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Der Alte und der Neue: Sigmar Gabriel gratuliert Martin Schulz.

© Kay Nietfeld/dpa

Rekordergebnis bei Sonderparteitag: Schulz übernimmt die SPD - und drei Wünsche Gabriels

Martin Schulz ist mit einem Rekord von 100 Prozent zum SPD-Chef und Kanzlerkandidaten gewählt worden. Er fordert in seiner Rede gebührenfreie Bildung sowie Respekt und Würde.

Martin Schulz ist neuer SPD-Chef und Kanzlerkandidat seiner Partei. Auf einem Sonderparteitag in Berlin erhielt Schulz 100 Prozent der Stimmen. 605 von 605 - bei drei ungültigen. "Dieses Ergebnis ist eine Verpflichtung und der Aufbruch zur Eroberung des Kanzleramtes", sagt Schulz. Der 61-Jährige löst damit Sigmar Gabriel ab, der siebeneinhalb Jahre SPD-Chef war und im Januar auf die Kanzlerkandidatur verzichtet sowie seinen Rücktritt als Parteichef angekündigt hatte.

Für Gabriel ist es ein bewegender Tag. Immer wieder muss er sein Taschentuch zücken. Er kann nicht anders. Es sind aber keine Tränen, die er während seiner Rede wegwischen muss, sondern nur der Schnupfen plagt ihn. Vielleicht frisch von der Tochter eingefangen.

"Politisch bin ich nicht verschnupft", versichert der scheidende SPD-Vorsitzende. Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, dass er sentimental sei oder gar im Groll gehe, schließlich solle ja das Signal des Aufbruchs von diesem Parteitag ausgehen. Und deshalb müsse er all jene enttäuschen, die ein "sentimentale Rede" von ihm zum Abschied erwarteten. Trotzdem ist Gabriel anzumerken, dass er mit den Tränen kämpfen muss - vor allem an den Momenten, wo er nicht redet. Wenn andere ihn loben.

Seine Rede selbst ist dann so wenig sentimental, dass sie schon wieder zum Problem für Martin Schulz wird. Gabriel ist kämpferisch, klar, pragmatisch, konkret und viel länger als geplant. „Es dürfte der fröhlichste und optimistische Übergang zu einem neuen Parteivorsitz sein, den unsere Partei so in den letzten Jahrzehnten erlebt hat“, sagt der 57-Jährige.

Gabriel hat drei Wünsche zum Abschied

Gabriel verabschiedet sich mit drei Wünschen an die Partei: "Lasst uns nicht vergessen, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit zwei Seiten derselben Medaille sind", sagt er. Außerdem solle die SPD um den Zusammenhalt und die Zukunft Europas kämpfen, denn der Frieden auf dem Kontinent sei auf keinen Fall sicher.

Deutschland sei nicht nur der große Netto-Zahler in Europa, sondern Deutschland sei der Gewinner. Man werde nicht Europameister im Export, wenn man nur Netto-Zahler sei. Nur wenn es dem Rest Europas gut gehe, gehe es uns auch gut. Und Gabriel wendet sich klar gegen die Forderung, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Nato und die Verteidigung auszugeben. "Wir sind mittendrin in einer Aufrüstungsdebatte und das nicht nur konventionell, sondern auch nuklear", warnt der scheidende Vorsitzende. Man bekomme keine Sicherheit umsonst, das sei klar. Aber die Frage müsse sein, wie man mehr Sicherheit mit weniger Waffen schaffe.

"Schulz bringt nicht nur Verstand mit, sondern auch sein Herz"

Gabriel lobt Schulz, der nicht nur seinen Verstand, sondern vor allem auch sein Herz in die Politik mitbringe. Denn es gehöre auch Begeisterung für die hart arbeitenden Menschen dazu, Mitgefühl und auch Zorn. "Der Zorn über Ungerechtigkeit gehört auch zur Sozialdemokratie", sagt Gabriel.

Schulz selbst gibt sich in seiner Rede kämpferisch und emotional. Würde und Respekt stünden bei seiner Politik im Mittelpunkt. Konkret wird Schulz bei der Bildung und bei Familien. Er fordert eine gebührenfreie Bildung von der Kita bis zum Studium. Und auch die Erlangung eines Meistertitels müsse kostenfrei sein. Außerdem kündigt er an, dass Familienministerin Manuela Schwesig in den kommenden Wochen ein Konzept für ein Familienarbeitszeit vorstellen werde. Schulz verteidigt seine angekündigten Korrekturen bei der Agenda 2010. Es gehe ihm dabei nicht um „Vergangenheitsbewältigung“, sondern um Weiterqualifizierung als Antwort auf den dramatischen Fachkräftemangel, sagt der 61-Jährige.

Schulz fordert gebührenfreie Bildung

Außer der gebührenfreien Kita gibt es in der gut 75-minütigen Rede wenig Konkretes. Schulz versucht vielmehr das Gefühl und die Begeisterung für den Aufbruch anzusprechen. Besonders frenetisch werden seine Passagen gegen den Rechtspopulismus in Europa beklatscht. "Wer von Lügenpresse spricht, legt die Axt an die Demokratie an, egal, ob er US-Präsident ist oder bei einer Pegida-Demo mitläuft", sagt er beispielsweise.

Dem Vorwurf, selbst wenig konkret zu sein, baut Schulz vor, indem er auf einen SPD-Programmparteitag im Sommer hinweist. Dass er in seiner seine Rede vor allem gefühlig ist, tut seiner Popularität keinen Abbruch, wie das Ergebnis seiner Wahl zeigt: 100 Prozent - das hat vor ihm noch kein SPD-Vorsitzender geschafft.

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