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Politik: Regierungsberater: Kritik am Kapital zeigt Hilflosigkeit Rürup wirft SPD „ökonomisches Unverständnis“ vor

Empörung über Boykottaufruf von Parteivize Vogt

Berlin - Regierungsberater Bert Rürup hat die Kapitalismuskritik der SPD als einen „Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber den Auswirkungen der Globalisierung und des ökonomischen Unverständnisses“ gewertet. Dem Tagesspiegel sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates, es könne nicht Aufgabe von Politik sein, sich gegen die Globalisierung zu stellen. „Dies mag man beklagen, wie man auch das Wetter beklagen kann“, sagte er. „Ändern kann die nationalstaatliche Politik an diesen Trends kaum etwas.“ In der Debatte sei mehr Sachlichkeit nötig. Entsprechend äußerten sich die Parteienforscher Peter Lösche und Jürgen Falter, die die SPD vor einem Glaubwürdigkeitsproblem warnten, wenn Regierungshandeln und Parteiprogrammatik auseinander klafften.

Auch am Dienstag stellten sich mehrere SPD-Politiker hinter die umstrittenen Äußerungen von Parteichef Franz Müntefering, die die Kapitalismusdebatte in der Vorwoche anstießen. Entsprechende Passagen finden sich in auch in mehreren „Impulspapieren“ für das neue SPD-Programm, das im November beschlossen werden und die Antworten der Partei für das Zeitalter der Globalisierung geben soll. Dort heißt es etwa, die SPD stehe für die „Zähmung des Kapitalismus“ und das europäische Modell von Sozialstaat und Marktwirtschaft in Konkurrenz zur „angloamerikanischen Wirtschafts- und Unternehmensverfassung“, die sich global durchsetze.

Vertreter der Wirtschaft und der Union widersprachen auch am Dienstag der Kapitalismuskritik Münteferings. Vor allem ein indirekter Aufruf der stellvertretenden SPD-Chefin Ute Vogt gegen Unternehmer, die Arbeitsplätze abbauten, empörte am Dienstag die Wirtschaft. „Die Verbraucher haben es in der Hand, Produkte von Unternehmen zu meiden, die im großen Stil Menschen rausschmeißen“, sagte Vogt dem „Mannheimer Morgen“. Wenn sich Unternehmen dagegen sozial engagierten und um den Erhalt von Arbeitsplätzen bemühten, könne das ein Kaufanreiz sein. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) machte für diese Zuspitzung den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen verantwortlich. Auch der Präsident des Bundesverbands des Groß- und Außenhandels (BGA), Anton Börner, sagte dem Tagesspiegel, die SPD zünde „die letzten rhetorischen Bomben“ vor der Wahl. Der Unternehmer Wolfgang Grupp, Inhaber des Textilherstellers Trigema, sagte dagegen, die Kritik der SPD sei „im Kern richtig“, denn Unternehmer hätten die Pflicht, in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen. „Es muss einem SPD-Chef gestattet sein, vor einer wichtigen Wahl seine Klientel hinter dem Ofen hervorzulocken“, sagte ein Porsche-Sprecher.

CDU-Chefin Angela Merkel sagte: „Herr Müntefering wird die Geister, die er rief, offenbar nicht mehr los, wenn jetzt schon aus der eigenen Partei Boykottaufrufe gegen deutsche Firmen laut werden.“ Unions-Fraktionsvize Ronald Pofalla fügte hinzu, die Sozialdemokratie in Deutschland enthalte offenbar „sozialistische Elemente“. Was der Kanzler mit der „Agenda 2010“ begonnen habe, werde von Müntefering nun widerlegt. Doch scheint man in der Union die Besorgnis zu hegen, das Vorgehen der SPD könnte auch in den eigenen Reihen Anklang finden. Deutlich wurde dies in dem ungewöhnlich scharfen Tonfall von Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen. Müntefering betreibe ein „übles Geschäft mit der Angst der Menschen“. Er verschweige dabei, dass seine eigene Regierung für diese Abstiegsängste mitverantwortlich sei. Diese Ängste auszunutzen sei das „moralisch niederste, was ein Politiker tun kann“, sagte Röttgen.

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