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Die Zeugin, zugleich das mutmaßliche Opfer, auf dem Weg zur Berufungsverhandlung vor dem Landgericht. Ihre Aussage half nichts. Der Angeklagte wurde freigesprochen.

© Andreas Gebert/dpa

Religion und Recht: Wie Bayerns Justiz eine Muslima enthüllt

Richter können muslimische Frauen zwingen, ihren Schleier bei Zeugenauftritten abzunehmen. Aber sie müssen es nicht, wie ein Fall in München zeigt

In München hat eine Muslima als Zeugin in einem Strafprozess ihren Niqab gelüftet, ihren Gesichtsschleier. Eine Nachricht, die offenkundig viele bewegt. Denn in der Vorinstanz hatte sich der Richter geweigert, die Frau dazu zu zwingen. AfD-Deutschland stöhnte auf. Islamisierung der Justiz und so weiter.

In der Berufungsverhandlung am Donnerstag gab es immer noch keinen Zwang. Das Gericht hatte eigens einen saudischen Rechtsgelehrten mit einem Gutachten beauftragt. Ergebnis: Sogar streng gläubigen Muslimas sei es erlaubt, Niqab oder Burka vor Gericht abzulegen und Gesicht zu zeigen. So tat die Frau es freiwillig. Nie ist der Rechtsstaat besser, als wenn er sein Recht ohne Zwangsmittel durchsetzen kann.

Zur Beruhigung aufgewühlter Seelen lässt sich Folgendes ohne Gutachten Rechtsgelehrter sagen: Zwang kann in diesen Fragen zulässig sein. Strafrichter sollen die Wahrheit erforschen. Sie würdigen Beweismittel, wozu auch Zeugenaussagen gehören. Kein Richter muss es dulden, wenn sich sein zu würdigender Beweis unter einem Haufen Stoff versteckt. Darüber hinaus gibt es noch das, was im Gesetz Sitzungspolizei heißt. Richter dürfen eine Menge, um Prozesse ordentlich führen zu können.

Aber Gerichte sind erstens nicht verpflichtet, Muslimas zu entschleiern. Und zweitens haben ihre Befugnisse Grenzen. Als vor ein paar Jahren ein Berliner Jugendrichter auf die Flitzpiepenidee kam, eine Zuschauerin wegen ihres Kopftuchs aus dem Saal zu schmeißen, schritt das Bundesverfassungsgericht ein. Es mag der neuen Intoleranz schwer zu vermitteln sein, doch teils oder ganz verhüllte Gläubige können andere Rechte ins Feld führen als jemand, der sich im Saal herumlümmelt und sein Basecap ins Gesicht zieht.

Das Abendland hat sich gegenüber dem Schleier als widerstandsfähig erwiesen. Keine Sorge also. Zu erinnern ist daran, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2014 sogar das französische Verbot gebilligt hat, sich verhüllt auf öffentlichen Plätzen zu zeigen. Die Gesichtserkennung, lautete das streitbare Urteil, könne zur Grundbedingung des Zusammenlebens gehören. Nicht nur vor Gericht.

Natürlich ist der Schleier ein Thema. Vor allem für die, die ihn tragen. Die Münchner Muslima übrigens stand als mutmaßlich Geschädigte vor Gericht. Sie hatte angegeben, der Angeklagte habe sie wegen ihrer Verschleierung beleidigt: „Du gehörst hier nicht her.“ Schimpfworte sollen gefallen sein. Die Tat konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Herabgewürdigt fühlen darf sich die Frau dennoch.

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