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Die Angeklagte Beate Zschäpe steht im Gerichtssaal in München zwischen ihren Anwälten Anja Sturm (links) und Wolfgang Heer (rechts). Die NSU Neonazi-Gruppe um Zschäpe soll zwischen 2000 und 2007 zehn Morde begangen haben.

© dpa

Befangenheitsantrag: Ein Rückschlag im NSU-Prozess

Ein seltsames Wort in einem Beschluss und nun steht ein Richter im Verdacht, schon von der Schuld Beate Zschäpes und der vier Angeklagten überzeugt zu sein. Gerät der Mammutprozess nun ins Stocken – oder steht er gar vor dem Aus?

Von Frank Jansen

Der Tag verlief wirr, der Strafsenat schien aus dem Tritt zu kommen. Die Befangenheitsanträge der Verteidiger von Beate Zschäpe haben am Dienstag im NSU-Prozess das für diese Woche geplante Programm durcheinander gebracht. Mehr noch: die fünf Richter des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts München sind in den Verdacht geraten, dienstliche Stellungnahmen könnten nicht hundertprozentig der Wahrheit entsprechen. Ein Richter hat zudem mit einer seltsamen Wortwahl in einem Beschluss die Frage provoziert, ob er schon von der Schuld Beate Zschäpes und der weiteren vier Angeklagten überzeugt sei und damit nicht mehr unvoreingenommen. Gerät nun dieser Mammutprozess zum schlimmsten rechtsextremen Terror seit der Wiedervereinigung ins Stocken – oder steht er gar vor dem Aus?

Wahrscheinlich nicht. Doch das Hickhack am 35. Verhandlungstag war ein Rückschlag. Der schon extrem enge Terminplan des Strafsenats wurde weiter belastet. Die für den Dienstag geladenen sechs Zeugen zum NSU-Mord an Mehmet Turgut in Rostock konnten wieder abreisen, außerdem setzte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl diesen Mittwoch als Verhandlungstag ab. Die ebenfalls sechs geladenen Zeugen zum Fall des in Dortmund ermordeten Deutschtürken Mehmet Kubasik müssen nun auch an anderen Tagen gehört werden. Wann die Einvernahme der insgesamt zwölf Zeugen erfolgen soll, ist offen.

So wächst die Gefahr, dass der Prozess weiter thematisch zerfasert, wenn nun zusätzlich Zeugen in Verhandlungstage gedrückt werden, an denen bereits mehrere Verbrechen des NSU auf der Agenda stehen. Andererseits muss sich der Strafsenat an das Beschleunigungsgebot halten. Immerhin sitzen Beate Zschäpe und der Mitangeklagte Ralf Wohlleben seit November 2011 in Untersuchungshaft. Haben also die Verteidiger Zschäpes mit ihren Befangenheitsanträgen unnötig Sand ins Getriebe geworfen?

5000 Euro „für ein Verfahren dieser Größenordnung sicherlich ungenügend“

Manche Nebenklage-Anwälte sehen das so, aber diese Interpretation erscheint verkürzt. Die Verteidiger haben das Recht, jeden Schritt der Richter kritisch zu begleiten - bis hin zum Ablehnungsgesuch, wenn Befangenheit angenommen wird. Das betrifft auch finanzielle Fragen. Wenn Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl, Pflichtverteidiger wie seine Kollegen Wolfgang Heer und Anja Sturm, vom Staat 77 000 Euro für das immense Arbeitspensum während des einjährigen NSU-Ermittlungsverfahrens erwartet, ein Richter des Strafsenats ihm aber nur 5000 Euro Vorschuss zubilligt, ist ein Befangenheitsantrag wenig überraschend. Selbst der Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann, der ein Opfer des Nagelbombenanschlags des NSU in Köln vertritt, nannte am Dienstag in einer Pressemitteilung die 5000 Euro „für ein Verfahren dieser Größenordnung sicherlich ungenügend“.

Dass die Verteidiger Zschäpes deshalb einen Befangenheitsantrag und dann noch gegen den gesamten Strafsenat stellten, hält Hoffmann allerdings für übertrieben. Aber er gibt Zschäpes Anwälten inhaltlich in einem weiteren Punkt recht, der für den Strafsenat noch unangenehmer ist. Der beisitzende Richter Konstantin Kuchenbauer, der im September die 5000 Euro für Stahl per Beschluss festsetzte, hat darin eine zumindest missverständliche Begrifflichkeit gebraucht. Kuchenbauer schrieb, die Strafsache sei „im Hinblick auf die tatsächlichen Probleme des Tatnachweises“ besonders schwierig. An anderer Stelle ist von den „besonderen Schwierigkeiten im Tatnachweis“ die Rede. Tatnachweis? In einem Prozess haben die Richter in der Beweisaufnahme die Aufgabe, den Sachverhalt an sich zu erforschen, nicht eine Tat nachzuweisen.

Wer die Wahrheit sagt und wer nicht, wird vermutlich kaum zu klären sein.

Steht für Kuchenbauer dennoch schon fest, dass Zschäpe die ihr vorgeworfenen Taten begangen hat? Dann wäre er tatsächlich befangen. Anwalt Hoffmann hält Kuchenbauer vor, er habe eine „unglückliche Formulierung“  gebraucht, die einem Richter an einem Oberlandesgericht „nicht unterlaufen sollte“. Kuchenbauer hat sie allerdings noch in einer dienstlichen Stellungnahme bekräftigt. Doch „eine abschließende Festlegung in der Schuldfrage“ bezüglich der Angeklagten Zschäpe und Wohlleben habe er, schreibt der Richter, nicht beabsichtigt

Zschäpes Anwälte formulierten am Dienstag einen zweiten Befangenheitsantrag

Fragwürdig erscheint auch, dass der Vorsitzende Richter Götzl und vier Kollegen in dienstlichen Erklärungen beteuern, sie hätten an dem Beschluss Kuchenbauers nicht mitgewirkt, Zschäpes Verteidiger Stahl nur 5000 Euro zu gewähren. Stahl sagt jedoch, am 4. September habe Kuchenbauer in einem Telefonat mitgeteilt, der Beschluss sei fertig - der Senat diskutiere aber noch darüber. Haben demnach Götzl und vier Kollegen in ihren dienstlichen Stellungnahmen gelogen? Zschäpes Anwälte sehen es so, deshalb formulierten sie am Dienstag einen zweiten Befangenheitsantrag gegen den 6. Strafsenat.

Wer die Wahrheit sagt und wer nicht, wird vermutlich kaum zu klären sein. Es erscheint allerdings wenig vorstellbar, dass ein derart dominant auftretender Vorsitzender Richter wie Manfred Götzl keinen Einfluss darauf genommen hat, wie Kuchenbauers Beschluss ausfällt. Entscheidend ist allerdings, was die drei Richter des 7. Strafsenats des OLG denken, die über die Befangenheitsanträge gegen die Kollegen des 6. Senats zu entscheiden haben. Das wird vermutlich an diesem Mittwoch geschehen. Am morgigen Donnerstag dürfte dann Götzl das Ergebnis gleich zu Beginn des 36. Tages im NSU-Prozess verkünden.

Auch wenn die Richter des 7. Senats die Befangenheitsanträge wahrscheinlich abweisen, werden Zweifel bestehen bleiben, ob Götzl, Kuchenbauer und die weiteren Kollegen des 6. Senats diesmal einwandfrei agiert haben. Und ob sie  vollkommen unvoreingenommen diesen Prozess führen. Sind diese Richter vielleicht doch einen Tick zu selbstsicher? Götzl jedenfalls tritt gern als Zuchtmeister auf und staucht Anwälte zusammen, deren Anträge oder Fragen ihm unsinnig erscheinen. Das Resultat ist allerdings widersprüchlich, ja geradezu paradox.

Götzl hat den NSU-Prozess weitgehend im Griff

Götzl hat den NSU-Prozess, der angesichts der Dimension der Verbrechen der Terrorzelle und der Masse der Nebenklage-Anwälte als gigantisches Experiment erschien, weitgehend im Griff. Mit seiner rüden Art hat der Richter die Nebenklage-Anwälte so weit diszipliniert, dass manche sich nur noch zaghaft zu Wort melden. Aber damit hat Götzl womöglich die Institution Nebenklage gerettet – fast schon ein rechtspolitisches Wunder. Vor dem Prozess gab es in Justiz und Medien reichlich Bedenken, dass eine Hauptverhandlung mit mehr als 70 Nebenklägern und entsprechend vielen Anwälten führbar ist. Er ist es, das hat Götzl demonstriert. Auch wenn die Methoden nicht immer feinfühlig sind.

Aber es scheint, das ist ein weiteres Paradox, bei manchen Nebenklägern türkischer Herkunft das Vertrauen in die deutsche Justiz zurückzukehren. Anfang September kamen die Mutter und der Bruder des vom NSU in Nürnberg erschossenen Imbissbetreiber Ismail Yasar zum Prozess. Die beiden waren aus der Türkei angereist. Nach dem Verhandlungstag schimpfte die Mutter erst auf Zschäpe, „die Mörderin, was hat sie meinem Sohn angetan“. Dann lobte Salima Yasar die Richter. Es sei gut, dass das Gericht dem Verbrechen „so gründlich nachgeht“, sagte die 82 Jahre alte Frau, „das Vertrauen ist gewachsen“. 

Ob Götzl davon erfahren hat und sich bestätigt sieht, ist unklar. So oder so wird er wohl an diesem Donnerstag, sollten die Befangenheitsanträge scheitern, Regie führen, als habe es  diese Woche keine Turbulenzen gegeben. Geladen sind Zeugen zu dem von Beate Zschäpe gelegten Brand in Zwickau und zum Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund.     

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