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Google muss jetzt Daten-Einträge zurücknehmen, wenn der Nutzer es verlangt.

© dpa

"Recht auf Vergessenwerden": Europäische Gerichtshof zwingt Google zum Löschen

Der Nutzer einer Suchmaschine darf verlangen, dass Einträge zu seiner Person getilgt werden. Was bedeutet das EuGH-Urteil jetzt für den Umgang mit den Daten im Internet?

Google ist ein Unternehmen, das Daten verarbeitet und dafür auch verantwortlich ist – das hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag in einem wegweisenden Urteil festgestellt. Der Suchmaschinenbetreiber reagiert enttäuscht, doch Daten- und Verbraucherschützer jubeln: Das Urteil stärkt das umstrittene „Recht auf Vergessenwerden“ im ewigen Speicher des Internet, wie es auch in der geplanten EU-Datenschutz-Grundverordnung verankert werden soll.

Worum geht es in dem Fall?

Zu klären war, ob Google mit der Ausgabe seiner Trefferlisten direkt zuständig ist, wenn einzelne Betroffene Informationen über sich nicht oder nicht mehr lesen wollen. Beschwert hatte sich eine Spanier, der zugleich gegen Google und einen spanischen Zeitungsherausgeber vorgegangen war. Der Grund: Wenn er bei der Google-Suche seinen Namen eingab, erschienen die Links zu alten Tageszeitungsbeiträgen. Darin wurde die Versteigerung seines Grundstücks angekündigt, weil der Kläger Schulden bei der Sozialversicherung hatte. Die Nachricht stammte von 1989, mittlerweile sei die Pfändung jedoch erledigt, argumentierte der Spanier 2010 vor der Datenschutzagentur seines Landes AEPD.

Wie kam der Streit zum EuGH?

Die Behörde wies den Mann ab, soweit es die Zeitung betraf, weil die Berichterstattung damals rechtmäßig war. Der Beschwerde gegen Google aber wurde stattgegeben, das Unternehmen sollte die Treffer aus dem Index entfernen. Dagegen klagte der Suchmaschinenbetreiber. Der Streit landete vor dem Europäischen Gerichtshof, weil für den Fall die Anwendung von EU-Recht entscheidend ist.

Was sagt das EU-Recht?

Im Grunde nicht viel. Es geht um die Auslegung der EU-Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr. Die Richtlinie stammt aus der Mitte der 90er Jahre. Damals stand die technische und kommerzielle Entwicklung des Netzes noch am Anfang. Es war auch kaum absehbar, welche Rolle die Treffer in Suchmaschinen für jeden Einzelnen und seine Persönlichkeitsrechte einmal spielen könnten.

Wie haben die Richter entschieden?

Google ist ein Unternehmen, das Daten verarbeitet wie andere auch, urteilten die Richter des EuGH. Es erhebt Daten, liest sie aus, speichert sie, organisiert sie und gibt sie weiter. So selbstverständlich das jetzt klingt, für das US-Unternehmen war es das nie. Google hatte sich einmal mehr darauf zurückgezogen, dass es für die Inhalte nicht verantwortlich ist und alles nur ein automatisierter Prozess sei, auf den man im Prinzip keinen Einfluss habe. Der EuGH stuft Google dagegen als „verantwortlich“ im Sinne der Richtlinie ein: „Nur so können die in der Richtlinie vorgesehenen Garantien ihre volle Wirksamkeit entfalten und ein wirksamer und umfassender Schutz der betroffenen Personen, insbesondere ihres Privatlebens, tatsächlich verwirklicht werden.“

Warum muss sich das US-Unternehmen an EU-Recht halten?

Google verarbeitet die Suchen auf Servern in Kalifornien. Deshalb finde die Datenbearbeitung nicht in der EU statt, meinte das Unternehmen. Der EuGH stellte das Prinzip des Marktortes dagegen: Google Spain gelte als Niederlassung, der die Suchmaschinentätigkeit zuzurechnen sei, weil sie den Service hier anbietet und Werbeflächen verkauft. Die Feststellung, dass das Datenschutzrecht des Landes gilt, in dem das Unternehmen am Markt tätig ist, würdigte auch Bundesjustiz- und Verbraucherminister Heiko Maas (SPD). Weltweit agierende Internetunternehmen dürften europäische Datenschutzstandards nicht einfach dadurch umgehen, dass sie die Datenverarbeitung außerhalb der EU durchführen.

Wie weit reicht die Verantwortung von Google?

Weit. Der EuGH stellt klar, dass auch für rechtmäßige und richtige Informationen eine Löschpflicht bestehen kann. Dies liege im Charakter der Namenssuche nach einer Person, die es ermögliche, „einen strukturierten Überblick“ über die zu ihr im Internet verfügbaren Informationen zu erhalten. „Die Internetnutzer können somit ein mehr oder weniger detailliertes Profil der gesuchten Personen erstellen.“ Die Wirkung des Eingriffs in die Rechte der Betroffenen werde noch durch die bedeutende Rolle des Internets und der Suchmaschinen in der modernen Gesellschaft gesteigert, „die den in den Ergebnislisten enthaltenen Informationen Ubiquität verleihen“.

Kann nun jeder Links löschen lassen?

Hat jetzt jedermann das Recht auf das Löschen von Links?

Nein. Es kommt auf den Einzelfall an. Es geht, so urteilte der EuGH, um einen angemessenen Ausgleich zwischen Nutzerinteressen auf Informationszugang einerseits und den Persönlichkeitsrechten Betroffener andererseits. Letztere überwögen zwar meist, sagten die Richter, gerade aber bei Prominenten könnten die Fälle auch anders gelagert sein. Grundsätzlich gelte: „Auch eine ursprünglich rechtmäßige Verarbeitung sachlich richtiger Daten kann im Laufe der Zeit nicht mehr den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen.“ Betroffene könnten sich dann unmittelbar an den Suchmaschinenbetreiber wenden – also nicht nur Google sondern auch Yahoo oder Bing. Die spanischen Gerichte müssen nun entscheiden, ob im konkreten Fall die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Spaniers verletzt wurden.

Ist das Urteil überraschend?

In seiner Eindeutigkeit schon. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs Niilo Jääskinen hatte in seinen Schlussanträgen die Löschpflicht als Ausnahme angesehen. Zur Begründung hieß es, dass ein Instrument zur bloßen Lokalisierung von Informationen im Netz keine Kontrolle über die Daten auf Webseiten Dritter ermögliche.

Wie reagiert Google?

Überrascht. Das Unternehmen hatte mit einem anderen Ausgang gerechnet und blieb am Dienstag sehr kurz angebunden. Daten zu löschen passt nicht ins eigene Bild des Unternehmens, wonach Google alle Informationen der Welt für alle zugänglich machen will. Google betrachtet sich nicht als Urheber der Informationen und will auch weder Zensor sein noch Internet-Polizei spielen. Eine Verantwortung für die Inhalte lehnt das Unternehmen ab. Zwar gibt es auch heute bereits eine Anlaufstelle, wo man die Löschung von Daten beantragen kann. Doch bisher macht Google das nur, wenn eine eindeutige Rechtsverletzung vorliegt.

Wie reagiert die Netzgemeinde?

Gespalten. Das Urteil sei gut für den Datenschutz, sagt etwa Markus Beckedahl, Gründer von netzpolitik.org und Mitglied der Enquete-Kommission Internet & digitale Gesellschaft im Bundestag. „Aber welche Konsequenzen es für die Informations- und Meinungsfreiheit haben wird, ist noch nicht klar“, sagte Beckedahl. „Hier hat das Urteil eher zu Rechtsunsicherheit geführt.“ Patrick Breyer von der Piratenpartei findet, „dass uns ein lange zurückliegender Fehltritt in unserem Leben nicht lebenslänglich im Netz begleiten und belasten darf“. Es müsse aber in jedem Fall sehr sorgfältig abgewogen werden, ob das öffentliche Interesse an der Verfügbarkeit von Wissen schwerer wiege als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Entscheidung sollten Gerichte treffen und nicht Internetkonzerne, meint Breyer.

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