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Nicht menschenwürdig. Das Übergangslager auf Lampedusa (hier ein Bild von Anfang Oktober) war seit längerem in der Kritik. Foto: Alberto Pizzoli/AFP

© AFP

Politik: Raus aus den Schlagzeilen

Nach einem Skandal-Video lässt Rom das Flüchtlingslager Lampedusa räumen – und strebt eine Reform an.

Auf einmal ging es schnell: Das so lange überfüllte Flüchtlingslager auf der Insel Lampedusa ist praktisch leer. Italiens Regierung konnte die Räumung nicht länger hinauszögern; die Schlagzeilen waren übermächtig geworden, und die EU drohte mit Millionen-Strafen. Vor zwei Wochen hatte das italienische Staatsfernsehen ein heimlich gedrehtes Video gezeigt. Da waren Flüchtlinge zu sehen, wie sie sich „zur Desinfektion gegen die Krätze“ nackt ausziehen und sich aus Schläuchen mit Wasser bespritzen lassen mussten. Die Reaktion in Öffentlichkeit wie Politik war einhellig: „Zustände wie im Konzentrationslager, untragbar!“ Dann, kurz vor Weihnachten, hat der 31-jährige Khalid Chaouki von seinem Status als Abgeordneter im italienischen Parlament „profitiert“ und getan, was Journalisten nicht dürfen: Er ist direkt ins Aufnahmelager Lampedusa gegangen. Das war als Protest gedacht dagegen, dass dort noch immer an die 200 Überlebende der beiden Schiffskatastrophen von Anfang Oktober festgehalten wurden. Er wolle sich einschließen lassen, sagte Chaouki, bis alle aufs Festland gebracht seien.

Da sind sie nun tatsächlich. Die Räumung ging über Weihnachten vonstatten. Auf Lampedusa verbleiben lediglich 17 Flüchtlinge; die Justiz hat sie als Zeugen „beschlagnahmt“, um Schleuser zu enttarnen und die Hintergründe jener zwei Havarien aufzuklären, bei denen im Oktober an die 600 Menschen ertrunken sind. Bis nach den Winterstürmen der Zustrom aus Afrika wieder einsetzt, will die Regierung neue, zuverlässige Betreiber für die Erstaufnahmestation finden. „Wir sind nicht bereit, bei menschen- und verfassungsrechtlichen Standards nachzugeben“, bekräftigte Innenminister Angelino Alfano vor dem Parlament. Die Absicht ist klar: Italiens südlichste Insel, die aus geografischen Gründen der Anlaufpunkt von tausenden Flüchtlingen oder Migranten bleiben wird, soll wenigstens aus den Schlagzeilen kommen.

Und weil am Stadtrand von Rom dieser Tage auch noch Abschiebehäftlinge gegen ihre „menschenunwürdige Behandlung“ protestierten, kündigte der sozialdemokratische Regierungschef Enrico Letta noch viel weitergehende Veränderungen an: „Überprüfen“ will er nicht nur das ganze System der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten; auch das Staatsbürgerschaftsrecht soll für Einwanderer freundlicher werden. Letta denkt, wie viele seiner Sozialdemokraten, an das „ius soli“, also an eine automatische Staatsbürgerschaft für Kinder, die in Italien geboren werden.

Anders als Deutschland, wo wenigstens die größeren Kontingente von – beispielsweise syrischen – Flüchtlingen in geordneter Weise unterkommen, wird Italien immer wieder von unkalkulierbaren Ankunftswellen überrollt: Kamen 2011, im Zuge der „Arabellion“, 64 000 Flüchtlinge übers Meer, sank ihre Zahl 2012 auf 13 300 – und stieg dieses Jahr wieder auf 43 000. Die Notaufnahme-Strukturen, die 2011 eingerichtet worden waren, wurden nach dem Rückgang 2012 wieder geschlossen. Das erklärt die Probleme des auslaufenden Jahres: In den Erstaufnahmelagern, vorzugsweise in Sizilien und Süditalien, sitzen noch mehr als zehntausend Personen ohne Prüfung ihres rechtlichen Status’ fest. Nach Schätzung des Innenministeriums haben drei Viertel der Ankömmlinge einen Anspruch auf humanitären Schutz oder auf Asyl, aber die regionalen Prüfungskommissionen sind dem Andrang nicht gewachsen. Das bringt Warte- und Unsicherheitszeiten von durchaus zwei Jahren mit sich.

Geplant ist, die Flüchtlinge gleichmäßig übers Land zu verteilen, sie an staatlich finanzierte, aber kommunal verwaltete Einheiten weiterzureichen, um Betreuung, Arbeitssuche, Sprachförderung und Integration auf lokaler Basis praxisnah zu organisieren. Dafür waren bis Anfang 2013 allerdings nur 3000 Plätze vorgesehen, mittlerweile sind es 8400, es sollen nächstes Jahr 16 000 werden. Die Mittel sind ausgeschrieben, das UN-Flüchtlingshilfswerk begrüßt diese Öffnung ausdrücklich – aber der Prozess kommt nur schleppend in Gang.

Und dann gibt es da noch die vielen tausend Untergetauchten. Da sind vor allem Eritreer, die sich jeglicher Personenfeststellung entziehen, weil sie sonst – nach EU-Recht – ihr Asyl im Ankunftsland beantragen müssten; sie wollen aber nicht in Italien bleiben, sondern nach Deutschland und Frankreich. Da sind Afrikaner, die einen Ausweisungsbescheid erhalten haben, ihm aber nicht nachkommen – und die in Italien damit rechnen können, aus Kostengründen nicht abgeschoben zu werden. Da sind – gemessen an den Bootsflüchtlingen – etwa neunmal so viele Ausländer, die als Touristen legal einreisen und nach Ablauf des Drei-Monats-Visums einfach bleiben. Zu ihnen gehören die chinesischen Akkord-Näher und Näherinnen in der toskanischen Modestadt Prato, die in ihren Wohn- und Produktionsfabriken angeblich „unsichtbar“ waren, bis vor vier Wochen ein Brand ausbrach und sieben Menschen starben.

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