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Der Ton war rau am dritten Prozesstag.

© Reuters

Turbulenter Tag im NSU-Prozess: Zwischen Anträgen und Wortgefechten

Immer wieder Anträge und Streit um das Rederecht: An einem turbulenten dritten Tag im NSU-Prozess fordert ein Verteidiger ein Lachverbot, ein anderer verlässt wütend den Saal. Der Antrags-Marathon geht weiter - sogar die Einstellung des Verfahrens wird verlangt.

Von Frank Jansen

Der Ton wird rau. Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München sind am Mittwoch die Verteidiger von Beate Zschäpe mit dem Vorsitzenden Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl, und Anwälten der Nebenkläger aneinander geraten. Anlass waren härtere Kommentare von Nebenklage-Anwälten zu Anträgen der Verteidiger von Ralf Wohlleben, die Hauptverhandlung auszusetzen und sogar das Verfahren gegen ihn einzustellen – wegen „medialer Vorverurteilung“ des Mandanten und der angeblichen Verstrickung von „Inlandsgeheimdiensten“ in die Mordtaten des NSU.

Der Nebenklage-Anwalt Thomas Bliwier, der den Vater des in Kassel vom NSU ermordeten Halit Yozgat vertritt, bezeichnete die Anträge als „heiße Luft“ und warf den Verteidigern Wohllebens „Stimmungsmache“ vor. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer wollte sich dazu äußern, wurde aber von Götzl und von Zwischenrufen und Gelächter aus den Reihen der Nebenklage-Anwälte unterbrochen. Es  kam zum Eklat: Der ebenfalls Zschäpe verteidigende Anwalt Wolfgang Stahl stand auf, rief: „so kann man eine Verhandlung nicht führen“, zog seine Robe aus und verließ den Saal. Nach wenigen Minuten kam Stahl dann zurück.

Der Konflikt entzündet sich an Götzls Versuch, den Prozess trotz einer hohen Zahl an Verfahrensbeteiligten straff und zügig zu führen. Da weiß der Richter die Nebenkläger und ihre Anwälte hinter sich, die sich mit den Tatvorwürfen gegen die Angeklagten befassen wollen und weniger mit prozessualen Fragen. Götzl setzte am Dienstag durch, dass die Bundesanwaltschaft die Anklage verlesen konnte, Zschäpes Verteidiger mussten ihren Antrag zurückstellen, die Verhandlung auszusetzen. Bei Anwalt Stahl entlud sich dann der stetig wachsende Ärger in der kurzzeitigen Flucht aus dem Gerichtssaal.

Am Nachmittag konnte Heer dann den Antrag der Verteidiger auf Aussetzung des Prozesses oder eine hilfsweise Unterbrechung für drei Wochen stellen. Wesentlicher Punkt ist eine Kollision zwischen den Interessen zweier NSU-Untersuchungsausschüsse und denen der Verteidigung. Heer monierte, dass die Ausschüsse des Bayerischen und des Thüringer Landtages nur gestattet haben, ihre dem OLG gelieferten Akten dürften auch nur dort eingesehen werden. Fotokopien sind nicht erlaubt. Und die Thüringer Abgeordneten verwehren den Verteidigern sogar, handschriftliche Notizen in die Kanzlei mitzunehmen. Die Blätter dürfen nur während der Hauptverhandlung genutzt und müssen dann zurückgegeben werden.

Im Antrag forderte Heer den Strafsenat auf, Abhilfe zu schaffen. Notfalls wären die Verteidiger bereit, sich geheimschutzrechtlichen Auflagen zu unterwerfen. Beim jetzigen Stand halten die Verteidiger laut Heer eine „sinnvolle Befassung“ mit den Erkenntnissen der Untersuchungsausschüsse für unmöglich.

Die Verteidiger Zschäpes ärgern sich auch über die Bundesanwaltschaft. In ihrem Antrag verlangen sie, Götzl solle bei Generalbundesanwalt Harald Range darauf hinwirken, zwei seiner Leute im Prozess, Bundesanwalt Herbert Diemer und Oberstaatsanwältin Anette Greger, abzulösen. Die Anwälte werfen Diemer vor, er erschwere ihnen die Einsicht in Ermittlungsakten von Staatsanwaltschaften in mehreren Bundesländern zu Anschlägen und Raubüberfällen des NSU. Und Greger wird vorgehalten, sie habe den Verteidigern die Herausgabe der vom Bundeskriminalamt erstellten Liste mit 129 Namen aus dem NSU-Komplex verweigert. Auf der Liste stehen neben Zschäpe und den weiteren Angeklagten auch andere Beschuldigte sowie mögliche Kontaktpersonen des NSU und seines Umfelds.

Der Strafsenat entschied am Mittwoch noch nicht über den Antrag. Götzl sprach allerdings einen weiteren, heiklen Punkt an. Er hatte am Dienstag angeregt, über eine Abtrennung des Falles „Nagelbombenanschlag in Köln“ vom NSU-Prozess zu sprechen, sollte sich die Zahl der Nebenkläger noch deutlich erhöhen – was nichts auszuschließen ist, da bis kurz vor dem Prozessbeginn laufend Anmeldungen eingingen. Bei dem Anschlag im Jahr 2004 wurden mehr als 20 Menschen meist türkischer Herkunft verletzt. Mehrere Opfer und Angehörige sind im Prozess vertreten, es könnten aber weitere Nebenkläger hinzukommen.  Mehrere Nebenklage-Anwälte lehnten am Mittwoch eine Abtrennung vehement ab, da sie befürchten, das Verfahren zum Nagelbombenanschlag werde dann eingestellt.

Laut Strafprozessordnung kann auf eine Strafe für ein Delikt verzichtet werden, wenn sie im Vergleich zur Strafe für eine andere Tat „nicht beträchtlich ins Gewicht fällt“. Sollte also Zschäpe wegen der von der Bundesanwaltschaft angeklagten Mittäterschaft bei den Morden des NSU zu lebenslanger Haft verurteilt werden, könnte ein Prozess wegen des Anschlags in Köln unnötig erscheinen. Die Idee des Richters habe seinen Mandanten „erheblich schockiert“, sagte der Anwalt eines Opfers. Eine Anwältin mahnte Götzl, „das Gericht muss sich entscheiden, ob es einen Prozess gegen die Opfer führen will“. Mehrere Anwälten verwiesen darauf, dass bereits jetzt, am dritten Prozesstag, etwa 40 Plätze in dem für Nebenkläger reservierten Bereich nicht besetzt seien.                    

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