellung überführt. „Aber das war schwierig genug“, sagt Pflieger.

Von Klette und Staub finden Fahnder noch eine letzte Spur, ein Jahr nachdem sich die RAF aufgelöst hat. 1999 überfallen mehrere Personen, vermummt mit Sturmhauben und Integralhelmen, in Duisburg einen Geldtransporter. Sie erbeuten mehr als eine Million Mark. An den Helmen und Sturmhauben entdecken Ermittler DNA-Spuren von Staub und Klette. „Aber das hatte nichts mehr mit der RAF zu tun“, sagt Pflieger. Das war eine reine Geldbeschaffungsaktion. Ex-RAF-Mitglieder sichern sich ihren Lebensabend.

Seither sind auch sie wie vom Erdboden verschluckt.

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