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Zypern musste wenige Tage vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft unter den Euro-Rettungsschirm fliehen.

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Ratspräsident unter Euro-Rettungsschirm: Was ist von Zyperns Ratspräsidentschaft zu erwarten?

Der Inselstaat übernimmt zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft – und ist doch selbst krisengeplagt. Kritiker zweifeln an der Kompetenz der Neulinge.

Das Motto der zyprischen EU-Ratspräsidentschaft, die am Sonntag beginnt, lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Krise. Es ist das erste Mal, dass die 2004 der EU beigetretene Inselrepublik, in der seit 2008 mit dem Euro bezahlt wird, den Vorsitz übernimmt. Und das unter denkbar schlechten Vorzeichen.

Kann das kleine Zypern die großen Probleme bei der EU-Ratspräsidentschaft überhaupt bewältigen?

Die EU steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Die Währungsunion, ihre größte Errungenschaft, ist in Gefahr. Das Krisenmanagement wird zwar weitgehend an den Zyprern vorbeilaufen. Die politische Bedeutung der Ratspräsidentschaft, die alle sechs Monate rotiert, hat in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen. Dennoch überschattet die Euro-Krise alles – auch die ohnehin schwierigen Verhandlungen um die EU-Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2020, die ganz oben auf der Agenda der zyprischen Präsidentschaft stehen.

In Brüssel gibt es nicht wenige, die daran zweifeln, dass Zypern all das zu meistern vermag. Wegen Zyperns Unerfahrenheit ist hinter vorgehaltener Hand am Sitz der EU-Kommission, aber auch in anderen europäischen Hauptstädten gar von einem verlorenen Halbjahr die Rede.

Zypern braucht den Euro-Rettungsschirm:

„Wir haben andere Qualitäten“, sagt hingegen Zyperns EU-Botschafter Kornelios Korneliou, der in München Politik studierte. Der 48-Jährige hält seinem kleinen Land zugute, dass „wir keine riesigen Interessen und keine geheime Agenda haben, sondern als ehrlicher Makler auftreten können“.

Doch auch die große Entfernung zwischen Nikosia und Brüssel macht den EU-Diplomaten zu schaffen. Zwar schwärmte Herman Van Rompuy, ständiger Präsident des Rates der EU-Staats- und Regierungschefs, nach einem Besuch Nikosias kürzlich: „Vier Stunden lang zu fliegen und immer noch in der Europäischen Union zu sein, vermittelt ein Gefühl von Weite“. Zu 15 Ministertreffen und zahllosen Fachtagungen müssen Politiker und Experten in der zweiten Jahreshälfte auf die Mittelmeerinsel reisen, von deren Ostspitze es nur rund hundert Kilometer zur syrischen Küste sind. Allein im Kongresszentrum Filoxenia finden mehr als 100 Tagungen statt, zu denen gut 20 000 Teilnehmer erwartet werden.

Rechtzeitig immerhin bietet Cyprus Airways seit Ende Mai Direktflüge von und nach Brüssel an. Davor verschlang ein eintägiger Arbeitsaufenthalt in der europäischen Hauptstadt mit An- und Abreise drei Arbeitstage. Auch jetzt gilt es als unmöglich, einen Großteil der Geschäfte von Nikosia aus zu erledigen, wo alle Ministerien noch schnell mit Europaabteilungen ausgestattet wurden. „Wir haben uns für einen in Brüssel angesiedelten Ratsvorsitz entschieden“, sagt EU-Botschafter Korneliou. Das Personal in Zyperns ständiger EU-Vertretung in der Brüsseler Avenue de Cortenbergh ist daher fast verdreifacht worden – von knapp 80 auf deutlich mehr als 200.

Wie tief steckt Zypern selbst in der Finanzkrise?

Zyperns Euro steckt in der Klemme.
Zyperns Euro steckt in der Klemme.

© dapd

Zypern, die drittkleinste Volkswirtschaft im Euro-Raum, musste wenige Tage vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft unter den Euro-Rettungsschirm fliehen – als mittlerweile fünfter Staat. Das Land gerät immer tiefer in den Strudel des Griechenland-Desasters. Die Volkswirtschaften der beiden Nachbarländer sind eng verflochten. Rund ein Fünftel der zyprischen Exporte geht nach Griechenland. Zyperns Wirtschaft bekommt deshalb die schwere Rezession im Nachbarland zu spüren. Besonders betroffen sind aber Zyperns Banken, die sich in Griechenland stark engagiert haben. Das Geschäftsvolumen der zyprischen Banken in Griechenland entspricht dem 2,5-fachen der Jahreswirtschaftsleistung der Insel. Welche Risiken darin liegen, wurde beim Schuldenschnitt offensichtlich: Zyperns Banken hatten griechische Staatsanleihen von 4,7 Milliarden Euro in den Büchern stehen. Davon mussten sie 3,5 Milliarden abschreiben. Die Summe entspricht immerhin einem Fünftel des zyprischen Bruttoinlandsprodukts. Vor allem die fällige Rekapitalisierung der Banken zwang Zypern jetzt unter den Euro-Rettungsschirm. Es wird mit einem Bedarf zwischen sechs und zehn Milliarden Euro gerechnet. Genauere Zahlen werden für die nächsten Tage erwartet, wenn EU-Experten auf der Insel die Situation analysieren.

Auf jeden Fall werden harte Sparmaßnahmen die Folge sein. Zwar sucht das Land parallel weiterhin nach Alternativlösungen, wie ein Regierungssprecher sagte. Aber Staaten außerhalb des Euro-Raums fordern Zinsen von rund 4,5 Prozent. Im Dezember 2011 hatte Zypern zu diesen Konditionen einen Kredit über 2,5 Milliarden Euro für viereinhalb Jahre von Russland aufgenommen.

Aber auch der zyprischen Wirtschaft geht es schlecht, sie schrumpft dieses Jahr um 1,1 Prozent. Die Energieversorgung ist nach der Explosion eines wichtigen Kraftwerks vor Jahresfrist noch nicht wieder voll hergestellt. Brüssel attestierte jüngst „sehr ernste ökonomische Ungleichgewichte“.

Wie wirkt sich der politische Konflikt um die Insel auf die Ratspräsidentschaft auf?

Zypern.
Zypern.

© dpa

Das 1960 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassene Zypern ist geteilt, seit türkische Truppen im Sommer 1974 den Norden der Insel besetzten. Ankara wollte damit die drohende Annektierung Zyperns durch die griechische Militärjunta und die befürchtete Vertreibung der türkischen Volksgruppe verhindern. 1983 wurde in der Besatzungszone die „Türkische Republik Nordzypern“ ausgerufen, die aber nur diplomatische Beziehungen zur Türkei unterhält und ansonsten als illegal geächtet wird. Die 2004 der EU beigetretene Republik Zypern kontrolliert zwar nur den Inselsüden, völkerrechtlich gehört aber auch der türkische besetzte Inselnorden zu ihrem Staatsgebiet.

Für die EU ist das eine komplizierte Situation. Mit der Aufnahme in die EU verbanden viele die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der Insel. Doch das hat sich nicht erfüllt. Alle Bemühungen um eine Zypernlösung sind im Sande verlaufen, die Verhandlungen praktisch zum Stillstand gekommen. Die Türkei, die nur den abtrünnigen Inselnorden, nicht aber die Republik Zypern völkerrechtlich anerkennt, boykottiert die Zyprer nun. Im vergangenen Jahr hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gedroht: „Sechs Monate lang wird es keine Beziehungen zwischen der Türkei und der EU geben.“ Nach Gesprächen mit EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton sagte Außenminister Ahmet Davutoglu nun, die Beziehungen zur EU und politische Kontakte würden weitergeführt. „Allerdings wird kein Ministerium und keine Organisation der Türkischen Republik sich an Aktivitäten beteiligen, bei denen Südzypern den Vorsitz hat.“ Zyperns Außenministerin Erato Kozakou-Markoulli sieht darin eine „Beleidigung und Provokation“ – nicht nur ihres Landes, sondern der gesamten EU.

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