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Politik: Respekt vor dem Parlament

Von Christoph von Marschall

Was für eine Revolte! Europas Parlament beugt sich nicht. Es hat den Kampf gewagt. Und gewonnen. Was sich gestern in Straßburg ereignete, wird die Machtverhältnisse in der EU verschieben – doch anders, als es der erste Blick nahe legt. Europa stürzt in keine Krise. Die ungewöhnliche Lage ist in den Verträgen zwar weder vorgesehen noch geregelt. Aber die amtierende Kommission kann die Geschäfte ein paar Wochen weiterführen. Auch ist Kommissionspräsident José Manuel Barroso nicht der Verlierer. Er musste zwar seine Mannschaft zurückziehen; sonst hätte das Parlament sie abgelehnt. Doch diese gerade noch abgewendete Niederlage stärkt Barroso bei den Gesprächen über die Umbildung der Kommission.

Die wahren Verlierer sind die nationalen Regierungen – voran jene, deren Kandidaten die Auslöser des Unmuts waren. Sie können ihr Personal für die Kommission nicht mehr nach Gutdünken auswählen, sondern müssen darauf achten, dass es fachlich und politisch überzeugt. Sonst wird Barroso sagen: Den oder die will ich nicht, da kriege ich Probleme mit dem Parlament. Diese Stärkung des Kommissionspräsidenten war erst in der Verfassung vorgesehen, die am Freitag in Rom unterzeichnet wird und wohl kaum vor 2007 in Kraft tritt. Europa hat nun gute Aussichten, eine bessere Kommission zu bekommen. Was nicht heißt, dass Barrosos Mannschaft außergewöhnlich schlecht war im Vergleich zu früher. Schon vergessen, dass die Kommission Santer 1999 vorzeitig abtreten musste nach den Skandalen um die Kommissare Edith Cresson und Manuel Marin? Es ist wohl eher so, dass die Ansprüche an Europas Spitzenpersonal steigen. „Hast du noch nen Opa, schick ihn nach Europa“ – das ist vorbei.

Keine Krise: Das gilt freilich nur, wenn alle Beteiligten ihre Lehren aus dem Vorgang ziehen. Italien gibt sich störrisch, will an Rocco Buttiglione festhalten. Das wird Silvio Berlusconi nicht lange durchhalten. Er ist aber nicht der Einzige, der in diesem Konflikt überzieht. Viele Buttiglione-Kritiker versuchten den Streit als Glaubenskampf zwischen rechts und links zu inszenieren, rissen Zitate aus dem Zusammenhang, hielten Gericht über Weltanschauungen. Das hätte noch böse enden können. Die nationalen Traditionen in Europa sind so vielschichtig – säkular oder klerikal, sozial oder wirtschaftsliberal, national oder supranational –, dass die EU nur mit einem hohen Maß an Toleranz gegenüber anders Denkenden funktionieren kann. Wer sich auf einem Feld bei der Mehrheit der richtig Denkenden wähnt, kann auf einem anderen zum Opfer solch enger Vorgaben für das politisch Korrekte werden.

Martin Schulz, Chef der sozialistischen Fraktion, hat gerade noch die Kurve gekriegt. Ohne den emotionalen Streit um Buttiglione wäre es wohl nicht gelungen, Europa für das Kräftemessen zwischen Parlament, Kommission und nationalen Regierungen zu interessieren und es auf die grundsätzliche Ebene zu heben. Doch Schulz hat in den letzten Tagen eingelenkt: Es gehe nicht um Buttiglione, sondern um fünf ungeeignete Kandidaten, darunter der Sozialist Kovacs aus Ungarn. Links gegen rechts, das war eine Camouflage des wahren Machtkampfs zwischen Europäischem Parlament und Regierungschefs. Ob Kanzler Schröder, Premier Blair oder Spaniens Zapatero: Sie wollten die Bestätigung der Barroso-Kommission, die Europaparlamentarier ihrer Parteien entzogen sich jedoch dem Druck.

Merkwürdig hört sich auch dieses Argument an, das im Parlament von Liberalen und Linken häufig zu hören war: Es sei „undemokratisch“, dass das Parlament nicht über jeden Kommissar einzeln abstimmt. Das darf auch der deutsche Bundestag bei Ministern nicht. Sitzen womöglich im Europaparlament manche, die die harten Eignungstest für Kommissare ebenso wenig bestehen würden? Ein Grund mehr, nun Augenmaß zu beweisen. Ein Machtzuwachs fürs Parlament und eine überzeugende Kommission – wenn es bei diesem Ergebnis bliebe, bräuchte man sich ein paar Sorgen weniger um Europa machen.

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