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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte das Vorgehen des Bündnisses.

© imago/Metodi Popow

Regierungserklärung zum Nato-Gipfel: Die Verteidigung der transatlantischen Allianz

Selten war eine Debatte über eine Regierungserklärung so aufgeladen wie vor dem Nato-Gipfel. Die Kanzlerin sendet klare Signale.

Von Robert Birnbaum

Der Artikel 5 hat im Nato-Vertrag jahrzehntelang still vor sich hin geschlummert. Natürlich hat jeder gewusst, dass er da steht, schließlich ist die gegenseitige Beistandsverpflichtung im Falle eines Angriffs auf ein Mitgliedsland der harte Kern der transatlantischen Allianz. Aber so oft, wie Angela Merkel ihn am Donnerstag im Bundestag erwähnt, ist der „Fünfer“ dort vermutlich seit der Nachrüstungsdebatte der 80er nicht zitiert worden. Der Artikel 5, sagt die Kanzlerin und liest ihn sogar vor, bleibe der „zentrale Pfeiler unserer Sicherheitsarchitektur“. Die Union applaudiert, die Grünen nicht, die SPD zögerlich, die Linke ruft dazwischen. Wenn eine derart banale Feststellung im Plenarsaal derart unterschiedlich aufgenommen wird, dann hängt etwas schief im Hohen Haus.

Normalerweise sind Debatten über die obligatorische Regierungserklärung vor einem Gipfel der Nato reine Routineveranstaltungen. Aber das Treffen der Staats- und Regierungschefs am Freitag und Samstag in Warschau ist hierzulande innenpolitisch aufgeladen wie lange keins mehr. Und der Riss klafft keineswegs nur zwischen Regierung und Opposition.

Dabei sind sich im Grundsatz von der CSU auf den Plätzen ganz rechts über die Grünen bis zur SPD-Linken sogar alle einig (die Linke links außen ausgenommen, dazu später): Russlands Präsident Wladimir Putin ist ursächlich verantwortlich für die neuen Spannungen in Europa. Russland, sagt Merkel, habe „in Worten und Taten“ die Prinzipien infrage gestellt, auf denen die Ordnung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs basierte: Unverletzlichkeit der Grenzen, Garantie der Souveränität, Gewaltfreiheit. „Dann geht natürlich Vertrauen verloren.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann stimmt bei: „Mit der Annexion der Krim hat Russland Grenzen gewaltsam verschoben und die Friedensordnung infrage gestellt.“

Merkel lässt Vorwürfe der Linken nicht gelten

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter zeigt sogar Verständnis dafür, dass die baltischen und osteuropäischen Nato-Nachbarn Russlands jetzt „größere Sicherheitsbedürfnisse und Bedenken“ hätten, bevor er vor einem „Einstieg in eine Aufrüstungsspirale“ warnt. Nur die knallrot kostümierte Sahra Wagenknecht nennt die Sorgen der Balten „Schwachsinn“ und malt das Bild vom armen, an den Rand gequetschten Russland: „Wer hat denn in den letzten Jahren seine Grenzen immer weiter nach vorne geschoben?!“

Merkel lässt derlei Vorwürfe nicht gelten, so wenig wie Beschwerden aus Moskau. Mehrfach erinnert die CDU-Chefin daran, dass zu den Vertragsprinzipien der Nachwendezeit das Recht auf freie Bündniswahl gehört, ausdrücklich begrüßt sie die geplante Aufnahme Montenegros in den Transatlantikpakt. Natürlich, auch das betont die Kanzlerin, könne es dauerhafte Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben. Aber Moskau müsse die „ausgestreckte Hand zum Dialog“ auch ergreifen. Dass der Nato-Russland-Rat erst nach und nicht vor dem Warschauer Gipfel tagt – „schade“. Immerhin tagt er überhaupt, wofür sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier „sehr eingesetzt“ habe.

Bei der SPD wissen sie bei dem Lob nicht so genau, ob sie klatschen sollen. Steinmeier hatte mit einer Warnung vor „Säbelrasseln“ Aufsehen erregt. Bei der Union kam das als Versuch an, sich als Friedensfürst zu präsentieren und indirekt CDU und CSU in die Kriegstreiberecke zu schieben. Die Sozialdemokraten tun das Ihre, den Verdacht zu bestärken.

Diplomatie und Abschreckung sollen zusammengehören

Oppermann warnt, „dass man mit militärischer Stärke allein keinen Frieden sichern kann“ – was ihm aus der Union den einsamen Beifall des Entwicklungsministers Gerd Müller von der CSU einträgt und von Angela Merkel ein Stirnrunzeln, weil sie nicht nur nicht das Gegenteil behauptet, sondern sogar extra betont hat, dass Diplomatie und Abschreckung „untrennbar“ zusammengehörten. Unionsfraktionschef Volker Kauder wird es später „völlig falsch“ nennen, wenn durch „Äußerungen“ die Nato in den Geruch des Aggressiven gebracht werde.

Steinmeier redet nicht in der Debatte. Dafür meldet er sich kurz darauf per Interview zu Wort. Immerhin betont auch er, dass die verstärkte Nato-Militärpräsenz im Osten und die Dialogbereitschaft „zwei Seiten derselben Medaille“ seien. Aber dann folgt die nächste Warnung: „Einen Rückfall in eine neue, alte Konfrontation dürfen wir nicht zulassen.“

Der Satz lässt wieder offen, wem diese Mahnung denn gilt. Einigkeit im Regierungslager sieht jedenfalls anders aus. Nur auf eins noch können sich alle verständigen: dass die Linke Sahra Wagenknecht den EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker als „Antidemokraten“ bezeichnet – diese Wortwahl für einen demokratisch gewählten Vertreter, sagt Oppermann unter starkem Beifall von Schwarz bis Grün, sei die Sprache der AfD.

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