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Politik: Raus aus Babylon

KRISE IN ISRAEL

Von Clemens Wergin

Und dann hat es doch gekracht. Den ganzen Mittwoch über schien es so, als könnte sich Israels Premier Ariel Scharon mit Benjamin BenElieser auf einen Kompromiss in Sachen Haushalt einigen. Dann hat der Verteidigungsminister seinen Rücktritt eingereicht. Die große Koalition in Israel ist am Ende.

Die Arbeitspartei hat bessere Gelegenheiten verstreichen lassen, die Koalition zu verlassen. Zum Beispiel, als Scharon im letzten Winter die Wochen der relativen Ruhe nicht nutzte, den Palästinensern politische Angebote zu machen. Als Wohnhäuser in Gaza willkürlich zerstört wurden und die israelische Gesellschaft zum ersten Mal seit Ausbruch der zweiten Intifada über Kriegsverbrechen diskutierte. Ben-Elieser hätte seinen Widerspruchsgeist auch entdecken können, als Arafat monatelang belagert wurde. Noch vor Wochen hätte man von ihm zumindest erwartet, die sinnlose Zerstörung von Arafats Amtssitz zu verhindern. Doch nichts geschah.

Nun ließ Ben-Elieser die Koalition platzen, weil ihm die Zahlungen an die Siedler zu hoch waren. So richtig seine Einwände gegen die Subventionen für die Extremisten sind, das Manöver war zu durchsichtig. Viele Israelis nehmen ihm die neue Rolle als Siedlerfresser und Friedensfürst nicht ab. Sie wissen, dass nicht so sehr der Streit um Inhalte der Regierung zum Verhängnis wurde, sondern ein Datum: Am 19. November wählt die Arbeitspartei eine neue Führung. Und weil Ben-Elieser in den partei-internen Umfragen schlecht abschneidet, wollte er Stimmung machen im eigenen Lager, indem er die geforderte Konfrontation mit Scharon und den Siedlern suchte.

Ben-Elieser hat ein Imageproblem – in seiner Partei. Zu lange hat der Verteidigungsminister sich von Scharon in immer neue Eskalationsstufen der Gewalt treiben lassen. Zu deutlich prägen persönliche Ambitionen seine politischen Entscheidungen. Monatelang klammerte er sich an seinen Sessel, weil das Verteidigungsressort zu den mächtigsten in Israel gehört. Jetzt rechnet sich Ben-Elieser Chancen aus, gegen Scharon in die nächsten Wahlen zu ziehen – und kämpft um die Seele seiner Partei, die von der Kopilotenrolle Ben-Eliesers in der Scharon-Regierung so arg mitgenommen ist.

Der Oslo-Prozess, die Hoffnung auf einen Verhandlungsfrieden, das war das große Projekt der Arbeitspartei. Seitdem Arafat auf Terror statt Verhandlungen setzt, ist dieses Projekt in sich zusammengefallen. Die Mitglieder und mit ihr viele friedenswillige Israelis versanken in Depression. Die Zerstrittenheit der Linken und die babylonische Gefangenschaft in Scharons Kabinett hatten zur Folge, dass die Partei sich nicht zu regenerieren vermochte. Es gelang ihr nicht, neues Profil zu gewinnen und das große Projekt Frieden unter den veränderten, schwierigen Bedingungen – ohne echten Partner auf der anderen Seite – wiederzubeleben.

Teil der Regierung zu sein und gleichzeitig Opposition – das konnte nicht aufgehen. Denn unter den ständigen Attacken der Palästinenser verengten sich die politischen Konzepte der Regierung zunehmend auf bloße militärstrategische Erwägungen. Eine Eindimensionalität, die auch weite Teile der israelischen Öffentlichkeit ergriffen hat. Umso dringlicher machte sich an der Parteibasis das Bedürfnis bemerkbar, wieder eine Alternative zum Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt zu bieten. Deswegen wird seit Monaten intern der bis dahin relativ unbekannte Bürgermeister von Haifa als Spitzenkandidat aufgebaut. Amram Mitzna fordert, wie der Dritte im Rennen, Haim Ramon, seit langem den Austritt aus der großen Koalition. Beiden nimmt Ben-Elieser nun den Wind aus den Segeln.

Der Abschied der Arbeitspartei aus dem Kabinett bedeutet aber noch nicht das Ende der Regierung Scharon. Erst einmal wird der Premier versuchen, mit Ultranationalisten und Religiösen eine Regierung zu bilden. Im Mai kann es dann Neuwahlen geben. Das ist beunruhigend, einerseits. Denn sollten die USA Anfang kommenden Jahres einen Krieg gegen den Irak führen, hätte in Israel eine Regierung das Sagen, in der im Fall eines irakischen Angriffs keiner mäßigend wirken wird. Andererseits erwächst aus der Krise auch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass die Arbeitspartei bis Mai zu ihrer alten Stärke zurückfindet – und eine Alternative zu Scharons Kurs anbietet.

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