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Politik: Reisen bildet weiter

In Polen erfährt Bundespräsident Köhler, wie gegenwärtig die Vergangenheit für die Nachbarn noch ist

Den Namen des Angreifers nennen sie nicht. Als die drei Militärpriester vom „Aggressor“ sprechen, vom heldenhaften Kampf der kleinen polnischen Garnison auf der Westerplatte vor den Toren Danzigs, hält Bundespräsident Horst Köhler inne. Gemeinsam mit seinem polnischen Kollegen Aleksander Kwasniewski ist er zum Mahnmal auf dem kleinen Hügel der Halbinsel gekommen, um des Kriegsbeginns vor 66 Jahren zu gedenken.

Der Beschuss der Westerplatte durch den deutschen Panzerkreuzer Schleswig-Holstein um 4 Uhr 45 des 1. September 1939 markierte den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die nur 182 Mann zählende polnische Garnison unter Führung von Major Henryk Sucharski konnte die Stellung gegen die weit überlegene Wehrmacht bis zum 7. September 1939 verteidigen. Ihre Verteidigung wurde in Polen zum Symbol des Widerstandes.

An diesem Donnerstagmorgen liegt eine friedliche Stimmung auf diesem Ort des Grauens. Das polnische Fernsehen überträgt die Gedenkveranstaltung live, und Köhler ist sichtlich angespannt, als er mit Kwasniewski vom Spalier der Delegation zur Treppe des Mahnmals schreitet, um die Schleife des Kranzes aus roten und weißen Rosen zu richten. Plötzlich nimmt Kwasniewski die Hand seines Freundes, und gemeinsam verbeugen sie sich vor dem gewaltigen Mahnmal. Der polnische Präsident nimmt Köhler bei der Hand und dreht sich um zu den Veteranen und Gästen der Gedenkstunde. Beide Präsidenten strahlen.

Es ist der würdige Abschluss eines Besuches, den Köhler schon zu Beginn als „sehr emotionale Angelegenheit“ beschrieben hat. Köhler, der im ostpolnischen Dorf Skierbieszow geboren wurde, hat im Laufe seines dreitägigen Besuches „einen Lernprozess durchgemacht“, sagt einer aus seiner Begleitung. Als Ökonom ein Freund klarer Worte und eines optimistischen Blicks auf die Zukunft, muss er bald lernen, wie sehr die Vergangenheit und die Angst vor einer Umschreibung deutscher Schuld in Polen allgegenwärtig sind.

Vordergründig wird das deutlich beim Streit um das Zentrum gegen Vertreibungen. Köhler wirbt vehement für das Recht der Deutschen auf Gedenken an Flucht und Vertreibungen – und kann sich auch durchaus ein Erinnern in Berlin vorstellen. Dass das jedoch nur im europäischen Rahmen und im Dialog miteinander geht, das betont er nach seinen Gesprächen mit Kwasniewski, dem polnischen Ministerpräsidenten Marek Belka und dem aussichtsreichsten Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst, Donald Tusk, noch ein bisschen deutlicher als zuvor. Denn das rechtskonservative Lager wartet im Moment nur auf eine Gelegenheit, die bewährte deutschfeindliche Karte auszuspielen. Seit einer Woche liegt im Sejm, dem polnischen Parlament, ein Antrag der nationalistischen „Liga polnischer Familien“ des Warschauer Bürgermeisters Lech Kazcynski, sich erneut mit Reparationsforderungen an Deutschland zu befassen.

Ein weiteres, für die polnische Politik weit wichtigeres Thema begegnet Köhler ebenfalls auf Schritt und Tritt: Die deutsch-russischen Pipelinepläne durch die Ostsee, die die alte polnische Angst vor einer Umkreisung durch die mächtigen Nachbarn schüren. „Wir wären zumindest gerne gefragt worden, was wir davon halten“, sagt Kwasniewski, und auch Köhler kritisiert, dass Polen angesichts der politischen Tragweite des Projekts nicht einbezogen wurde.

Auf der von einem BASF-Tochterunternehmen und dem russischen Energieriesen Gasprom geplanten Gaspipeline sollen von der russischen Hafenstadt Wiborg nach Greifswald ab 2010 jährlich 27 Milliarden Kubikmeter Gas befördert werden. Russlands Präsident Wladimir Putin will den Vorvertrag für die Pipeline bei seinem Blitzbesuch in Deutschland am 8. September mit Bundeskanzler Gerhard Schröder unterzeichnen – ohne polnische Beteiligung. Dafür aber mitten im Wahlkampf.

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