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Politik: Razzia 67 Jahre nach SS-Massaker

Wohnungsdurchsuchungen bei mutmaßlichen Verbrechern Sechs Beschuldigte zur Tötung von 642 Menschen in Oradour 1944 befragt.

Von Matthias Matern

Mehr als 67 Jahre nach dem Massaker der Waffen-SS an den Bewohnern des französischen Ortes Oradour-sur-Glane haben Ermittler die Wohnungen von sechs mutmaßlichen Kriegsverbrechern durchsucht, darunter auch die eines 86-Jährigen im Land Brandenburg. Die Verdächtigen sollen an der Ermordung von 642 Menschen, darunter überwiegend Frauen und Kinder, beteiligt gewesen sein; sie gehörten der 3. Kompanie des I. Bataillons des zur SS-Panzer-Division „Das Reich“ gehörenden Panzergrenadier-Regiments „Der Führer“ an, sagte Staatsanwalt Andreas Brendel am Montag in Dortmund. Je zwei der Verdächtigen lebten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, einer in Hessen, ein weiterer in Brandenburg. Die Ermittlungen seien durch Hinweise aus der Stasi-Unterlagenbehörde angestoßen worden.

Bei dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus Brandenburg handelt es sich nach Polizeiangaben um einen Mann aus dem Kreis Märkisch-Oderland. Bei der Durchsuchung Ende Oktober habe man außer dem Verdächtigen auch dessen Ehefrau angetroffen. Diese habe einen äußerst „geschockten“ Eindruck gemacht, schilderte Brendel. Welche Rolle der heute 86-Jährige bei dem Massaker gespielt habe, sei allerdings bislang noch unklar. „Während der Durchsuchung hat er nicht viel gesagt. Nach unserem ersten Eindruck ist er nicht vernehmungsfähig“, berichtete der Staatsanwalt. Allerdings habe der Verdächtige bestritten, an Erschießungen beteiligt gewesen zu sein. Da NS-Kriegsverbrecher nicht selten Andenken wie alte Tagebücher, Orden oder sogar Fotos aufheben würden, habe man gehofft, auch in der brandenburgischen Wohnung auf Beweismittel zu stoßen. Gefunden worden sei allerdings nichts, sagte Brendel.

Dass die sechs Personen an dem damaligen SS-Einsatz in Oradour beteiligt gewesen waren, gelte als „sicher“, versicherte Andreas Brendel. Allerdings hätten die insgesamt 120 Soldaten der Kompanie verschiedene Aufgaben gehabt. „Einige waren für die Absperrungen zuständig, andere sollten die Bewohner zusammentreiben, und wieder andere gehörten den Erschießungskommandos an.“ Der Staatsanwaltschaft Dortmund zufolge, bei der die Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist, leben die anderen fünf mutmaßlichen Kriegsverbrecher im Großraum Hannover, in Köln, im Raum Bielefeld und im Raum Darmstadt.

Auslöser für die neuerlichen Ermittlungen zum Massaker von Oradour sind die Namen zweier Zeugen, die in Unterlagen der Staatssicherheit auftauchen. Sie wurden vom DDR-Geheimdienst im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Obersturmführer Heinz Barth vernommen, der 1983 für seinen Schießbefehl in Oradour zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Beide Zeugen seien von der Stasi ebenfalls als „höchst verdächtig“ eingeschätzt worden. Einer der beiden Zeugen sei der heute 86-jährige Brandenburger, die andere Person sei verstorben. Henry Leide, ein Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde, sagte den Potsdamer Neuesten Nachrichten, die Stasi habe „einen Aufschrei“ im In- und Ausland gefürchtet, falls herausgekommen wäre, dass gleich mehrere Täter von Oradour so lange unbehelligt in der DDR leben konnten.

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