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Politik: Reisen ins Risiko

Von Clemens Wergin

In diesen Tagen, in denen Jürgen Chrobog die eigentümliche „Gastfreundschaft“ des Al-Abdallah-Stammes erfährt, wird er sich schon einige Male über jene Worte geärgert haben, die er über Susanne Osthoff äußerte. Chrobog hatte sich über die „Sozialversicherungsmentalität“ deutscher Abenteurer erregt. „Wer sich in Gefahr begibt, muss das Risiko kennen“ sagte er. „Man erwartet ja immer eine Rundumversicherung des Staates.“ Worte, die ihn nun einholen.

Wer jetzt allerdings mit großer Häme reagiert, der sei auf die Unterschiede beider Fälle hingewiesen. Jemen ist beileibe nicht der Irak. Und selbst wenn es in der ganzen muslimischen Welt eine abstrakt höhere Gefahr von Anschlägen gibt, so sagt das wenig über die Verhältnisse in jedem einzelnen Land aus. Zumal die Entführer von Jürgen Chrobog und seiner Familie keine islamistischen Terroristen sind.

Es sollten auch all jene gewarnt sein, die – wie etwa Chrobog selbst – glaubten, aus dem Fall Osthoff Allgemeingültiges ableiten zu können. Was ist nicht alles geschrieben worden über den Selbstausschluss der Osthoff aus der deutschen Nation. Das erschütternde Interview, das sie dem ZDF gegeben hat, zeigt jedoch, dass diese verwirrte Frau weniger einen Grundkurs in Patriotismus benötigt als psychologische Betreuung. So viel zur Generalisierbarkeit von Einzelschicksalen.

Dennoch muss sich Chrobog fragen lassen, ob er es vermocht hat, was er von anderen forderte: das Risiko zu kennen. Nach allem, was bisher bekannt wurde, kann man diese Frage mit Ja beantworten. Chrobog wusste, dass Jemen ein problematisches Urlaubsziel ist. Er hat versucht, dieses Risiko zu begrenzen, indem er sich einem erfahrenen Reiseveranstalter inklusive Sicherheitskräften anvertraute. Dass die Familie dennoch entführt wurde, geht offenbar auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurück.

Chrobog hatte zu Recht eine verantwortungslose „Sozialversicherungsmentalität“ mancher Abenteuerurlauber kritisiert. Genauso falsch wäre es jetzt aber, in ein Sicherheitssyndrom zu verfallen und zu fordern, dass Urlauber nur noch in Länder mit Sicherheitszertifikat fahren dürfen. Reisen ist, wie das Leben im Allgemeinen, gefährlich. Und selbst ein Urlaub im Bayerischen Wald birgt die Gefahr, auf der Autobahn in einen Unfall verwickelt zu werden. Es wird sich also jeder selbst fragen müssen, ob die Faszination, die von einem weit entfernten Sehnsuchtsort ausgeht, die erwartbaren Risiken rechtfertigt.

Einen großen Zauber übt der Orient schon seit Jahrhunderten gerade auf Deutsche aus. Von Goethes „West-östlichen Diwan“ bis zu Michael Roes’ „Leerem Viertel“ haben Reisende, Künstler und Gelehrte im Orient oft das andere, das Unverfälschte gesucht. Und obwohl Deutschland keine Kolonien in der arabisch-muslimischen Welt hatte, waren es deutsche Orientalisten, die Ende des 19. Jahrhunderts maßgebliche Grundlagen zur Erforschung der muslimischen Zivilisation gelegt haben. Bis heute gelten gerade die entlegenen Provinzen in Jemen als wertvolles Anschauungsmaterial für Forscher, weil hier noch Stammesstrukturen existieren, die sich wahrscheinlich seit der Zeit des Propheten Mohammed kaum verändert haben – selbst wenn Kamel und Krummdolch inzwischen durch Geländewagen und Kalaschnikow ersetzt wurden.

Eine Reise nach Jemen ist also eine Zeitreise. Vergleichbar mit den ebenfalls nicht ungefährlichen „Grand Tours“, die im 18. und 19. Jahrhundert nach Italien, Griechenland oder ins Heilige Land führten. Chrobogs Familie ist in Jemen denn auch in einen Konflikt zwischen Stammes-Tradition und Autokraten-Moderne geraten. Die Al Abdallah wollen Clanmitglieder freipressen, die in eine Blutfehde verstrickt waren und verurteilt wurden. Ob sie einen fairen Prozess erhielten, ist im korrupten Regime von Präsident Saleh alles andere als sicher. Das entschuldigt das Vorgehen des Stammes keineswegs. Da die Familie Chrobog aber wohl nur als Mittel zum Zweck gekidnappt wurde, besteht die berechtigte Hoffnung, dass sie bald wieder in die europäische Moderne entlassen wird.

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