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Terrorzelle "NSU": Welche Erkenntnisse haben die Ermittler?

Ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der Jenaer Bande ist in Haft. Wer ist der festgenommene Ralf W.? Was wirft die Bundesanwaltschaft Ralf W. vor? Und wie könnte sein Tatbeitrag ausgesehen haben?

Von Frank Jansen

Er ist der dritte festgenommene, mutmaßliche Helfer der Terrorzelle, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ nannte: Ralf W., 36 Jahre alt und am Dienstagmorgen in Jena von Beamten des Landeskriminalamts Thüringen abgeführt, gilt als mögliche Schlüsselfigur im Umfeld der NSU – auch wegen seiner Rolle in der NPD und der Querverbindungen zur unorganisierten Neonazi-Szene.

Wer ist Ralf W.?

Der Rechtsextremist ist schon seit Mitte der 1990er Jahre in braunen Milieus aktiv. Höhepunkt seiner „Karriere“ war die Position des stellvertretenden Vorsitzenden der Thüringer NPD in den Jahren 2002 bis 2008. Der Thüringer Verfassungsschutz hat in seinen Jahresberichten Ralf W. so häufig genannt wie nur wenige andere Rechtsextremisten. Der Mann agitierte im Internet und tat sich mehrmals als Organisator einschlägiger Veranstaltungen hervor, beispielsweise dem von 300 Neonazis besuchten „8. Thüringentag der nationalen Jugend“ im Juni 2009 in Arnstadt.

Ralf W. ist in Jena geboren und war von dort aus aktiv. Er zählte hier zum eher kleinen Milieu der „Kameradschaft Jena“, der auch die späteren Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe angehörten. Die Kameradschaft ging Ende der 1990er Jahre in der Neonazi-Organisation „Thüringer Heimatschutz (THS)“ auf und bildete dort die „Sektion Jena“. Im Jahr 2002 kaufte Ralf W. zusammen mit dem THS-Mann André K. und einem weiteren Rechtsextremisten im Jenaer Ortsteil Altlobeda die frühere Gaststätte „Zum Löwen“. Die Neonazis zogen in dem baufälligen Gebäude ein „Wohnungs- und Schulungsobjekt ,Zum Löwen’“ auf, das als „braunes Haus“ bekannt wurde. Hier fanden Szenetreffen und Konzerte statt. Im Januar 2009 hielt der ehemalige RAF-Terrorist und später zum Rechtsextremismus gewechselte Horst Mahler im Gebäude einen Vortrag mit dem Titel „Die Kernschmelze der judaisierten Welt ist der Welt Auferstehung zum Nationalsozialismus“. Das „braune Haus“ ist inzwischen geschlossen.

Ralf W. (M.) war NPD-Funktionär. Für die Jenaer Terrorzelle soll er eine wichtige Rolle gespielt haben.
Ralf W. (M.) war NPD-Funktionär. Für die Jenaer Terrorzelle soll er eine wichtige Rolle gespielt haben.

© dpa

Was wirft die Bundesanwaltschaft Ralf W. vor?

In den vergangenen Tagen sind offenbar weitere Vorwürfe gegen Ralf W. hinzugekommen. Bereits am Montag hatte der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof auf Antrag der Bundesanwaltschaft einen Haftbefehl gegen den Mann erlassen. Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt führen Ralf W. schon länger als Beschuldigten, vergangene Woche wurden bereits seine Wohnräume durchsucht. In Sicherheitskreisen hieß es früh, dass Ralf W. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe geholfen haben soll, Anfang 1998 unterzutauchen. Die Bundesanwaltschaft spricht auch von finanzieller Unterstützung für das im Untergrund lebende Trio.

Der härteste Vorwurf, den die Behörde in Karlsruhe jetzt erhebt, rückt Ralf W. sogar in die Nähe der Mordserie des NSU. Der Neonazi soll 2001 oder 2002 den Terroristen eine Schusswaffe und Munition verschafft haben. „Dabei nahm der Beschuldigte billigend in Kauf, dass die Schusswaffe für rechtsextremistische Morde verwendet werden könnte“, teilte die Bundesanwaltschaft am Dienstag mit. Somit ist Ralf W. verdächtig, Beihilfe zu sechs Morden des NSU und einem versuchten Mord geleistet zu haben.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie sein Tatbeitrag ausgesehen haben könne.

Wie könnte sein Tatbeitrag ausgesehen haben?

Die Terroristen könnten die Waffe bei fünf der neun Morde an Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie bei den tödlichen Schüssen auf die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn eingesetzt haben. Bei diesem Angriff, im April 2007, wurde zudem ein Kollege Kiesewetters lebensgefährlich verletzt. Das wertet die Bundesanwaltschaft als versuchten Mord.

Offen bleibt, welche Waffe Ralf W. geliefert haben könnte. Die bei den Morden an den Migranten eingesetzte Ceska kann es nicht sein, da die Terroristen sie schon im September 2000 bei der ersten Tat eingesetzt hatten. Möglicherweise handelt es sich um eine Pistole der Marke Tokarew TT-33, Kaliber 7,62 Millimeter. Sie war eine der Tatwaffen beim Mord an der Polizistin in Heilbronn. Am Tatort wurden allerdings auch Projektile des Kalibers 9 Millimeter Luger gefunden. Dies könnte sogar zu einer Maschinenpistole passen, die Polizeibeamte am 4. November im thüringischen Eisenach im angebrannten Wohnmobil fanden, in dem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen lagen.

Ralf W. soll jedenfalls den Terroristen eine Waffe über einen Kurier übermittelt haben. Wer der Bote sein könnte, sagt die Bundesanwaltschaft nicht. Möglicherweise kommt der am 13. November nahe Hannover festgenommene Holger G. infrage. Er soll der Terrorzelle seinen Führerschein, seinen Reisepass und Geld gegeben haben. Der Kreis könnte sich beim Blick auf einen weiteren Kontakt schließen. Die Verbindung zwischen dem Trio und Holger G. soll schon Ende der 1990er Jahre in Jena ausgerechnet Ralf W. hergestellt haben.

Unklar bleibt zudem die Rolle von Ralf W. im Fall Kiesewetter. Über einen Schwager konnte er einen Gasthof im thüringischen Oberweißbach nutzen – dem Städtchen, aus dem die in Heilbronn ermordete Polizistin stammte.

Wie ernst zu nehmen sind Hinweise, dass Beate Zschäpe Informantin von Thüringer Behörden war?

Es gebe „aus der Zeit zwischen 1998 und 2011“ einen „Hinweis, offenbar des thüringischen Landeskriminalamtes“, dass Zschäpe „staatlicherseits gedeckt sei“, meldete am Dienstag die „Leipziger Volkszeitung“. Außerdem sollen „Vertraute“ der Frau im Jahr 2003 die Justiz gefragt haben, ob sich die Abgetauchte wieder zurück in die Öffentlichkeit begeben könnte. Sicherheitskreise betonten jedoch gegenüber dem Tagesspiegel, bislang gebe es keine Anhaltspunkte, dass Zschäpe oder Mundlos oder Böhnhardt mit dem Verfassungsschutz oder einer anderen Behörde kooperiert hätten.

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