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Vor dem Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg wird über die Anerkennung einer Scharia-Scheidung verhandelt.

© dpa

Religion und Recht: Warum eine Scharia-Scheidung in Europa gelten sollte

Bisher wurden Scheidungen nach Scharia-Recht in Europa akzeptiert, wenn der Einzelfall das hergab. Dass sich das jetzt ändern soll, wäre falsch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Dass Frau und Mann dieselben Rechte haben sollten, hat sich, wie bekannt ist, leider noch nicht überall herumgesprochen. Jetzt sendet der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine starke Botschaft. Scheidungen nach islamischem Recht sollen in EU-Ländern nicht mehr länger anerkannt werden. Die Scharia diskriminiere Frauen, schreibt der EuGH-Generalanwalt in seinem Votum für ein aus Deutschland stammendes Verfahren.

In den meisten Fällen folgen die Richter dem Urteilsvorschlag ihres Kollegen. Hier sollten sie es nicht tun. Das Votum ist ein Beispiel dafür, wie ein Gutmeinender das Gegenteil von dem schafft, was er im Sinn hat. Es wäre zu begrüßen, wenn sich der Rest der Welt das Eherecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Vorbild nähme. Aber die Realität sieht anders aus.

Zum Beispiel so: Ein muslimisches Paar heiratet nach syrischem Recht, das schariagemäß eine „Privatscheidung“ des Mannes erlaubt. Er muss nur dreimal deutlich sagen, dass er sich von der Gattin trennen will. Sie müsste dagegen einen Gerichtsbeschluss beantragen. Das Paar lebt mit deutsch-syrischen Doppelpässen in Deutschland. Er trennt sich mit der islamischen Scheidungsformel vor einem geistlichen Gericht in Syrien; sie nimmt 20.000 Dollar Abfindung und erklärt die Ehe schriftlich für aufgelöst.

Die Frau wurde nicht verstoßen, sie war einverstanden

Bisher galt in Deutschland, dass eine solche Scheidung anerkannt werden konnte. Das ausländische Eherecht wird akzeptiert, wenn es mit dem „ordre public“ vereinbar ist, den grundlegenden inländischen Wertvorstellungen. Die Frau wurde nicht verstoßen. Sie erklärte ihre Zustimmung und nahm eine Abfindung an, war am Verfahren also beteiligt.

Würde der EuGH das Votum seines Generalanwalts übernehmen, dürfte die Frau das Geld behalten und wäre zunächst weiter nach deutschem Recht verheiratet. Dieses Ergebnis wäre weder gerecht noch ein Sieg im Kampf gegen Diskriminierung. Schließlich wird es auch viele Fälle geben, in denen Frauen mit einer schnellen „Privatscheidung“ einverstanden sind. Ihnen würde mit einem entsprechenden Urteil des EuGH ein Scheidungsverfahren aufgebürdet, das Zeit und Geld kostet. Statt auf den Einzelfall zu achten, wie es bisher möglich war, soll Europas Recht Scharia-Scheidungen künftig unterschiedslos ignorieren.

Es ist zweifelhaft, darin einen Fortschritt zu erkennen. Viele Frauen können etwas verlieren, während der Gewinn wohl vor allem darin läge, dass sich Europas Recht symbolisch stärker vom islamischen Recht abgrenzt. Doch ist das wirklich ein Gewinn? Die Stärke des europäischen Rechts ist es doch, dass es integriert, statt zu spalten. Dass es Respekt vor anderen Kulturen zeigt, Interessen ausgleicht und den Einzelfall achtet. Europa vertritt seine Werte, nach innen, nach außen – aber setzt sie nicht absolut.

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