zum Hauptinhalt

Politik: Rechtsextremismus: Vermutlich dreimal mehr Gewalttaten als bisher angenommen

Die Zahl muss wohl korrigiert werden - nach oben. 93 Todesopfer rechter Gewalt seit Oktober 1990 haben Tagesspiegel und "Frankfurter Rundschau" letzte Woche genannt, nun ist bereits das 94.

Von Frank Jansen

Die Zahl muss wohl korrigiert werden - nach oben. 93 Todesopfer rechter Gewalt seit Oktober 1990 haben Tagesspiegel und "Frankfurter Rundschau" letzte Woche genannt, nun ist bereits das 94. zu beklagen. Zwei Skinheads prügelten am 14. September in Schleswig einen Obdachlosen zu Tode. Die Chronik der beiden Zeitungen wird vermutlich noch oft zu ergänzen sein.

Auch dann bleibt das Ausmaß der rechten Gewalt nur in Teilen erkennbar. Seit der Vereinigung seien dreimal mehr Tötungsdelikte und Körperverletzungen verübt worden als offiziell gemeldet, schätzt der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer. Auch Bundesinnenminister Otto Schily bezweifelt nun die Zahlen, die ihm die Landeskriminalämter melden. Da werden statt 93 Toten "nur" 26 seit Oktober 1990 registriert.

Laut Schily gibt es "Erfassungsdefizite". Die Statistiken müssten komplett überprüft werden, sagt die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, und verlangt die Bildung einer unabhängigen Kommission. Pfeiffer fordert einen Ombudsmann, der jeden bekannt gewordenen Fall rechter Gewalt dokumentieren soll.

Bei den Recherchen der beiden Zeitungen stellte sich heraus, dass die Ermittlungen der Strafverfolger manche Fragen offen ließen. Wie ist zum Beispiel der Fall Michael B. zu bewerten, der im Juni 2000 in Dortmund und Waltrop (Nordrhein-Westfalen) drei Polizisten erschoss? B. hatte sich in der rechten Szene herumgetrieben, er trank und entwickelte Angstfantasien. Die Staatsanwaltschaft kann keinen politischen Hintergrund erkennen. Dann wäre da der Brandstifter, dessen Anschlag auf ein Asylbewerberheim in Stuttgart 1994 sieben Menschen das Leben kostete. Der Mann galt als labil, äußerte aber auch rassistische Parolen. Das Landgericht Stuttgart sah kein rechtes Motiv.

Wer aber hat die 10 Toten von Lübeck auf dem Gewissen? Zwei Landgerichte haben geurteilt, dem Libanesen Safwan Eid könne der Brandanschlag vom Januar 1996 auf das Flüchtlingsheim nicht nachgewiesen werden - wiewohl ein Tatverdacht bei Prozessbeobachtern geblieben ist. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wieder gegen eine Clique aus Grevesmühlen (Mecklenburg), die nach dem Anschlag festgenommen worden war - und rasch freikam. Sollte sich bei den Taten von Dortmund, Waltrop, Stuttgart und Lübeck doch ein zweifelsfrei rechter Hintergrund ergeben, müsste die Zahl der Toten erneut korrigiert werden - auf 114.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false