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 König Abdullah, 87 Jahre alt, hört die Meinung seines Volkes nicht gern. Nach sechs Monaten nervöser Ruhe demonstrieren schiitische Bürger wieder.

© REUTERS

Saudi-Arabien: Reich an Öl und Protesten

Die nervöse Ruhe ist vorbei: In Saudi-Arabien helfen die königlichen Geschenke längst nicht mehr. Es kommt wieder zu Demonstrationen. Doch die lässt der saudische Herrscher brutal niederschlagen.

Als Polizisten die beiden alten Männer abführten, war man im Dorf Al Awamiyah außer sich vor Wut. Die Verhafteten sind über 70 Jahre alt. Gesucht werden eigentlich ihre Söhne, die durch Sippenhaft gezwungen werden sollen, sich zu stellen. Beide gelten als Mitorganisatoren schiitischer Demonstrationen im März, die das Königreich Saudi-Arabien damals mit geballter Staatsmacht unterdrückte. Nach Angaben lokaler Aktivisten umringten daraufhin am Montagabend Hunderte aufgebrachter Bürger der 25 000-Einwohner-Ortschaft nahe der Stadt Qatif die Polizeiwache, bewarfen das Gebäude mit Steinen und steckten Einsatzfahrzeuge in Brand. Die herbeigerufene Sonderpolizei schoss sofort mit scharfer Munition, mindestens 24 Menschen, darunter drei Frauen, wurden verletzt.

Dagegen erklärte das saudische Innenministerium in Riad, „eine Gruppe von Unruhestiftern auf Motorrädern“ habe die Beamten mit Molotow-Cocktails angegriffen. Komplizen hätten aus einem nahe gelegenen Haus heraus das Feuer eröffnet und 14 Menschen verletzt, darunter elf Polizisten. Hinter dem Zwischenfall stecke „eine fremde Macht“, die mit dieser „dreisten Aktion“ die innere Sicherheit des Königreiches gefährden wolle – gemeint ist der Iran. Man werde jeden Aufruhr „mit eiserner Faust“ niederschlagen.

Nach sechs Monaten nervöser Ruhe sind damit die Auseinandersetzungen zwischen saudischen Sicherheitskräften und schiitischen Demonstranten im Osten des Landes erneut aufgeflammt. Dort stehen die großen Ölförderanlagen. Bisher hatte Saudi-Arabien nach dem Sturz von Tunesiens Ben Ali, Ägyptens Hosni Mubarak und Libyens Muammar al Gaddafi den Übersprung des Arabischen Frühlings durch eine Mischung aus Sozialgeschenken und Polizeihärte zu verhindern gewusst. Demonstrationen ließ das Königshaus für unislamisch erklären. Die Pressezensur wurde verschärft. Seine Untertanen überschüttete der 87-jährige Monarch Abdullah mit einem 130 Milliarden Dollar Geldsegen für neue Arbeitsplätze, saftige Lohnerhöhungen, Kaufzuschüsse für Wohnungen und billige Kredite.

Lesen Sie auf Seite 2, wie die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien leben muss - und sich wehrt.

Im kleinen Nachbarland Bahrain halfen seine Truppen, den Aufstand der schiitischen Mehrheit gegen das sunnitische Königshaus blutig niederzuschlagen. Und den Golfkooperationsrat der Arabischen Halbinsel formten die Saudis um zu einer Achse der politischen Restauration. Ihren illustren Verbund verstehen die arabischen Emire und Könige nun als gemeinsames Bollwerk gegen wachsende Mitsprache ihrer Völker, Gewaltenteilung, freie Presse und demokratische Wahlen.

In Saudi-Arabien gehören rund zwölf bis 15 Prozent der knapp 20 Millionen Einwohner der schiitischen Minderheit an. Sie fühlen sich als Bürger zweiter Klasse und in ihrem Glauben diskriminiert, sind in hohen Regierungsämtern und Führungspositionen kaum vertreten. In der großen Hafenstadt Dammam gibt es nur eine einzige schiitische Moschee, im benachbarten Al Khobar haben die Gläubigen überhaupt kein schiitisches Gotteshaus. Die Schiiten fordern eine Verfassung und ein frei gewähltes Regionalparlament, mehr Arbeitsplätze und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Sie rufen nach mehr Investitionen für ihre vernachlässigten Städte und Dörfer, denn der saudische Ölreichtum ist extrem ungleich verteilt. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut – und das in einem der reichsten Staaten der Welt.

Der einflussreiche schiitische Prediger, Scheich Nimr an Nimr, eilte inzwischen nach Al Awamiyah und versuchte am Dienstagabend, mit einer Predigt die Wogen zu glätten. Er rief die Gläubigen auf, „Worte statt Gewehrkugeln“ zu benutzen, um für ihre Rechte zu kämpfen. „Die saudische Regierung stützt sich auf Patronen, Mord und Kerker“, erklärte er. „Wir aber müssen vertrauen auf die Kraft des Wortes, auf Worte über Gerechtigkeit.“ Nimr kritisierte, auch einige Demonstranten hätten Gewehre eingesetzt, beschuldigte gleichzeitig die Sicherheitskräfte, sie hätten die Eskalation mit ihren Schüssen in die Menge provoziert. Gewalt „ist nicht in unserem Interesse“, rief der Geistliche. „Wenn wir diesen Weg beschreiten, sind wir die Verlierer.“

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