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Rassismusbericht: Was wir gegen Diskriminierung tun müssen

Viel sei in Deutschland schon gewonnen, sagt der Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, aber nicht genug. Nun unterbreitet die Kommission der Bundesregierung Verbesserungsvorschläge. Wie denken Sie darüber? Diskutieren Sie mit!

Lob und Tadel zugleich. Laut dem jüngsten Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hat Deutschland eingesehen, ein Einwanderungsland zu sein. Das Land kümmere sich inzwischen um Minderheiten, indem es etwa Sprachkurse anbiete und Maßnahmen zu deren Schutz ergreife. Auch würden antisemitische und rassistische Äußerungen öffentlich gebrandmarkt und Vergehen in der Regel verfolgt. Der Bericht der ECRI lobt darüber hinaus die Islamkonferenz als wichtiges Symbol für konstruktives Zusammenleben. Doch manche der Maßnahmen wirken noch nicht, andere werden nur kurzfristig finanziert. Die vom Europarat eingesetzte Kommission hat der Bundesregierung Vorschläge unterbreitet, wie sie wirksamer gegen Rassismus und Diskriminierung vorgehen soll.

Einbürgerung

Die Einbürgerungsrate war nach der Neufassung des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 zunächst jährlich rapide gestiegen. Im Jahr 2008 ist die Rate wieder gesunken. Insbesondere die Mitglieder der größten Migrantengruppe, die Türken, beantragen die deutsche Staatsangehörigkeit seltener, unter anderem weil sie ihre türkische nicht aufgeben wollen. Das müssen sie nämlich im Unterschied zu Bürgern aus EU-Ländern und der Schweiz.

Im vierten Bericht fordert die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) deshalb, der Zugang zur doppelten Staatsangehörigkeit solle für Menschen, die schon lange in Deutschland leben oder sogar hier geboren sind, einfacher werden.

Manche der Zugewanderten scheuten Integrationstests. Die ECRI sieht den Zwang zu den Tests kritisch. Auch wenn sie die Bemühungen lobt, allen Migranten Deutsch beizubringen, könne der Zwang dazu kontraproduktiv werden, weil sich die Betroffenen stigmatisiert fühlten. Der Test selbst sollte überarbeitet werden.

Rechtsfragen

Der Europarat wünscht, dass das Strafrecht explizit rassistische Beweggründe als erschwerende Umstände bei einer Gewalttat definiert. Alle Beteiligten, Polizisten, Staatsanwälte und Richter, sollten geschult werden, Diskriminierung überhaupt zu erkennen. Deutschland sollte auch mehr als bisher Hetze im Internet verfolgen.

Zum Zivilrecht: 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AAG) in Deutschland in Kraft. Das so genannte Antidiskriminierungsgesetz war heiß umstritten, aber es wird von der ECRI positiv gesehen, da es Schutz gegen Diskriminierung zum Beispiel am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen und bei der Wohnungssuche garantiert.  Darüber hinaus soll die Antidiskriminierungsstelle des Bundes für mehr Aufmerksamkeit sorgen, Präventionsmaßnahmen planen und wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema beauftragen.

Befragungen haben jedoch ergeben, dass nur wenige der Betroffenen von ihren Rechten wissen. Die Menschen sollten laut ECRI besser - und in ihrer Sprache - über das AAG aufgeklärt und ermutigt werden, im Fall von Diskriminierung auch vor Gericht zu gehen.  

Die Antidiskriminierungsstelle sollte auch personell und finanziell so ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgaben überhaupt ausfüllen und noch erweitern kann. Die Antidiskriminierungsstelle sollte laut ECRI befugt sein, Beschwerden zu untersuchen und Strafprozesse einzuleiten.

Bildung

Eines der drängendsten Probleme: Kinder von Migranten oder Minderheiten werden wegen ihrer mangelnden Sprachfähigkeit, wegen ihrer Religion oder wegen ihrer sozialen Herkunft in der Schule noch immer oft diskriminiert. Manchmal werden sie offen im Unterricht von den Lehrern aufgrund ihrer Herkunft disqualifiziert, wie Befragungen ergeben haben. Sie landen häufiger auf der Hauptschule - das zeigen auch nationale und internationale Studien.

Da die ECRI keine Hoffnung hat, dass Deutschland sein Schulsystem in naher Zukunft ändern wird, also die frühe Trennung der Kinder in Haupt-, Realschule und Gymnasium aufgibt, empfiehlt sie vor allem Fortbildungen für Lehrer und anderes Schulpersonal. Dabei soll es um Deutsch für Ausländer ebenso gehen wie darum, das Verständnis verschiedener Kulturen zu schärfen und mit Klassen arbeiten zu können, deren Schüler ganz verschiedene Voraussetzungen mitbringen. Sie sollen auch lernen, die Fähigkeiten der einzelnen Schüler objektiver einschätzen zu können und sich nicht von dem Familienhintergrund zu ihrer Empfehlung für die weiterführende Schule leiten zu lassen.

Und, um rechtzeitig die schwerwiegendsten sozialen und sprachlichen Probleme zu lösen, wünschen sie sich kostenfreie Kindergärten, wenigstens im letzten Jahr vor der Schule.

Arbeit

Hier läuft offensichtlich alles schon viel besser. Nur noch ein bisschen mehr Werbung für die Vielfältigkeit am Arbeitsplatz sollte Deutschland laut ECRI machen. Die Kommission wünscht sich eine Kampagne, die Arbeitgebern das kreative Potential verdeutlicht, das entsteht, wenn Männer und Frauen, Christen, Juden und Muslime, Deutsche und Ausländer zusammenarbeiten. Dazu wäre zum Beispiel das Kopftuchverbot zu überdenken. Offensichtlich werde Muslima, die gerne ein Kopftuch tragen, nicht nur im öffentlichen Dienst benachteiligt.

Wohnen

Migranten zahlen mehr Miete als Deutsche, leben aber in kleineren Wohnungen. Das haben laut ECRI diverse Studien ergeben. Außerdem leben vor allem Muslime oft in Parallelgesellschaften in bestimmten Stadtvierteln. Man hat laut ECRI früher nur versucht, die Migranten zu ermutigen, umzuziehen. Stattdessen sollte man den Einheimischen diese Viertel attraktiver machen, etwa durch ein gutes Kulturangebot und gute Schulen.

Vorgehen sollte man auch gegen Wohnungsbesitzer, die noch immer ungehindert die Wohnungsvergabe vom Namen des Bewerbers oder seinen Deutschkenntnissen abhängig machen. Es gibt auch noch Wohnungsanzeigen, die explizit zugeben, "nur an Deutsche" zu vermieten.

Politik

Die Kommission nennt in ihrem Bericht keine Namen. Doch sie fordert deutsche Politiker auf, grundsätzlich Stereotype und feindselige Bemerkungen über Migranten und Minderheiten zu vermeiden. Im Gegenteil sollten sie endlich umgekehrt betonen, wie sehr eine Gesellschaft bereichert wird durch Diversität.

Die ECRI lobt die vielen regionalen Initiativen und Programme, die sich bemühen, präventiv zu arbeiten, gegen rechte Gewalt zum Beispiel. Doch die Forderung an die Politik lautet: Sie können nur effektiv sein, wenn sie langfristig finanziert werden. Außerdem dürfe nicht nur rechtsextreme Gewalt betrachtet werden. Rassismus wird in zu wenigen, meist in extremen Gruppen, überhaupt erkannt. Diskriminierende Äußerungen und Handlungen der Normalbürger müssen auch betrachtet werden.

Auch das missglückte NPD-Verbot wird von der Kommission aufgegriffen. Die ECRI wünscht sich, dass rassistische Parteien und Organisationen konsequent verboten werden, ebenso Neo-Nazi-Propaganda, die beispielsweise über die Hassmusik-Szene unter Jugendlichen verbreitet wird. Auch rassistische Internetforen und -seiten sollten mehr Aufmerksamkeit bekommen und gemeinsam mit anderen Ländern möglichst vom Netz genommen werden. Hier sind oft Juden, Roma und Sinti die Opfer. In diesem Punkt kritisiert der Europarat die unnötig enge Auslegung der bestehenden Gesetze. Viel mehr wäre möglich im deutschen Recht. (Zeit Online)

Was sagen Sie zu diesen Forderungen? Gehen sie zu weit oder nicht weit genug? Diskutieren Sie mit! Nutzen Sie dafür die Kommentarfunktion unter dem Artikel.

Parvin Sadigh

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