zum Hauptinhalt
Tatort. Der Dienstwagen des ermordeten Generalbundesanwalts Buback nach dem Attentat im April 1977.

© Heinz Wieseler/dpa

RAF-Prozess in Stuttgart: Ein Mann und seine Mission

Im Prozess um den RAF-Mord an Siegfried Buback wendet sich Ex-Innenminister Gerhart Baum als Zeuge gegen Verschwörungstheorien – und kann sich sonst an wenig erinnern. Dem Sohn des Opfers reicht das nicht.

Schämen Sie sich? Eine seltene Frage in einem Strafprozess. Wird sie gestellt, dann einem Angeklagten. Jetzt soll ein Zeuge antworten, Gerhart Baum, Bundesinnenminister a. D., FDP-Politiker, 79 Jahre alt, Rechtsanwalt in Köln. Es ist der 76. Verhandlungstag im Mordprozess gegen die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker. Baum ist, abgesehen von RAF-Tätern wie Brigitte Mohnhaupt, Stefan Wisniewski und Christian Klar, bislang der prominenteste Geladene. Anders als jene will und muss er reden – soweit die Aussagegenehmigung reicht, die ihm sein früheres Ministerium erteilt hat.

Aber damit hat die Frage Michael Bubacks nichts zu tun. Der Sohn des 1977 getöteten Generalbundesanwalts Siegfried Buback ist enttäuscht. Niemand, scheint ihm, teilt seinen Willen zur Aufklärung. Auch Baum nicht, damals Parlamentarischer Staatssekretär, der jetzt erklärt, die alten Akten nicht mehr lesen zu wollen; dass sein Interesse „nur das eines Staatsbürgers“ sei.

Sollte Baum sich schämen? Buback spielt auf die Gedenkveranstaltung für die Opfer der Neonazi-Mörder vom Donnerstag an und auf die dort bekundete Scham, weil die Täter nicht früher ermittelt worden seien. Die Täter von damals, sagt er, kenne man bis heute nicht.

Es ist eine für den Gang des Prozesses bezeichnende Frage: Der Richter erklärt sie für unzulässig, Beckers Verteidiger und sogar ihre Ankläger aufseiten der Bundesanwaltschaft schütteln den Kopf. Baum sagt indigniert, das eine habe mit dem anderen doch überhaupt nichts zu tun. Da war es schon wieder laut geworden. Buback hatte Beckers Anwälten vorgeworfen, in seine Fragen „hineinzubrabbeln“, die empörten sich, dessen Verhalten sei „stillos“. Es war wie oft in diesem Prozess, der im April in seine Schlussrunde gehen soll, ob mit Schuld- oder Freispruch, ist offen. Statt gegen Becker, die Angeklagte, geht es gegen Buback, den Nebenkläger. Buback bleibt überzeugt, Verena Becker habe vom Soziussitz eines Motorrads in der Karlsruher Innenstadt auf seinen Vater geschossen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr nur vor, die Tat mitgeplant und mitgedeckt zu haben. Buback hat sich in akribischer Recherche ein eigenes Bild gemacht; dass andere zu anderen Schlüssen gelangen, verwundert ihn und bestärkt sein Misstrauen.

Der Geheimdienst hat Akten für den Prozess gesperrt, andere nur geschwärzt freigegeben.

Eigentlich war Ex-Minister Baum ein Zeuge Bubacks. Denn noch immer schwebt über dem Prozess der Verdacht, Becker könne bereits vor der Tat Spitzel des Verfassungsschutzes gewesen sein, nun halte dieser seine Hand über sie. Belege dafür sind noch keine aufgetaucht, doch hat der Geheimdienst Akten für den Prozess gesperrt, andere nur geschwärzt freigegeben. Dass Becker sich dem Amt Anfang der achtziger Jahre offenbarte, ist bekannt. Sie bekam Geld und später die Gnade des Bundespräsidenten. Auch Baum, der zum Minister aufgerückt war, sagte vor drei Jahren in einer Talkshow, sie habe „nützliche Hinweise“ gegeben. Auftrieb hatte Buback zuletzt die Aussage eines Journalisten gegeben, der verstorbene frühere Hamburger Verfassungsschutzchef Christian Lochte habe ihm gegenüber Becker als Täterin genannt. Zudem hatte ein Ex-Verfassungsschützer ausgesagt, das Innenministerium sei damals über drei mutmaßliche Täter informiert worden, darunter Stefan Wisniewski.

Baum, der dem zunehmend schneidend fragenden Buback höflich, aber mit spürbarer Distanz begegnet, hält nichts von einer „Verschwörungstheorie“. Dass Becker vor der Tat angeworben sein soll, sei unwahrscheinlich, „es war schwierig, in die RAF-Szene einzudringen“. Woher er von Beckers späterer Rolle als Kontaktfrau weiß, ob aus amtlichen Informationen oder erst später aus der Presse, könne er nicht sagen. Das Ministerium habe sich seinerzeit „fast ununterbrochen“ mit der RAF beschäftigt. Es habe eine Fülle von Akten, Vermerken, Informationen und Verdächtigen gegeben. Einzelheiten? Dafür müsse er Akten lesen. Und sich dennoch an seine Aussagegenehmigung halten, die Auskünfte zu Quellen und Methoden des Geheimdiensts ausspart. Unvorstellbar sei für ihn auch, dass der Hamburger Behördenleiter Lochte angebliches Wissen um eine Täterschaft Beckers „mit ins Grab genommen hat, statt die Information weiterzugeben“.

Nachmittags soll Baum entlassen werden. Buback und seine Anwälte fordern, dass er sich in alte Akten hineinwühlt und erneut aussagt. Das bringt nichts, beschließt das Gericht. Baum nimmt seine Jutetasche. „Ich wünsche einen guten weiteren Verlauf“, sagt er und geht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false