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Klaus Pryzbilla, ehemals Vorsitzender Richter am Potsdamer Landgericht.

© privat

Interview: "Ich hoffe auf abschreckende Wirkung"

Klaus Przybilla, ehemaliger Vorsitzender Richter am Potsdamer Landgericht, spricht mit Tagesspiegel-Autor Frank Jansen über rechtsextreme Gewalttäter und harte Urteile.

Von Frank Jansen

Herr Przybilla, wie viele rechte Tötungsverbrechen und andere einschlägige Gewalttaten haben Sie in Ihrer Zeit am Potsdamer Landgericht bearbeitet?

Es waren in 14 Jahren nach der Wende viele, zu viele für diese Zeit meines Berufslebens nur im Land Brandenburg. Deutlich mehr als hundert müssen es gewesen sein.

Wie haben Sie die schrecklichen Prozesse verkraftet?

Ich war zuletzt schon etwas ausgebrannt und dünnhäutig, auch zornig. Das konnte man meinen mündlichen Urteilsbegründungen – es war dann die Stunde des Vorsitzenden, dass offene Wort zu führen – leicht entnehmen.

Hatten Sie Probleme, bei den von Ihrer Kammer verhandelten Tötungsverbrechen einen rechten Hintergrund zu erkennen?

Nein. Die Täter haben sich aufgrund ihrer einfachen Persönlichkeitsstruktur oft schon im Ermittlungsverfahren als diffus rechtsradikal zu erkennen gegeben. Das geschah bereits in der Beschuldigtenvernehmung oder in der Haftpost. Immerhin waren Briefe für lange Zeit die letzte Möglichkeit, sich gegenüber Kameraden zu profilieren. Häufig wurden zudem bei Übergriffen, zum Beispiel gegenüber verachteten alkoholkranken Menschen, Legenden wie „der hat meine Freundin angemacht“ oder „der war ein Kinderschänder“ als Rechtfertigung vorgetragen.

War die im Jahr 2001 bei der Polizei erfolgte Umstellung auf das erweiterte Erfassungssystem „Politisch Motivierte Kriminalität“, kurz PMK, hilfreich?

Das kann ich für einige Fälle bestätigen, zum Beispiel für die Ermordung des Obdachlosen Dieter Manzke in Dahlewitz im August 2001. Dieser Fall wäre im alten Erfassungssystem nicht als rechts motiviert eingestuft worden. Und das neue System hat eine politische Wirkung. Eine Kriminalstatistik, die eine signifikant hohe Zahl politisch motivierter Straftaten ausweist, ist ein Makel für die Politik eines Landes und zwingt zum Handeln.

Sie haben 2002 im Fall Manzke von einer politischen Tat gesprochen, obwohl die Täter keine Neonazis waren. Wie sehen Sie das Urteil heute?

An meiner Bewertung hat sich nichts geändert. Jede Tat, die sich gegen den gesellschaftlichen Status eines Menschen richtet, wie es in der Definition PMK steht, ist politisch motiviert. Sie erinnern sich: Dieter Manzke musste sterben, weil er als „Penner“ und „Suffi“ den in der Nachbarschaft wohnenden, erwachsenen Haupttäter gestört hat und eine emotional verkommene Jugendclique ihren Spaß haben wollte.

In Justizkreisen heißt es, manche Richter scheuten sich, ein Tötungsverbrechen als rechts motiviert und damit als Mord zu beurteilen, da zu befürchten sei, die Verteidigung bekomme Argumente für eine Revision. Ist diese Sorge berechtigt?

Es mag sein, dass es Richter gibt, die in einer Überlastungssituation das Rechtsmittel der Revision scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Immerhin muss ein rechtskräftiges Urteil nur in Kurzform geschrieben werden und macht weniger Arbeit. Dass eine Schwurgerichtskammer aus Furcht vor einer Revision trotz eindeutiger Anzeichen das Mordmerkmal nicht feststellt, schließe ich aber aus. Dann würden Staatsanwaltschaft und Nebenklage automatisch Rechtsmittel einlegen, da die Richter ihre Aufklärungspflicht verletzt hätten.

Was schreckt die Richter denn stärker?

Näher liegt vielmehr eine Zurückhaltung der Richter aufgrund der Rechtsprechung des für die Revision zuständigen Senats am Bundesgerichtshof. Das Mordmerkmal „sonst niedrige Beweggründe“, wie eben rechtsextremer Hass, muss wegen eines dabei notwendigen „Motivbündels“ sorgfältig begründet werden. Trotzdem werden solche Urteile vom Bundesgerichtshof häufig beanstandet. Andererseits gilt, dass ein Gericht, welches Angst vor einer Revision hat, seine richterliche Unabhängigkeit in Frage stellt – aber ein so kostbares Gut muss unantastbar sein.

Was würden Sie anderen Richtern für Prozesse gegen rechte Gewalttäter raten?

Ich wünsche mir, dass bei Straftaten mit rechtem Hintergrund häufiger der gesetzliche Strafrahmen ausgeschöpft wird. Und dass die oft traumatischen Folgen für die Tatopfer, wenn sie denn überlebt haben, bei der Strafzumessung stärker akzentuiert werden. Außerdem sollte öfter unter Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen – also zur Abschreckung potenzieller Täter und zum Schutz potenzieller Opfer – eine der Tatschuld angemessene Verurteilung erfolgen.

Haben Sie den Eindruck, ihre oft harten Urteile gegen rechtsextreme Kriminelle haben etwas bewirkt?

Ich hoffe auf eine abschreckende und erzieherische Wirkung. In mehreren mir bekannten Fällen sind Verurteilte vom Saulus zum Paulus mutiert. Einige haben sich dann sogar der Staatsanwaltschaft als Zeugen zur Verfügung gestellt.

Das Interview führte Frank Jansen.

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