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Techno-Gottesdienst mit Abendmahl und politischer Botschaft mit Pfarrer Roland Kuehne aus Kempten im Columbia Theater in Berlin.

© epd

Religion in Berlin: Berlin liegt über Kreuz mit dem Kreuz

Das christliche Symbol erzeugt merkwürdige Abwehrreflexe in einer Stadt, die sich der Weltoffenheit und Toleranz rühmt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Das Kreuz bewegt das gottlose Berlin, nicht nur auf dem Kirchentag. Es war eine machtvolle Demonstration des Glaubens in einer Gesellschaft, die sich angesichts rasender Veränderung und schwindender Gewissheiten damit schwer tut. Die ganze Stadt als Bühne für den Glauben ist gerade groß genug, weil aktuell bis ins Kleinste die Erschütterung spürbar wird, die das christliche Symbol auszulösen in der Lage ist.

In Berlin löst das Kreuz Erschütterungen aus

Manchmal ist das Kreuz des Anstoßes nur 2,8 Zentimeter groß. Viele Jahre unbeanstandet von einer Lehrerin am Hals getragen, bis es nun zur angeblichen Provokation wurde und die Schulverwaltung umtreibt. Dazu passt der politische Streit, ob das künftige Humboldt-Forum – vulgo: Schloss – mit einem vergoldeten Kreuz gekrönt werden darf. Die in der Senatskoalition mitregierende Linkspartei ist entschieden dagegen, der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagt inhaltlich das gleiche, nur in vorsichtiger gesetzten Worten.

Man kann sich schon wundern. Beim Streit um das kleine Kreuz der Lehrerin etwa darüber, dass plötzlich aus der Landesregierung auf strikteste Einhaltung des Neutralitätsgesetzes gepocht wird. Dabei drängen der linke und grüne Koalitionspartner ansonsten regelmäßig auf die Änderung dieses Berliner Gesetzes – weil es sich reibt mit der erfolgreichen Klage einer Muslima gegen das Kopftuchverbot in der Schule.

Man muss den Eindruck gewinnen, dass christliche Symbole in besonderer Weise die Abwehrreflexe einer extrem säkularisierten Gesellschaft aktivieren. Mit viel intoleranter Häme muss etwa rechnen, wer sich hier im Netz zum christlichen Glauben bekennt. Mit gleicher Heftigkeit wird Toleranz dagegen dann angemahnt, wenn es um die angeblich unzeitgemäße Einschränkung des Kopftuches geht – wofür dann immer eine selbstbewusst das Tuch tragende progressive Muslima herhalten muss, um die es in der Realität wohl eher selten gehen wird.

Über die verdruckste Ängstlichkeit im Umgang mit dem Kreuz kann man sich nur wundern

Das historische Kreuz auf der Kuppel des Humboldtforums als Absage an ein offenes Zentrum der Weltkulturen auszulegen, folgt dieser verqueren Logik. Der üble Bund von autoritärer Herrschaft und Kirche wird doch nicht erneuert, weil ein Kreuz auf der Kopie jenes Symbols des verhassten Preußentums prangt. Auf der Strecke bleibt der selbstbewusste Umgang mit der eigenen Historie, wie es dem demokratischen Deutschland angemessen wäre; zumal hier, wo man stolz ist auf das Toleranzedikt.

Die ausländischen Besucher, die dereinst im Humboldtforum die ethnologischen Schätze bestaunen, werden sich eher wundern über solch verdruckste Ängstlichkeit und Ablehnung, wo es um gelassene und gelebte Toleranz gehen sollte. Im Streit offenbart sich deshalb ganz nebenbei, wie gewichtig das Kreuz selbst im unchristlichen Berlin noch ist, weil es offenkundig als Symbol ernst genommen wird – auch von Berlinern, die sich selbst einen Teufel darum scheren. Das Kreuz lässt eben niemand kalt. Zum Abschluss des Kirchentages könnten die Gläubigen das fast als eine Mut machende Botschaft empfinden.

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