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Regierungsumbildung in London: Camerons Kabinett wird jünger, weiblicher - und europaskeptischer

Der britische Premier stellt sein Kabinett grundlegend um. Was verbirgt sich hinter diesem Schritt?

Zehn Monate vor der Parlamentswahl in Großbritannien verschärft der britische Premierminister David Cameron mit der größten Kabinettsumbildung seiner Amtszeit den Konfrontationskurs zur Europäischen Union. Seine neue Riege ist europaskeptischer, zugleich aber auch jünger und weiblicher geworden.

Was beabsichtigt Cameron mit der Regierungsumbildung?

Nach vier Jahren mit für britische Verhältnisse enormer Stabilität im Kabinett will Premier David Cameron seine Regierung – und vor allem die Tory-Seite – frisch und fit für den kommenden Wahlkampf machen. Das heißt vor allem eines: Die Regierung soll ein attraktiveres Erscheinungsbild für Wähler abgeben, die von den Tories noch nicht so überzeugt sind: die Arbeiterschichten im Norden Englands, die Frauen – und die Wähler der EU-skeptischen Ukip. Die Kabinettsumbildung – ein altes Downing-Street-Ritual – begann mit einer „Nacht der langen Messer“. Über ein Dutzend mittelalterlicher Männer wurden gefeuert oder räumten freiwillig ihren Platz. Was diese Gegangenen gemeinsam hatten: Sie galten als „male, stale and pale“ – männlich, abgestanden und blass. Wobei einige Frauen am Dienstag warnten: Wen sonst könne Cameron feuern, es gab ja nur graue Anzugsmänner in seinem Kabinett. Weniger elitär, mit weniger Mitgliedern der Millionärsclubs von St. James, volksnäher soll die Regierung werden. Kontroverse Kabinettsmitglieder wie der bei Lehrern verhasste radikale Schulreformer Michael Gove wurden überraschend aus der Schusslinie genommen – er wurde durch eine Frau, die versöhnlichere Nicky Morgan ersetzt, die Goves Reformen – und die Wählerstimmen der britischen Lehrer - konsolidieren soll. Sie war nicht die einzige junge, aufstrebende Frau, die am Dienstag zur Downing Street Number 10 stöckelte und vom Premier einen neuen Job zugewiesen bekamen.

Wurde auch Außenminister William Hague gefeuert?

Nein. Seinen Außenminister hätte Cameron wohl noch gerne behalten. Hague ist aus freien Stücken zurückgetreten, er ist des Amtes und der Politik überhaupt einfach müde. Er wird bei der nächsten Wahl seinen Wahlkreis aufgeben und sich, wie er per Twitter mitteilte, „auf viele andere Dinge konzentrieren, die ich immer schon tun wollte“. Als Hague 2001 nach der Wahlniederlage als Tory-Parteichef zurücktrat, lernte er das Klavierspielen, schrieb eine hochgepriesene Biographie über Großbritanniens ersten Premierminister William Pitt und empfand den Abgang aus dem Scheinwerferlicht als wohltuende Befreiung. „William Hague war eine Generation lang ein Leuchtfeuer für die konservative Partei. Er war nicht nur ein erstklassiger Außenminister, er war auch ein enger Vertrauter, ein kluger Ratgeber und ein großer Freund“, erklärte Cameron. Bis zur Wahl wird Hague an seiner Seite bleiben. Als „Leader of the House“, also Organisator der Regierungsgeschäfte im Unterhaus, bleibt ihm genug Zeit für Wahlkampfaufgaben – wozu er mit seinem nordenglischen Yorkshire-Akzent bestens geeignet ist. Hague soll auch den Job eines EU-Kommissars abgelehnt haben, den ihm Cameron anboten hatte. Stattdessen ernannte Cameron den völlig unbekannten Jonathan Hill, nun Lord Hill, Fraktionschef der Tories im Oberhaus. Er hatte als Berater John Majors bei den Maastricht-Verhandlungen vor 20 Jahren Erfahrung gesammelt und kennt sich mit den Problemen der Torys und der EU aus. Hill sprach sich unverzüglich für Reformen der EU aus. „In fünf Jahren, bei der nächsten Europawahl, will ich den Menschen in ganz Europa, auch in Großbritannien, sagen können, dass die Europäische Kommission ihre Ängste berücksichtigt und die EU zum Besseren verändert hat.“ Aber Ukip-Chef Nigel Farage twitterte, in Erinnerung an seine berühmte Spottrede auf EU-Ratspräsident Herman van Rompuy: „Wer ist Lord Hill?“

Wofür der neue Außenminister steht

Wofür steht der neue Außenminister Philip Hammond?

Hammond ist Millionär, ein Erzkonservativer und einer der grauesten Männer im Kabinett – so gesehen ein schlechter Ersatz für den schlagfertigen und witzigen Hague. Aber Hammond ist auch einer der erfahrensten Manager der Tory-Regierung und hat sich mehrfach als Feuerwehrmann bewährt: 2013, nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Liam Fox, wurde er eilends vom Verkehrsministerium ins Verteidigungsministerium umdirigiert. Er hatte sich bis dahin so wenig mit der Weltpolitik beschäftigt, dass er in einem Fernsehinterview den syrischen Präsidenten Baschar al Assad mit dem gestürzten Iraker Saddam Hussein verwechselte. Aber es gibt keinen Grund zu zweifeln, dass Hammond seinen neuen Aufgabenbereich schnell meistern wird. Außenpolitisch ist er ein unbeschriebenes Blatt, gilt aber als überzeugter Euroskeptiker. Anders als Hague, der die EU reformieren, aber nicht verlassen wollte, erklärte Hammond als einer der wenigen Kabinettsminister bereits unmissverständlich, dass er für einen Austritt Großbritanniens stimmen würde, wenn London keinen substanziellen Rückfluss von Kompetenzen aushandeln kann. Cameron setzt offenbar darauf, dass er nach einer Wiederwahl einen Außenamts-Chef braucht, der einen eventuellen Deal mit Brüssel zu Hause mit guten euroskeptischen Referenzen auch verkaufen kann. Aber Hammond ist in Wahrheit ein hervorragender Manager, ein Pragmatiker, was die Briten ein „safe pair of hand“ nennen, oder, wenn sie es weniger als Kompliment meinen, einen „Maschinenpolitiker“. Hammond wird eher zu viel als zu wenig Pragmatik zeigen. Und vielleicht hält er nur den Sitz warm für George Osborne, den jetzigen Schatzkanzler, von dem man weiß, dass er nach einem Tory-Wahlsieg gern ins Außenministerium wechseln und die Verhandlungen mit Brüssel führen würde.

Wird die britische Regierung nun also noch europafeindlicher?

Zuviel sollte man nicht in die Kabinettsumbildung hinein interpretieren. Sicher ist aber, dass Cameron seine Regierung für die nächste Wahl attraktiv machen muss – auch für Wähler der Ukip, die aus der Europawahl im Mai mit 27,5 Prozent als stärkste Kraft hervorgegangen war. Das Kabinett soll ein markanteres Profil bekommen. Ein klarer Hinweis darauf ist, dass der bisherige Justizminister Dominic Grieve seinen Job verlor: Vielleicht, weil er sich einem Austritt Großbritannien aus der europäischen Menschenrechtskonvention widersetzte, die Großbritannien – und das souveräne britische Parlament – den Urteilen des Europäischen Menschenrechtsgerichts unterwirft. Das ist nicht nur den extremen Euroskeptikern auf der Insel ein Dorn im Auge. Möglicherweise bereitet Cameron hier eine neue Europafront vor. Dazu kommt, dass der Premier mit Ken Clarke, dem 74-jährigen Veteran und Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett, den letzten großen Pro-Europäer der Tory-Partei in den Ruhestand entlassen hat. Ein für die Tory-Party symbolischer Schritt – genau wie die Tatsache, dass Cameron die Umbildung an dem Tag durchführte, an dem in Brüssel Jean-Claude Juncker zum EU-Kommissionspräsidenten gewählt wurde.

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