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Minarett

© dpa

Reportage: Turmbau zu Gott

Wenn eine Religion sichtbar wird: Minarette und Moscheen werden im Westen oft als Bedrohung wahrgenommen. Nicht nur in der Schweiz – auch in Berlin.

Von
  • Sabine Beikler
  • Frank Jansen

Die Sonne könnte noch so schräg stehen über Berlin, die Türme der Sehitlik-Moschee würden keinen Schatten werfen, der die nächsten Häuser erreicht. Zwischen den Pisten des stillgelegten Flughafens Tempelhof, dem Park Hasenheide und dem Freibad des Bezirks Neukölln recken sie sich von keiner Konkurrenz behelligt gen Himmel, zwei Mal 37 Meter.

Einzeln oder zu zweit kommen am Tag, nachdem sich die Schweiz per Volksabstimmung für ein Minarettverbot ausgesprochen hat, Gläubige hin zu den Gebetsräumen, ein paar Menschen haben sich vor der Teestube versammelt. Von dem Volksentscheid wissen fast alle.

Einer sagt, er sei traurig darüber, glaube aber nicht, dass das auch in Berlin passieren könnte. Ein anderer sagt, der Islam habe offenbar ein schlechtes Image, der nächste sucht in der Schweizer Angst vor allem Fremden den Grund für das deutliche Votum gegen die Minarette.

206 Moscheen mit Minarett gibt es in Deutschland, laut Islam-Archiv heißen die „klassische Moscheen“. Die nicht-klassischen, das sind die Gebetsräume, die oft in Hinterhöfen eingerichtet wurden, von denen gibt es 2600 in Deutschland, 78 in Berlin. Aber die gefielen auf Dauer weder den Muslimen, die ihren Glauben dort nicht recht gewürdigt sahen, noch der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft, die dort Geheimniskrämerisches wähnte – oder auch Brandgefährliches.

Daran hat sich in den Jahren nicht viel geändert. Das beklagt auch der Vorsitzende der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Neukölln, Yavuz Akgül. „Mittlerweile passiert doch so viel, um die Kommunikation zwischen den Kulturen und Religionen voranzubringen und Ängste abzubauen“, sagt er und hat nicht mit einem solchen Ausgang des Schweizer Entscheids gerechnet. Auch er kann sich ein solches Ergebnis in Berlin nicht vorstellen. Und muss doch zugeben, dass es Proteste gegeben hat, als im Bezirk Pankow die Ahmadiyya-Gemeinde ihr Gotteshaus errichtete.

Der Mann, der damals an vorderster Front kämpfte, war denn am Montag auch voll des Lobes für die Schweizer. René Stadtkewitz wollte seit Jahren als Aktivist einer Bürgerinitiative den Bau der Ahmadiyya- Moschee in Pankow verhindern. Seine Familie und er, der auch im Bundesvorstand der 800 Mitglieder starken islamkritischen Organisation „Pax Europa“ arbeitet, wurden deshalb mehrfach anonym bedroht. Vielleicht kommt daher auch die Kompromisslosigkeit, mit der der 44-Jährige seine Positionen vertritt. Minarette, das sind für Stadtkewitz die Symbole für den „Machtanspruch des Islam“. Er könne die Ängste der Bürger hierzulande nachvollziehen. „Durch die Zuwanderung aus den islamischen Ländern wird der Islam irgendwann die stärkste Religion in Europa sein“, ist er sich sicher.

Vor seiner Moschee in Neukölln versucht Akgül die Gegenargumentation: „Moscheen ohne Minarette zu bauen und in Hinterhöfe zu verbannen trägt auch nicht zur Integration bei“, sagt er. Man müsse den Menschen den Kontakt mit den verschiedenen Religionen ermöglichen und „zeigen, dass der Islam nichts Schlimmes ist“.

Aber das ist eben schwer zu vermitteln. Der Islam ist eine Religion mit Imageproblemen. Auch der Tag der Offenen Moschee, eingeführt 1997, hat nicht viel geändert. Immer ist es an diesen Tagen voll, immer staunen die Besucher über die prächtigen Gebäude oder die schäbigen, je nachdem, wo sie gerade sind, immer äußern sie sich leicht beschämt über ihre eigene Ahnunglosigkeit von der Religion der anderen, preisen deren Gastfreundschaft, und immer fragen sie am Ende zaghaft nach Zwangsehen und Selbstmordattentätern.

Weil man ja wohl fragen dürfen wird, und man hat so viel gehört, gelesen, gesehen auch in der eigenen Stadt. Frauen, die hinter ihren Männern herlaufen. Den Ehrenmord an Hatun Sürücü.

Auch der Preußenkönig Friedrich II. verband sein Bekenntnis zur Religionsfreiheit mit einem „Wenn“. Das war 1740, also 260 Jahre bevor islamistische Terroristen ihre Flugzeuge in die World-Trade-Center-Türme lenkten und der westlichen Welt im Namen Allahs den Krieg erklärten.

„Alle Religionen sind gleich und gut“, sagte Friedrich II. laut den Akten des Geheimen Staatsarchives auf die Anfrage eines Katholiken hin, ob er in einer evangelischen Stadt das Bürgerrecht erwerben dürfe. „Wenn nur die Leute, die sich bekennen, ehrliche Leute sind, auch wenn es Türken und Heiden sind, die kämen und das Land besiedeln wollten, so bauen wir ihnen Moscheen und Kirchen.“

Wenn sie ehrlich sind.

Ausgerechnet in einem evangelischen Kloster wurde vorvergangene Woche die Angst vor gewalttätigen Islamisten greifbar. Gotische Bögen zieren die Decke des Luthersaals, das Gemäuer ist aufwändig restauriert und atmet reformatorische Geschichte. Im Augustinerkloster in Erfurt hat Luther von 1505 bis 1511 als Mönch gelebt, die Stadt ist darauf stolz. Eine Verbindung zum Islam, gar zum militanten Fundamentalismus, ist nicht zu erkennen. Und doch, der Verfassungsschutz des Landes hält die Bedrohung Deutschlands durch den islamistischen Terrorismus für groß genug, um Experten einzuladen, die aus dem Innenleben der Szene berichten können.

Dass nun Mitte November ein Kloster die Kulisse abgibt, ist Zufall, kein Indiz für Kreuzzugsmentalität. Die unauffälligen Nachrichtendienstler mit ihren Power-Point-Präsentationen passen auch nicht so recht in den Luthersaal.

Hans-Georg Engelke, Abteilungsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz, berichtet in nüchternem Ton über alarmierende Zustände. Mit Worten wie „gefährliche Trigger-Events“ und „Zunahme von Homegrown-Netzwerken“. Am Pult unter einem gotischen Bogen schildert er, was die Szene aus Islamisten und den zur Radikalisierung neigenden jungen Muslimen aufwühlt. Hinweise finden sie vor allem in Internetforen.

Die Ermordung der Ägypterin Marwa al Sherbini in einem Gerichtssaal in Dresden zum Beispiel. Die vom deutschen Oberst Klein angeforderte Bombardierung zweier Tanklaster nahe Kundus. Und immer noch und weiterhin heftig: die Mohammed-Karikaturen einer dänischen Zeitung, die auch deutsche Blätter nachgedruckt hatten.

Das war so ein „Trigger-Event“, wie Engelke es nennt, ein Auslöser für ein Beinahe-Inferno. Es regte zwei in Deutschland studierende Libanesen derart auf, dass sie Bomben bauten, in Trolleys packten, damit am 31. Juli 2006 im Kölner Hauptbahnhof zwei Züge bestiegen und die Koffer dort deponierten. Nur, weil die Zündung nicht funktionierte, entging Deutschland der Katastrophe.

Da lauscht das Publikum schweigend. Nachrichtendienstler, Islamwissenschaftler und Politiker blicken auf Engelke. Hat man alles viel zu naiv betrachtet? Ist in Deutschland bis heute nicht hinreichend klar, dass auch der Fall al Sherbini noch eine wechselseitige Eskalation der Angst bewirken könnte?

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland zeigte sich nach dem Bauverbot für Minarette in der Schweiz schockiert. Angstkampagnen und Ausgrenzung von Muslimen könnten schleichend in ganz Europa Eingang finden. Das Ergebnis der Volksabstimmung sei ein Verstoß gegen die universellen Menschenrechte.

In Berlin suchen Politiker am Montag nach Worten und Formulierungen, die noch nicht tausendmal gesagt und benutzt worden sind.

Dass die Ängste und die Verunsicherung der Menschen natürlich da seien, sagt etwa der Berliner CDU-Landes- und Parteichef Frank Henkel. Er führt dies auf „unterschiedlichste Ursachen“ zurück. Und es ist in seinen Augen Aufgabe der Politik, damit umzugehen. Beim Moscheebau zum Beispiel müssten die Anwohner frühzeitig mit einbezogen werden. Und es sei auch die Pflicht muslimischer Gruppen, aktiver das Zusammenleben mit Christen zu fördern. „Wir brauchen eine Allianz von rechtschaffenen Migranten, die sich hier integrieren wollen, und der Mehrheitsgesellschaft“, sagt Henkel. Er hat durchaus seine Vorstellung von einer Integrationspolitik mit klaren Leitlinien, aber er betont, dass der Islam als Religion nicht mit dem radikalen Islamismus gleichgesetzt werden dürfe. Aber wie weiß man, wo man unterscheiden soll?

Die Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration in der Berliner SPD sieht die Beseitigung von Ängsten in der Bevölkerung nur im Dialog, den die „modernen Islamorientierten“ vorbereiten sollten. Ülker Radziwill sagt offen, dass sie den Austausch der Religionen als „nicht optimal“ ansieht. Das sei auch das Manko der früheren Integrationspolitik. Der Bau von Minaretten sei in keiner Weise abzulehnen. Denn die Menschen müssten ihren Glauben auch an „Orten des Glaubens“ leben können. Allerdings sollten sich die Architekten durchaus auch Gedanken über die Gestaltung von Moscheetürmen machen.

„Muss es immer ein klassisches Minarett sein? Es kann doch auch ein filigranes, transparentes Minarett sein.“ Ob ein Minarett, das nicht furchteinflößend ist, die Lösung darstellt?

Wo sie denn furchteinflößend seien, fragen dann die Männer vor der Sehitlik-Moschee. Gerade entsteht auf dem Moscheegelände ein Kultur- und Integrationszentrum, welcher Dom bietet das?

Um zwölf Uhr mittags ist der Hof der Moschee leer: Zum Mittagsgebet haben sich rund 120 Muslime in den Räumen eingefunden. Innen liegt dicker grüner Teppich aus, durch die bunten Glasfenster scheint Licht. Das Gebet des Muezzins wird per Lautsprecher in den Hof übertragen – so leise, dass es außerhalb des Geländes kaum zu hören ist.

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