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Sächsische Polizisten in Chemnitz. Kann man in ihre Köpfe gucken?

© Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Rechtsextremismus in der Polizei: Wer blind für den Einzelfall wird, handelt ungerecht

Eine suspendierte Beamtin darf zurück in ihren Job, trotz schlimmer Chat-Nachrichten. Weil sie Opfer eines zweiten strukturellen Problems ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Nach einem Beschluss des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts darf eine Polizistin an ihren Arbeitsplatz zurückkehren (Az.: 6 B 2055/20).

Das wäre keine Nachricht, gäbe es nicht den Vorwurf gegen sie, an rechtsextremen Kolleginnen-Chats teilgenommen zu haben. Deshalb hatte man sie suspendiert.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte die Vorgänge vergangenen September bekannt gemacht. Es gab mehr als 100 Verdächtige; Handys wurden einkassiert, Daten ausgewertet.

Zu finden waren irritierende Bilder. Sie zeigten Christbaumkugeln mit SS-Runen oder Hakenkreuze aus Dienstmunition. Im Fall der Polizistin machte man sich über Anne Frank lustig. Zu einer Waffe hieß es: „Rennt der N*** (sic!) frei herum, schalt auf Automatik um.“

So jemand darf wieder in die Polizei? Das Entsetzen war groß damals in Düsseldorf. Der Druck auf den obersten Dienstherrn der Polizei, Herbert Reul, war es auch.

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Zuvor war das Wort „strukturell“ für die Beschreibung solcher Phänomene in Mode gekommen. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wurde es vorgehalten. Doch er sagte damals, er sehe „kein strukturelles Problem“ mit Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden. Für ihn alles Einzelfälle.

Strukturen, solche von Rassismus und Extremismus, lassen sich leicht behaupten, aber schwer nachweisen. Sie befinden sich in den Köpfen. Polizei, Bundeswehr oder Verfassungsschutz ziehen seit jeher Personal an, das wohl eher rechts als weit links wählt, das eher einen starken als einen allzu sozialen Staat möchte, eher weniger Migration als mehr.

Klar, dass sich dort Rassisten und Extremisten finden. Möglicherweise liegt ihr Anteil höher als in anderen Berufen. Es bilden sich Kulturen und Subkulturen heraus, auch in der digitalen Welt, die die Akteure miteinander verbindet. Möglicherweise ist es gerechtfertigt, hier von problematischen Strukturen zu sprechen. Ist es damit auch ein strukturelles Problem?

337.525 WhatsApp-Nachrichten in 790 Chats

Wenn Konsens darüber besteht, dass Polizei ein strukturelles Problem mit Rassismus und Extremismus hat, entfällt der Aufwand, es im Einzelnen nachweisen zu müssen. Es muss dann nur noch gehandelt, beschult und natürlich aussortiert, also gefeuert werden. Wo ein Hitlerbild auftaucht, muss das Folgen haben.

Die Polizistin, 21 Jahre alt, hatte 337.525 WhatsApp-Nachrichten in 790 Chats und 172214 Bilddateien auf dem Smartphone. Acht davon stellten sich als anstößig heraus; sie hat sie weder verbreitet noch kommentiert und behauptete, sie nicht mal wahrgenommen zu haben.

Als Reul die Vorgänge damals öffentlich machte, checkte sie umgehend ihr Gerät und meldete sich bei ihren Vorgesetzten. Das wurde ihr zum Verhängnis. Ist die Frau eine Extremistin, die im Polizeidienst nichts zu suchen hat? Wenn man nur Strukturen sieht, kann es sein, dass man blind für den Einzelfall wird. Dann wird es ungerecht. Und das ist dann auch ein strukturelles Problem.

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