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Wahlkampf bis zum Schluss: Der türkische Präsident Erdogan am Karfreitag auf einer Veranstaltung in Konya.

© Kayan Özer/dpa

Referendum in der Türkei: "Das Ergebnis wird rasch Folgen für Europa haben"

Die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert ist derzeit als Wahlbeobachterin in der Türkei. Im Tagesspiegel spricht sie über ihre Erfahrungen und Erwartungen.

Frau Rawert, Sie sind Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und in dieser Funktion jetzt Wahlbeobachterin in der Türkei, zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen. Was werden Sie tun? 

Im Vorfeld der Wahl haben wir Vertreterinnen und Vertreter von Parteien getroffen, die für das Ja beziehungsweise das Nein zum Verfassungsreferendum stehen. Wir werden außerdem mit der Zivilgesellschaft in Kontakt kommen, also Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen sehen. Am Sonntag selbst werden wir paarweise Wahllokale aufsuchten, um zu überprüfen, ob jeder Mensch frei und geheim wählen kann. Alle Wahllokale sind in Schulen untergebracht. Ich kann Ihnen noch nichts aus eigener Erfahrung berichten, ich bin zum ersten Mal Wahlbeobachterin. 

Nun können Wahlen auch außerhalb der Wahllokale manipuliert werden. Wahlurnen können anschließend neu befüllt werden, die Bedingungen vor der Wahl für die Parteien können ungerecht sein. 

Wahlbeobachtung ist ein gängiges Instrument des Europarats, um zu sehen, ob seine Mitgliedstaaten sich an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Regeln halten. Wobei zu bedenken ist, dass die Entscheidung über das Verfassungsreferendum unter den Bedingungen des Ausnahmezustands stattfindet, der im Sommer 2016 verhängt wurde. Und natürlich gewinnen wir vor Ort auch Erkenntnisse über andere Rahmenbedingungen der Wahl. Ich hatte eine erste bereits bei meiner Ankunft in Ankara am Mittwoch. Auf den etwa 30 Kilometern Straße vom Flughafen zu meinem Hotel waren nur „Evet“-Plakate zu sehen, für das Ja zum Verfassungsreferendum. Ich habe kein einziges Plakat dagegen gesehen. Ich werde mich natürlich bemühen, zu erfahren, ob der Informations- und Entscheidungsprozess für alle fair verlaufen ist. 

Zum Beispiel? 

Ich weiß zum Beispiel von sozialdemokratisch geführten Städten und Gemeinden, die bewusst von EU-Fördergeld ausgeschlossen wurden, oder von Dorfvorstehern, an die Regierungsvertreter herantraten, wenn sie befürchteten, in ihrer Gemeinde seien die Chancen für das Ja nicht stark genug. Wir wissen auch, dass die Chancen, die „Hayir“-„Nein“-Position im Fernsehen zu verbreiten, dramatisch klein waren: Befürworter des Ja zum Verfassungsreferendum hatten im Wahlkampf nach unseren Erkenntnissen 28.000 Sendeminuten, alle Oppositionsparteien zusammen gerade 2.700. 

Ist Ihre Delegation Ziel von Behinderungen geworden? 

Bisher nicht. Unsere Hauptarbeit wird aber am Sonntag sein, am Tag des Referendums selbst. 

Kann Wahlbeobachtung verhindern, dass die Regierenden eines Landes, hier der Türkei, Potemkinsche Dörfer für die Delegationen aufbauen? Dass etwa in dem Wahllokal, das Sie beobachten, alles in Ordnung ist, während nebenan grob gegen demokratische Regeln verstoßen wird? 

Das können wir vor Sonntag noch nicht sagen. 

Wo werden Sie vor Ort sein? 

Ich habe mich für Ankara entschieden, andere Mitglieder unserer Delegation beobachten am Wahltag außerdem in Istanbul, Izmir und Antalya. 

Wer gehört dazu? 

Zur Delegation gehören 20 Mitglieder des Europarats aus 15 Nationen. Alle Fraktionen, die im Europarat vertreten sind, sind dabei.  

Haben Sie eine Prognose?

Ich rechne mit einem knappen Ergebnis. Und frage mich, beim einen wie beim anderen Ausgang, welche Folgen er für ein gedeihliches Zusammenleben in der Türkei, aber auch in Deutschland hätte. Die CDU plant bereits ein Islamgesetz und will den Kompromiss, den wir bei der doppelten Staatsbürgerschaft haben, zurückdrehen. Ganz abgesehen von den Folgen für die Türkei denke ich, dass der Wahlausgang in Europa, auch in Deutschland, ganz rasch Folgen haben wird, die wir intensiv diskutieren müssen.

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