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Unterstützer. Diese Menschen gehen für die neue Regierung auf die Straße. Doch auch der Protest der demokratischen Gegner formiert sich.

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Update

Recht und Gerechtigkeit baut Polen um: Jaroslaw Kaczynski und die neue polnische Härte

Erst der Sieg, dann werden die Spielregeln geändert: Jaroslaw Kaczynski baut sich den Staat für viele Jahre an der Macht zurecht - Tausende demonstrieren im ganzen Land dagegen. Was ist los in Polen?

Polens neue Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) hat am Dienstag mit ihrer Mehrheit im Sejm, dem Parlament, eine Reform des Verfassungsgerichts verabschiedet. Noch in der Nacht zu Donnerstag stimmte auch die zweite Kammer, der Senat, zu. Andrzej Halicki, Abgeordneter der oppositionellen Bürgerplattform (PO) im Sejm und Verwaltungsminister in der vorigen Regierung, spricht von einer „schleichenden Machtergreifung“.

Auch Spitzenpolitiker in EU-Partnerstaaten, darunter Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, argwöhnen, die PiS verfolge nach dem Muster Ungarns das Ziel, sich eine umfassende strukturelle Macht über alle Kontrollinstanzen einer Demokratie, darunter Gerichte und Medien, zu sichern, damit die Opposition es schwer habe, sie bei der nächsten Wahl zu besiegen. Am Mittwoch warnte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, die polnische Regierung in einem Brief vor einer Aushöhlung des Rechtsstaats.

Das polnische Außenministerin erklärte am Donnerstag, das Land habe den Europarat um eine Bewertung der Änderungen gebeten. Schließlich sei Polen daran interessiert, die Kontroverse schnellstmöglich zu beenden. Dem Europarat gehören Mitglieder aus 47 Ländern an. Er dient als Forum für Debatten über Menschenrechtsfragen. Seine Bewertungen haben keinerlei rechtliche Bindung. Er ist auch nicht Teil der Europäischen Union.

Polens früherer Staatspräsident Lech Walesa warf der Regierung in „Radio Zet“ vor, sie „handelt gegen die Interessen des Landes“ und „macht Polen vor aller Welt lächerlich“. Er forderte ein Referendum, um vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Die PiS hatte bei der Parlamentswahl Ende Oktober mit 235 der 460 Sitze die absolute Mehrheit im Sejm erzielt.

Was genau soll sich im Verfassungsgericht ändern?

Kritisiert werden insbesondere drei Vorgaben für die Arbeit der Verfassungsrichter, weil sie das Gericht lähmen und daran hindern könnten, die Gesetzgebung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Künftig müssen 13 der 15 Verfassungsrichter versammelt sein, um eine Entscheidung zu treffen; bisher genügten fünf. Die Richter teilen sich die Fälle nach ihren juristischen Spezialgebieten untereinander auf. Urteile müssen mit Zweidrittel-Mehrheit gefällt werden; bisher mit einfacher Mehrheit. Die Fälle müssen nach Eingangsdatum abgearbeitet werden; bisher entschieden die Richter, welcher Fall am dringlichsten ist. Nach der neuen Vorschrift dürften sie ein neues Gesetz erst überprüfen, wenn die 300 Altfälle, die noch auf Erledigung warten, abgearbeitet sind.

Lässt sich das Gesetz noch verhindern?

Nachdem Sejm und Senat zugestimmt haben, muss nun Staatspräsident Andrzej Duda das Gesetz unterschreiben; auch er gehört der PiS an und hat sich in den bisherigen Etappen des Machtkampfs, darunter die umstrittene Ernennung von fünf neuen Verfassungsrichtern, auf die Seite der PiS gestellt.

Die Verfassungsrichter könnten, falls sie das neue Gesetz für verfassungswidrig halten, dies öffentlich bekunden und es dann folgerichtig ignorieren. Dadurch würden sie den Verfassungskonflikt auf die Spitze treiben. Es ist nicht geregelt, wer dann das letzte Wort hat. Die Verfassungsrichter haben bereits das Vorgehen des Sejm und des Präsidenten bei der umstrittenen Ernennung neuer Richter für teilweise verfassungswidrig erklärt.

Hat die PiS kein Unrechtsbewusstsein?

Nein. Die PiS sieht sich im Recht. Mit dem Austausch des Spitzenpersonals in den Schaltstellen tue sie doch nur, was auch in anderen westlichen Demokratien nach einem Machtwechsel gang und gäbe sei, zum Beispiel in den USA. Das Verfassungsgericht hat für die PiS nicht die Aura politischer Unantastbarkeit wie zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht in Deutschland.

Im kommunistischen Polen war es über Jahrzehnte eine „Abnick“-Einrichtung im Dienst der Machthaber gewesen. Auch im demokratischen Polen seit 1989 hat es sich nicht aus eigener Kraft den Ruf einer über allen Parteien stehenden Instanz erarbeiten können. Dazu fehlte es – bisher – an Streitthemen von Identität stiftender Bedeutung. Die jeweiligen Regierungsparteien haben das Oberste Gericht zumeist als Teil ihrer Pfründe zur Personalversorgung verstanden.

Vereinfacht gesagt stoßen hier zwei unterschiedliche Auffassungen darüber aufeinander, welches die höchste Autorität im Staat sei und wodurch sie sich legitimiert. Aus Sicht der PiS und ihres nahezu allmächtigen Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski – der kein wichtiges Staatsamt innehat, aber unangefochten die Direktiven ausgibt – ist „der Volkswille“ diese höchste Autorität. Er drückt sich im Wahlergebnis aus. Die überzeugende Sejm- Mehrheit ist für ihn das Mandat zum umfassenden Umbau des Staats.

Er zieht damit zugleich die Lehre aus dem vorzeitigen Machtverlust 2007. Damals war die von Kaczynski geführte – von Anfang an wackelige – Koalition mit der ideologisch schillernden Protestpartei „Samoobrona“ (Selbstverteidigung) unter Andrzej Lepper und der klerikal- konservativen „Liga Polskich Rodzin“ (Liga der polnischen Familien) nach nur zwei Jahren an der Regierung auseinandergebrochen. Kaczynski führt diese Niederlage auf eine Verschwörung liberaler Kräfte in Medien und Politik zurück, die angeblich die veröffentlichte Stimmung diktieren, ohne den mehrheitlichen Volkswillen zu repräsentieren. Er habe damals nicht genug Härte bewiesen, um sich dem entgegenzustemmen. Das will er nun nachholen und die Schaltstellen mit Gefolgsleuten besetzen.

Die Gegensicht wird von zahlreichen Medien, darunter Polens größter Zeitung „Gazeta Wyborcza“, und der größten Oppositionspartei PO vertreten. Für sie steht das Prinzip der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative über dem „Volkswillen“. Die Regierung habe demnach nicht das Recht, sich Instanzen, die diese Regierung kontrollieren sollen, durch gesetzliche Eingriffe und Personalpolitik unterzuordnen. Freilich haben auch die PO und andere liberale Parteien, wenn sie selbst an der Regierung waren, die hehren Prinzipien missachtet.

Wo steht der Souverän, das polnische Volk, in diesem Machtkampf?

Darüber lässt sich trefflich streiten. An der Wahl haben sich nur 51 Prozent der Bürger beteiligt. 37,6 Prozent davon stimmten für die PiS; wegen des polnischen Wahlrechts, das die größte Partei bei der Sitzverteilung begünstigt, genügte dies für eine absolute Parlamentsmehrheit. Daraus lässt sich aber nicht zwingend ableiten, dass die Mehrheit der Polen den PiS-Kurs gut heißt oder aber ablehnt. Gewählt wurde sie vor allem, weil die vorige Regierungspartei PO sich in acht Jahren an der Macht verbraucht hat, einige Skandale produzierte und zum Schluss abgehoben und arrogant wirkte – und weil sich keine andere politische Alternative anbot. Die PiS punktete vor allem mit sozialen Versprechen wie einer beträchtlichen Erhöhung des Kindergelds und des steuerfreien Mindesteinkommens.

Der rasche und ziemlich unverhohlene Versuch der PiS, die Regierungsmacht nicht nur im gewohnten Maß zu nutzen, sondern sie sich durch den Umbau des Staats strukturell zu sichern, hat ihr einen starken Einbruch in den Umfragen beschert: von 42 auf 27 Prozent binnen zwei Wochen. Die PO konnte davon aber nicht profitieren, sondern nur eine neue liberale Partei „Nowoczesna“ ohne praktische politische Erfahrung. Wichtiger scheint das Aufkommen einer Protestbewegung. In den vergangenen Tagen gingen in mehreren Städten quer durch Polen Zehntausende auf die Straße, inspiriert durch ein Organisationszentrum namens KOD: Komitee zur Verteidigung der Demokratie.

Der Name erinnert an die Großzeit polnischer Massenproteste gegen die kommunistische Diktatur. 1976 hatten Oppositionelle ein Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) gegründet, nachdem Arbeiterproteste niedergeknüppelt worden waren. Daraus wurde 1980 die Solidarnosc, die erste freie Gewerkschaft im Ostblock und mit Abstand größte Demokratiebewegung dort. 1989 erzwang sie den Abschied der Kommunisten von der Macht. Auch in den 25 Jahren seither hat Polens Zivilgesellschaft mehrfach gezeigt, dass sie sich gegen Übergriffe der Regierung zu wehren weiß.

Was können die EU-Partner tun?

In der Praxis wenig. Sie können öffentlich ihre Besorgnis äußern und die Vertreter der PiS-Regierung bei EU-Treffen und bilateralen Begegnungen auf die Vorgänge ansprechen. Druckmittel wie die Beschneidung des Stimmrechts sind hingegen nur möglich, wenn die EU nachweisen kann, dass Polen gegen EU-Verträge verstößt. Auch der Europäische Gerichtshof ist nur zuständig für Rechtsstreit, der sich aus mutmaßlichen Verstößen gegen EU-Recht ergibt. Er ist keine Kontrollinstanz für innerstaatliche Rechtsbereiche von Mitgliedsstaaten, die nicht dem EU-Recht unterliegen.

Das „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD) mit seiner Führungsfigur Mateusz Kijowski organisiert den Protest gegen das totalitäre Gebaren der Regierung. Wer ist der Vorkämpfer des KOD?

„Und nun geht bitte nach Hause und lasst euch nicht provozieren“, sagt Mateusz Kijowski mit weicher Stimme. Ein paar Tausend Demonstranten stehen noch vor dem Sejm, dem polnischen Parlament. Die meisten haben den Protestplatz nach einer Bombendrohung bereits verlassen. Auch darum hatte Kijowski gebeten, obwohl die Polizei vor einer Evakuierung abgeraten hatte. Wohl glaubte sie selbst dem angeblichen Drohanrufer nicht. Doch Kijowski, der Gründer des „Komitees zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD) wollte lieber nichts riskieren.

Anführer der Demonstranten: Mateusz Kijowski
Anführer der Demonstranten: Mateusz Kijowski

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Bis zu 20.000 Polen waren am Samstag alleine in Warschau dem Protestaufruf des KOD gefolgt, um das alte Verfassungsgericht als Hüterin der demokratischen Ordnung zu verteidigen. Auch in Krakau und Danzig gingen bis zu 7000 Bürger gegen die totalitären Machtallüren der neuen Kaczynski-Regierung auf die Straße. Genützt hatte dies alles nichts. Das von der PiS kontrollierte Parlament beschloss die Neuorganisierung des Verfassungsgerichts, die es faktisch lahmlegt.

Kijowski sagt deshalb heute offen, er wolle mit der der Bürgerbewegung KOD nicht nur das alte Verfassungsgericht verteidigen, sondern er strebe auch vorgezogene Neuwahlen an. Zwar ist die KOD gut organisiert, doch nahm die Zahl der Demonstranten am letzten Samstag vor Weihnachten bereits wieder ab. Kijowski sagt: „Nach einer hitzigen Aktionsphase steht uns ein langwieriger Kampf bevor.“

Mit langwierigen Kämpfen kennt sich der 47-Jährige aus. Einer politischen Partei gehört er seit 1990, als er kurz Mitglied der linksliberalen Freiheitsunion wurde, nicht mehr an. Unter Freiwilligen diverser NGOs hat er sich jedoch einen Namen als kämpferischer Aktivist gemacht. Zuerst setzte er sich nach seiner Scheidung in eigener Sache für das Sorgerecht auch für Väter und andere Berechnungsmaßstäbe bei Alimenten ein – ihm selbst wird schon lange vorgeworfen, zu wenig für seine drei Kinder aus erster Ehe zu zahlen, was ihn angreifbar macht. Später kämpfte er für Impfungen und zuletzt gegen sexuelle Gewalt. Als Männeraktivist hat sich Kijowski so in gewissen Kreisen einen Namen gemacht, bekannt war er in Polen bislang nicht.

Kijowski ist ein von der Wende von 1989 geprägter Macher. Nach einem abgebrochenen Studium in Mathematik, Theologie und Journalistik versuchte er sich als Modedesigner, Blumenzüchter und Banker bevor er 1991 Computerspezialist wurde. Das KOD gründete er zunächst auf Facebook – doch längst hat die Bewegung das Netz verlassen. Mit einem eigenen Sicherheits- und Sanitätsdienst und kämpferisch demokratischer Attitüde erinnert die Bewegung so manche an den Kiewer Maidan. (mit dpa, rtr)

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