zum Hauptinhalt

Politik: Rechnung mit einem Unbekannten

Präsident Putin präsentiert überraschend den russischen EU-Gesandten Fradkow als neuen Premierminister. Er gilt als einer, der mit allen Machtclans auskommen kann

Wladimir Putin hat gesprochen: Das Rätselraten ist zu Ende, Michail Fradkow neuer Premier und dessen Bestätigung durch die Duma am kommenden Freitag dank der satten Mehrheit der Kremlpartei Einiges Russland reine Formsache.

Bisher war Fradkow Gesandter seines Landes bei der EU in Brüssel. In Russland kannten ihn bis Montagmittag, als Putin seine Entscheidung bekannt gab, nur die politischen Insider. Selbst bei der kremlnahen Zeitung „Iswestija" war er nicht einmal unter ferner liefen vorgekommen, als das Blatt in der vergangenen Woche die Chancen von sieben Anwärtern analysiert hatte.

Das Rätselraten war losgegangen, nachdem Putin vor einer Woche seinen Premier Michail Kasjanow geschasst hatte. Putin selbst hatte Politik und Presse in bester KGB-Manier auf die falsche Fährte gesetzt: Mit dem Regierungswechsel habe er gegenüber dem Wähler Zeichen für den Kurs Russlands in seiner zweiten Amtszeit setzen wollen, erklärte er nach dem Rausschmiss Kasjanows. Formulierungen wie „Der Mann, mit dem ich ins Rennen gehe" ließen auf die Ernennung eines politischen Schwergewichts schließen. Viele spekulierten schon über die faktische Wiedereinführung des 1993 abgeschafften Vizepräsidenten-Amtes.

Dies alles war nur eine Finte – denn bei Zustimmungsraten von über 70 Prozent hat Putin keinen Grund, seine Macht mit wem auch immer zu teilen. Und gleich mehrere Gründe sprechen für einen Technokraten wie Michail Fradkow. Der bisherige EU-Gesandte ist eine Kompromissfigur, mit dem die wichtigsten russischen Einflussgruppen leben können. Und der Westen geht zu Recht davon aus, dass Putin mit der Ernennung von Russlands bisherigem Vertreter in Brüssel das leicht gestörte Verhältnis zur EU wieder in Ordnung bringen will.

Dank seiner umfangreichen Verwaltungserfahrung kann der 53-jährige Fradkow sowohl mit dem liberalen Flügel des Kabinetts um Finanzminister Alexej Kudrin als auch mit den Silowiki – also Putins Hausmacht aus dem Dunstkreis der Geheimdienste – auf gleicher Augenhöhe verhandeln. Die Unterstützung von beiden braucht er für das Prestigeprojekt der zweiten Amtszeit Putins, für das er als Premier persönlich geradestehen muss: Die Pläne des Präsidenten, die offiziell als Verwaltungsreform verkauft werden, sehen eine drastische Verschärfung der staatlichen Kontrolle und Überwachung vor, die sich vor allem auf Wirtschafts- und Steuervergehen konzentrieren soll. Dazu sollen auch die bisher damit befassten dezentralen Dienste wieder in einer zentralen Stelle zusammengefasst werden. Kritische Medien befürchten bereits, dass ein Überwachungs-Monster nach Art des KGB entstehen könnte. Ähnlich sieht es offensichtlich auch die Moskauer Börse. Nach Fradkows Ernennung gaben die Kurse dort um mehrere Prozentpunkte nach. Dabei ist Fradkow nach Meinung vieler Beobachter nur eine Übergangsfigur, die spätestens 2006 abtritt. Dann nämlich geht der Kampf um die Nachfolge Putins, der nach gegenwärtig geltender Verfassung 2008 kein drittes Mal kandidieren darf, in die entscheidende Runde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false