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Politik: Redet anders, oder gar nicht

Von Harald Martenstein

Vorgestern lief im Fernsehen „Deutschland, ein Sommermärchen“, der Film zur WM.

Wenn Koch, Rüttgers oder Wulff zum hundertsten Mal gefragt werden, ob sie Kanzler sein möchten, müssten sie auf die folgende Weise antworten: „Ja, ich will. Natürlich. Was ist das überhaupt für eine Frage? Jeder kleine Junge, der anfängt, Fußball zu spielen, träumt davon, dass er eines Tages bei der WM antritt. Jeder junge Mensch, der in die Politik geht, träumt heimlich davon, eines Tages Kanzler zu sein. Wer die eigene Biografie nur dann für geglückt hält, wenn sie im Kanzleramt oder in der Nationalmannschaft endet, ist natürlich wahnsinnig. Und wenn wir uns in der Partei gegenseitig vor Ehrgeiz zerfleischen, schadet es allen. Es ist wie im Sport. Ehrgeiz ist gut, solange er nicht schadet.“ Meines Wissens redet kein Politiker so.

Bei ihrem Parteitag haben die Grünen sich in Nebelschwaden gehüllt. Die Spitzengrünen haben Angst, ihrer Basis die Wahrheit zu sagen, nämlich, dass neue Koalitionen bevorstehen. Waren die Grünen nicht mal mit hohen moralischen Ansprüchen angetreten? Mehr Wahrhaftigkeit? Mehr Offenheit? Jetzt machen die Grünen Politik wie Angela Merkel. Opposition und Regierung tun das Gleiche. Beide legen sich ungern fest, vermeiden Diskussionen zu kniffligen Themen, warten in sicherer Deckung ab. Die grünen Vorsitzenden müssten so reden: „Wer bei uns glaubt, dass nur eine SPD-geführte Regierung und nur ein SPD-Kanzler akzeptabel sind, sollte ehrlicherweise bei den Grünen austreten und zur SPD gehen. Wir müssen als Partei auf eigenen Beinen stehen. Falls wir eines Tages wieder mitregieren möchten, müssen wir als Partei jetzt herausfinden, wer wir wirklich sind. Wenn wir eher Linke sind, gehören wir wohl in eine Koalition mit der Linkspartei. Wenn wir eher Liberale sind, gehören wir wohl in eine Koalition mit der FDP. Diese Diskussion wird hart sein, es wird Parteiaustritte geben, aber besser, wir klären es jetzt, ohne Zeitdruck, als dass wir nach Wahlen in irgendeine Regierung hineinschlittern, womöglich aus falschem Ehrgeiz, und uns anschließend in inneren Kämpfen zerfleischen.“

So redet keiner. In keiner Partei. Sie streiten sich, aber sagen nicht wirklich, worum es geht und was sie denken. Deswegen ist Politik zurzeit weniger interessant als zum Beispiel Popmusik, Kino oder Fußball. Jens Lehmann hat immer offen zugegeben, dass er im Tor stehen will.

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