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Politik: „Raus, raus, Siniora“

Die schiitische Hisbollah will mit Demonstrationen ein Ende der libanesischen Regierung erzwingen

Erneut ist der politische Konflikt in Libanon auf die Straße verlegt worden: Etwa 800 000 Menschen folgten am Freitag dem Aufruf von Hisbollah-Führer Scheich Nasrallah und anderen Oppositionspolitikern, den Sitz der Regierung und das Stadtzentrum Beiruts zu belagern. Damit wollen sie den Sturz der Regierung von Ministerpräsident Fuad Seniora erzwingen. Der Platz der Märtyrer und das Gelände um den Regierungspalast glichen einem Meer von Menschen und libanesischen Flaggen. Zufahrtsstraßen zum Regierungspalast, in dem Seniora mit einigen Ministern seiner Arbeit nachging, waren von Demonstranten besetzt.

Die Proteste im wiederaufgebauten Stadtzentrum der libanesischen Hauptstadt sollen so lange dauern, bis eine neue Regierung gebildet wird. Einige Demonstranten richteten sich mit Zelten und Matratzenlagern in der Innenstadt auf einen längeren Sitzstreik ein. Mit den Sit-ins soll der libanesische Ministerpräsident Fuad Siniora gezwungen werden, der prosyrischen Hisbollah und ihren Verbündeten eine Sperrminorität im Kabinett zu geben. Siniora hatte am Donnerstagabend in einer Fernsehansprache erklärt, er werde keinen „Coup“ gegen die demokratische Regierung hinnehmen. Die Regierung habe die Mehrheit im Parlament und sei damit „legitim“ und „verfassungsgemäß“.

Der libanesische Präsident Emile Lahoud, dessen zweite Amtszeit von Syrien dank einer Verfassungsänderung erzwungen wurde, bezeichnete die Regierung dagegen als „verfassungswidrig“, weil sie nach dem Rücktritt von fünf schiitischen und einem christlichen Minister nicht mehr dem Konfessionsproporz entspreche. Erst vor einer Woche hatten sich zur Beerdigung des ermordeten Ministers Pierre Gemayel zehntausende Demonstranten des Regierungslagers im Stadtzentrum versammelt. Vor zwei Jahren hatten Hunderttausende an der gleichen Stelle den Sturz der prosyrischen Regierung und den Abzug der syrischen Armee aus dem Libanon erzwungen.

Die Demonstranten, die nun am Freitag mit Bussen aus allen Landesteilen anreisten, schwenkten die rot-weißen Fahnen mit der grünen Zeder anstelle der gelben Hisbollah-Flaggen und riefen Slogans wie „Wir wollen eine saubere Regierung“. Als sich der Regierungschef kurz an einem Fenster zeigte, riefen die Demonstranten „Raus, raus, Siniora“.

Die Armee hat tausende Soldaten und Polizisten sowie gepanzerte Fahrzeuge aufgeboten, um Ausschreitungen zu verhindern. Der Regierungssitz wurde im Umkreis von 150 Metern abgesperrt. Auch die Hisbollah hat nach eigenen Angaben Tausende von Ordnern entsandt, die Zusammenstöße verhindern sollen. Dennoch warnte die liberale Tageszeitung „An-Nahar“ vor „unvorhersehbaren Konsequenzen“, die die Massendemonstration in dieser angespannten Atmosphäre haben könnte.

Die Massendemonstration folgt wochenlangen, erfolglosen Verhandlungen über eine Regierungsumbildung. Die Hisbollah, die schiitische Amal unter Führung von Parlamentssprecher Nahib Berri und der christliche Politiker Michel Aoun werfen der Regierung vor, sie stehe im Dienste des Westens und der USA. Hingegen bezeichnen die antisyrischen Kräfte, die das Parlament und die Regierung beherrschen, die Hisbollah als verlängerten Arm Syriens und des Iran. Damit wird auch deutlich, dass sich die gegenwärtige politische Auseinandersetzung nicht allein um die spezielle Frage der Einsetzung eines UN-Tribunals zur Aufklärung des Mordes an Ex-Premier Rafik Hariri dreht. Vielmehr geht es um einen Kampf um die künftige Ausrichtung der libanesischen Politik, in der sich zwei unversöhnliche Lager gegenüberstehen.

Dabei trifft das spezifische Problem des Libanon – ein schwacher Staat mit einem überkommenen Proporzsystem – auf die weiteren Konfliktlinien: Zum einen ringt hier der Westen mit Syrien und dem Iran. Andererseits vertieft sich in der Region die Kluft zwischen Schiiten und Sunniten.

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