zum Hauptinhalt

Politik: „Regierungsmurks schadet auch uns“ Peter Müller über Querelen in der Union,

frustrierte Wähler und verräterische Botschaften

Herr Müller, die CDU war sehr glücklich über Ihren Wahlsieg am vergangenen Sonntag. Sind Sie genau so glücklich mit Ihrer CDU?

Ich bin mit meiner CDU sehr glücklich – sonst wäre ich die langjährige Bindung, die ich mittlerweile zu ihr unterhalte, nicht eingegangen.

Hat das unionsinterne Sommertheater die Saar-Wahl gar nicht beeinflusst?

In den Umfragen verzeichnen im Moment nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Christdemokraten rückläufige Akzeptanzwerte. Dazu hat das uneinheitliche Erscheinungsbild der Union zu Beginn der Sommerpause sicherlich beigetragen. Das hat uns nicht geholfen, sondern eher geschadet.

Und es geht munter weiter so. Nehmen wir den Zahnersatz. Erst beschließen Opposition und Regierung auf Druck der CDUChefin eine Zahn-Zusatzpauschale, dann erweist sich das als nicht so gut ...

Der Ablauf war anders. Nach dem Kompromiss hat es die Ministerin nicht für notwendig befunden, die Umsetzung vorzubereiten. Jetzt sind wir in einer Situation, in der es nicht mehr möglich ist, die Vereinbarung zeitgerecht einzuhalten.

Und trotz Zeitnot vertagen wir die Lösung auf den Vermittlungsausschuss?

Es wäre Sache der Bundesregierung gewesen, die Dinge umzusetzen. Sie hat es nicht getan. Auch der neue Vorschlag von Frau Schmidt ist abwegig, denn er erhöht die Lohnnebenkosten. Dafür sehe ich keine Mehrheit im Bundesrat. Daher wird kein Weg an einem weiteren Vermittlungsverfahren vorbeiführen.

Können Sie sich vorstellen, dass so etwas bei den Menschen im Lande den Politikverdruss kräftig steigert?

Ich hab’ Verständnis dafür, dass die Menschen verunsichert und verdrossen sind. Ich sage allerdings auch: Man muss schon die Verantwortlichkeiten klar beschreiben. Die Verantwortung liegt hier eindeutig bei der Bundesregierung und ihren handwerklichen Schwächen.

Glauben Sie wirklich, dass die Leute die Schuldfrage interessiert? Inzwischen sind doch Regierung und Opposition gleichermaßen in Verruf – mit der Folge, dass hier an der Saar nicht nur die SPD, sondern auch die CDU Wähler verloren hat.

Es gab bei der Landtagswahl eine Wahlbeteiligung, die unbefriedigend war. Natürlich muss man nach den Ursachen fragen. Eine Ursache mag sein, dass die Demoskopen vorher ständig verkündet haben, die Wahl sei eigentlich entschieden. So etwas bestimmt Verhalten. Wir sollten in Deutschland einmal über Regeln nachdenken, wie wir vermeiden, dass Meinungsforscher Meinung bilden.

Aber das ist nicht der Hauptgrund für Wahlenthaltung und Radikalen-Erfolge!

Zweite Ursache ist die Verunsicherung der Menschen über die Reformpolitik in Berlin. Auch da sage ich: Dies dokumentiert zuerst und nahezu ausschließlich das Politik-Versagen der Bundesregierung. Die Agenda 2010 ist in sich widersprüchlich, die Umsetzung ist handwerklich katastrophal, die Menschen werden über Reformen nicht informiert und es wird keine Perspektive aufgezeigt, wofür das alles notwendig ist. Man darf sich dann nicht wundern, wenn Spielräume frei werden für Populisten. Dieser Prozess geht mittlerweile auch nicht mehr völlig an der Union vorbei.

Wie will denn die Union diese abhanden gekommenen Wähler zurückholen?

Ich glaube, dass wir diese Wähler nur zurückholen können mit einer sehr offensiven Darstellung unserer Position. Wir müssen vermitteln, dass unser Konzept mehr Beschäftigung in Deutschland schafft, mehr Wachstum und so die Mittel, um soziale Sicherheit zu finanzieren.

Die frohe Botschaft kommt aber offenbar nicht an. Die Union gilt eher als Hardcore-Ausgabe von Gerhard Schröder.

Der verräterischste Satz der letzten Wochen ist der Satz von Franz Müntefering, mit der Union würde es „noch schlimmer“. Damit sagt er im Grunde: Was die Sozialdemokraten machen, ist schlimm. Ich kann doch von Leuten nicht erwarten, dass sie eine Politik unterstützen, von der ich selbst sage, die ist aber schlimm! Wir als CDU sagen: Wir wollen eine Politik, die Deutschland wieder zum Wachstumsland macht. Wir wollen uns dabei an dem Satz orientieren: Sozial ist, was Arbeit schafft.

Geht’s etwas konkreter?

Klar. Wir wollen beispielsweise beim Kündigungsschutz für Neueinstellungen die Schwelle, ab der die gesetzliche Regelung gilt, von Betrieben mit zehn auf solche mit zwanzig Beschäftigte anheben. Das ist nichts Schlimmes, sondern es ist etwas Gutes, weil es kleinen Unternehmen die Einstellung neuer Mitarbeiter erleichtert. So werden Arbeitslosen wieder Wege zur Arbeit geöffnet.

Das soll Hartz-IV auch. Viele Leute haben es nur nicht so verstanden.

Die Regierung hat ja auch nicht dafür gesorgt, dass sie es verstehen. Es ist abstrus, wie wenig die wirklichen Inhalte dieses Projekts kommuniziert worden sind. Zugleich leidet Hartz-IV darunter, dass die ursprüngliche Idee ,Fördern und Fordern’ von der Bundesregierung sehr stark auf das Fordern verengt wurde. Jeder versteht es, wenn man sagt: Wir versprechen jedem Arbeitslosen binnen eines Jahres ein Job-Angebot – wer das ablehnt, muss mit Sanktionen rechnen. Nun ist dieser Anspruch aber stark verkürzt worden, das Versprechen gilt nur noch für unter 25-Jährige. Neue Arbeitsplätze in erheblichem Umfang werden durch Hartz IV nicht geschaffen.

Sie selbst haben im Wahlkampf aber auch nicht die Vorteile von Hartz-IV betont, sondern Nachbesserungen verlangt.

Ich will einen entscheidenden Punkt nennen: Ich finde, dass sich die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds nach der Dauer der Beitragszahlung richten sollte. Wenn ich, wie ursprünglich geplant, jedem Arbeitslosen innerhalb eines Jahres ein Jobangebot mache, ist es konsequent, dass der Anspruch auf das Arbeitslosengeld nach einem Jahr erlischt. Wenn ich aber Arbeitslosen dieses Angebot gar nicht mache, wird die Ein-Jahres-Grenze bei der Leistung unplausibel. Insofern hat sich die Geschäftsgrundlage verändert. Deshalb ist Nachbesserung geboten.

Gut und schön, nur: Auch berechtigte Nachforderungen führen inzwischen vor allem dazu, dass das Vertrauen in die Politik insgesamt schwindet.

Soll ich nicht mehr sagen, was ich für richtig halte? Ich bin für den Murks der Regierung nicht verantwortlich.

Also reden wir über Murks der Union ...

Den gibt es nicht! Wenn die Union regiert, laufen die Dinge ordentlich.

Das sehen die Bürger allerdings anders. In allen Umfragen sagen sie, dass sie die Union nicht kompetenter finden als die Regierung.

Wenn die Politik der Regierung nicht als zukunftsgerichtet wahrgenommen wird, dann geht das mit uns allen nach Hause. Der Murks der Regierung schadet auch dem Ansehen der Opposition.

Dann müsste die Opposition interessiert daran sein, der Regierung zu helfen.

Sie hat ein Interesse, die Regierung zu übernehmen und es besser zu machen.

Wie geht die Union mit dem Vorwurf um, sie sei die Partei der sozialen Kälte?

Der Vorwurf ist nicht berechtigt. Wir müssen aber noch einmal sehr deutlich in die Köpfe der Leute bringen, dass Leistungsgerechtigkeit die Voraussetzung für Verteilungsgerechtigkeit ist. Wir können nur verteilen, was vorher erwirtschaftet worden ist.

„Leistungsgerechtigkeit“ – das klingt für viele Menschen doch sehr abstrakt.

Ja, das stimmt. Trotzdem ist es richtig. Natürlich brauchen wir dazu Strukturen, die Leistungsgerechtigkeit ermöglichen. Ich hielte es für sinnvoll, dass wir die Zuverdienstmöglichkeiten für die Empfänger von Arbeitslosengeld erweitern. Die Menschen vollziehen den Satz nach: Wer arbeitet, soll mehr in der Tasche haben als der, der nicht arbeitet. Diesen Satz müssen wir umsetzen.

Und was wird aus der Leistungsgerechtigkeit bei den Besserverdienenden?

Wir müssen bei allen Einschnitten immer zugleich soziale Symmetrie dokumentieren. Als wir im Saarland über Kürzungen beim Weihnachtsgeld für Beamte nachdenken mussten, haben wir als Erstes das Weihnachtsgeld des Ministerpräsidenten gestrichen. Außerdem haben wir die Kürzungen zweifach sozial ausgestaltet, kleine Einkommen und Familien weniger belastet. Auch von einem Unternehmensführer erwarte ich, dass er Opfer bringt, bevor er von anderen Opfer verlangt. Außerdem müssen die Menschen, die in der Krise zurückstecken, am Unternehmenserfolg beteiligt werden. Erlösbeteiligung, Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand sind hoch aktuell.

Wird das Ihr künftiges Arbeitsfeld in der Bundes-CDU?

Ich habe im Rahmen des Projekts Wachstum der CDU den Bereich Deregulierung und Entbürokratisierung übernommen.

Hm, Entbürokratisierung – wissen Sie, wer dafür in der Regierung zuständig ist?

Wolfgang Clement …

... und Innenminister Otto Schily. Würde es Sie nicht reizen, von ihm diese Zuständigkeit zu übernehmen?

Nein. Ich hab’ nicht vor, in die SPD einzutreten.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Volker Hildisch. Das Foto machte Uwe Bellhäuser.

VOM RICHTER ZUM POLITIKER

Peter Müller, Jahrgang 1955, studierte Jura und Politik in Bonn und Saarbrücken. Seit 1986 arbeitete er als Richter im Saarland, nebenher war er Vorsitzender der Jungen Union in seinem Land. 1994 wurde er Chef der CDU-Landtagsfraktion.

REGIERUNGSCHEF IM SAARLAND

Seit 1999 amtiert der Vater von drei Kindern als Ministerpräsident, vor einer Woche gewann seine CDU abermals die Landtagswahl.

BUNDESPOLITISCH MUNTER DABEI

In der CDU-Spitze mischt Müller seit Jahren munter mit, mal ganz loyal, mal widerspenstig. Einen Namen hat er sich vor allem in der Zuwanderungspolitik gemacht.Tsp

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false