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FDP-Fraktionschef und Spitzenkandidat der Liberalen für die Bundestagswahl, Rainer Brüderle.

© Doris Spiekermann-Klaas

Rainer Brüderle: „Wir Liberalen sind der Reformmotor der Union“

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hätte kein Problem mit Stefan Raab als Moderator und gegen ein verändertes Staatsbürgerschaftsrecht hätte er auch nichts. Nur mit dem Verzicht auf das Sitzenbleiben in der Schule hat er ein Problem. Der FDP-Spitzenkandidat im Interview.

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Herr Brüderle, beim Politischen Aschermittwoch wurde Ihnen ein herzlicher Empfang bereitet. Haben Sie sich im Land der Dirndl und Denker wohlgefühlt?

Ich fühle mich in Bayern immer wohl, weil die Bayern eine ähnliche Mentalität haben wie wir in Rheinland-Pfalz. Man isst was Vernünftiges und ist gesellig. So ist das im Süden. Aber auch wenn ich dort zu Hause bin, fühle ich mich auch hier in Berlin sehr wohl.

Wie viel Lockerheit verträgt Politik – auch angesichts der Debatte um Stefan Raab als Moderator für das Kanzler-Duell?
Ich bin der Meinung, dass die Sender entscheiden, wer moderiert. Und wir Politiker entscheiden, was wir antworten. Die Moderatorenfrage finde ich angesichts der aktuellen politischen Weichenstellungen in Deutschland und Europa eher nebensächlich.

Würden Sie sich in eine Talkshow mit dem Moderator Stefan Raab setzen?
Wenn es eine ernsthafte Diskussion ist, hätte ich damit kein Problem.

Bald werden Sie offiziell zum Spitzenkandidaten gekürt. Wollen Sie das wirklich?
Ich bin sehr motiviert und freue mich auf den Wahlkampf. Wir haben eine gute Teamlösung gefunden und kämpfen gemeinsam für gute Wahlergebnisse. Ich bin seit fast 40 Jahren FDP-Mitglied, war fast 30 Jahre Landesvorsitzender und 16 Jahre stellvertretender Parteivorsitzender. Mir ist wichtig, dass der Liberalismus in Deutschland eine feste gesellschaftliche Komponente ist. Liberalismus hat unser Land in verfassungsrechtlichen, wirtschaftspolitischen und marktpolitischen Aspekten entscheidend geprägt. Kein Land steht besser als Deutschland da. Deshalb ist es notwendig, sich für freiheitliche Politik einzusetzen. Rot-Rot-Grün mit Sperrminorität im Bundesrat wird uns nicht zum Erfolg führen.

Warum haben Sie nicht zugegriffen, als Rösler Ihnen den Vorsitz angeboten hat?
Ich bin bereits Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und werde als Spitzenmann eines Teams mit Rösler gemeinsam für die Fortsetzung der erfolgreichen christlich-liberalen Koalition kämpfen.

Christian Lindner will FDP-Vize werden. Unterstützen Sie ihn?
Ja! Wie auch Hans-Dietrich Genscher habe ich ihn aufgefordert, für dieses Amt zu kandidieren. Wir brauchen eine starke Führungsmannschaft und da gehört Christian Lindner dazu. Er hat in Nordrhein-Westfalen einen großen Wahlerfolg für die FDP eingefahren und ist im dortigen Landtag der eigentliche Oppositionsführer. Ich bin sicher, er wird ein starkes Ergebnis bekommen.

Die FDP hat bei Wahlen zuletzt über fünf Prozent geschafft, auch mit CDU-Zweitstimmen. Die Union is not amused ...
Parteien verleihen keine Stimmen, auch die CDU nicht. Deutschland hat aus guten Gründen ein Wahlrecht mit Erst- und Zweitstimmen. Wenn Bürgerinnen und Bürger von diesem Recht Gebrauch machen, ist das gut und urdemokratisch. Wir haben als liberales Team einen engagierten Wahlkampf gemacht und ein hervorragendes Ergebnis erzielt. Darüber freuen wir uns, auch wenn wir gern mit der Union die erfolgreiche Regierung in Niedersachsen fortgesetzt hätten. Ich bin sicher, wir werden bei den nächsten Wahlen ähnlich gute Ergebnisse erzielen.

"Das Optionsmodell bei der doppelten Staatsbürgerschaft muss überprüft werden"

Dafür brauchen Sie Themen. Fangen wir mit der doppelten Staatsbürgerschaft an. Muss die reformiert werden?
In Sachen doppelte Staatsbürgerschaft bin ich dafür, dass wir prüfen, ob zum Beispiel Italiener, die hier leben, sich auch an anderen Wahlen als der Kommunalwahl beteiligen dürfen. Das sollte allerdings auf Gegenseitigkeitsbasis gelten. Die Kinder von türkischstämmigen Einwanderern müssen mit dem 23. Lebensjahr entscheiden, welche Staatsbürgerschaft sie annehmen, wenn die Eltern nicht in Deutschland geboren sind. Leider entscheiden sich viele für die Türkei, wo sie gute Chancen haben, weil dort ein enormes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen ist. Unser Ziel ist es, diese jungen Menschen in Deutschland zu halten. Deswegen muss das Optionsmodell überprüft werden. Denn wir brauchen hierzulande jeden gut qualifizierten jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt.

Also das Optionsmodell abschaffen?
Die Justizministerin und ich wollen das Optionsrecht modifizieren und darüber müssen wir in der Koalition reden.

Am Sonntag fährt Angela Merkel in die Türkei. Sollte sie da bei dem Thema Reformbereitschaft zeigen?
Meine Position ist klar, aber es ist nicht meine Art, der Bundeskanzlerin Ratschläge zu erteilen.

Außenminister Guido Westerwelle mahnt mehr Tempo bei den EU-Beitritts-Verhandlungen mit der Türkei an. Hat er recht?
Er hat in der Tat recht, wenn er sagt, dass wir aufpassen müssen, dass wir nicht irgendwann vor der Situation stehen, dass Europa mehr Interesse an der Türkei, als die Türkei Interesse an Europa hat. Die Verhandlungen sind etwas ins Stocken geraten. Das Treffen von Bundeskanzlerin Merkel mit dem türkischen Ministerpräsidenten kann der entscheidende Impuls sein, damit wir wieder vorankommen. Wie die Beitrittsverhandlungen letztlich ausgehen, da sind wir ergebnisoffen. Klar ist: Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger Partner.

Kommen wir zum Mindestlohn. Die FDP kann sich nun auch Lohnuntergrenzen vorstellen. Wieso geben Sie Ihre Blockade auf?
Wir sind uns in der Koalition einig, dass wir keinen einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn wollen. Das Thema sollte von der Opposition nicht politisch missbraucht werden, das hilft den Menschen nicht. Wir haben bereits drei Instrumente, um die Lohnstruktur zu ändern: über das Tarifvertragsrecht, das Arbeitnehmerentsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Diese Regierung hat in den vergangenen Jahren branchenspezifische, regional begrenzte Mindestlöhne eingeführt. Vier Millionen Arbeitnehmer fallen heute unter Mindestlohnregelungen. Wenn nachgewiesen wird, dass es etwa beim Mindestarbeitsbedingungengesetz Reformbedarf gibt, bin ich gesprächsbereit.

Das Gesetz gilt aber als wenig praktikabel ...
Ich möchte nicht die Tarifautonomie abschaffen, denn diese ist zentraler Bestandteil unserer Sozialen Marktwirtschaft. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Man könnte aber zum Beispiel den Hauptausschuss anders besetzen: Dort sollten nicht nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch unabhängige Fachleute sitzen. Die Briten haben so etwas, die royal commission. Die Entscheidung eines solchen Gremiums sollte über jeden Einfluss erhaben sein.

"Unsere Kinder dürfen keine Versuchskaninchen für rot-grüne Bildungsexperimente sein."

Die neue rot-grüne Regierung in Niedersachsen will das Sitzenbleiben abschaffen. Ist das eigentlich eine gute Idee?
Nein, das scheint mir keine gute Idee. Gleichmacherei wird Kindern nicht gerecht. Es muss auch Anreize für eigene Anstrengungen geben. Wir brauchen gezielte Förderung für die leistungsschwächeren Kinder genauso wie für die leistungsstärkeren. Ich bin auch gegen Einheitsschulen, weil es das Einheitskind nicht gibt. Wenn Rot-Grün an der Regierung ist, werden Einheitsschulen eingeführt. Das entspricht weder der Kinder- noch der Bildungsrealität. Wir brauchen Pluralität und individuelle Förderung. Unsere Kinder dürfen keine Versuchskaninchen für rot-grüne Bildungsexperimente sein.

Annäherungen gibt es bei der Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften. Folgt jetzt der große Wurf?
Die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe ist seit langem FDP-Programm. Dass unsere Unionsfreunde jetzt gesprächsbereit sind, begrüße ich sehr. Das zeigt: Wir Liberalen sind der Reformmotor für die Union. Wenn jetzt bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften die Gelegenheit da ist, nicht nur schrittchenweise vorzugehen, sondern eine wirkliche Gleichstellung zu erreichen, dann sind wir dabei.

Sollte man nun schnell zu Ergebnissen kommen?
Die Gesellschaft hat sich verändert. Eine moderne, zukunftsgerichtete Koalition wie die christliche-liberale sollte dem Rechnung tragen. Aber das weitere Vorgehen werden wir jetzt erst einmal mit unserem Koalitionspartner besprechen. Wir sind jedenfalls startklar.

Gibt es eine Einigung bei der Finanztransaktionssteuer?
Die schwarz-gelbe Koalition musste sich mit der Opposition einigen, um die verfassunggebende Mehrheit für den Fiskalpakt zu bekommen. Dafür haben wir die Finanzmarktsteuer akzeptiert. Es ging um Europa und in einer Demokratie muss man sich verständigen. Wir haben uns mit SPD und Grünen geeinigt, dass Kleinsparer durch eine solche Steuer nicht belastet werden dürfen und die Altersvorsorge der Bürgerinnen und Bürger nicht gefährdet wird. Rot-Grün muss zu den Vereinbarungen stehen. Diese gemeinsamen Beschlüsse müssen jetzt umgesetzt werden, erst auf EU-Ebene und dann in Deutschland. Um zusätzliche Belastungen für Sparer zu verhindern, könnte ich mir etwa die Erhöhung des Sparerfreibetrages vorstellen.

Rainer Brüderle wurde am 22. Juni 1945 in Berlin geboren. Aufgewachsen ist er in der Pfalz und Mainz ist seine Heimat. Hier war er von 1987 bis 1998 Abgeordneter und Wirtschaftsminister. Den Posten übernahm er 2009 auch im Bund. Weil Rösler in dieses Amt drängte, wurde er 2011 Fraktionsvorsitzender. Vor wenigen Wochen wurde Brüderle, der auch FDP-Spitzenkandidat ist, mit Sexismus-Vorwürfen vom „Stern“ konfrontiert, was eine breite Debatte auslöste. Er selbst sagt dazu nichts und begegnet allen Fragen danach mit: „Kein Kommentar“. Das Gespräch führten Sabine Beikler und Christian Tretbar.

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