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Politik: Rette sich – wer kann

Bagdads Reiche haben vor allem ein Ziel: das Ausland. Aber die meisten Iraker können sich eine Flucht nicht leisten

IRAK – ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN

Der Tag ist schon weit fortgeschritten, aber Fatima trägt immer noch einen Morgenmantel aus hellrosa Samt, der mit goldenen Rosen bestickt ist. Fatima und ihre Kinder sind zu Hause und warten. Sie haben das Allernotwendigste gepackt und gedulden sich, bis der Herr des Hauses entscheidet, dass es endlich an der Zeit ist, sie in Sicherheit zu schicken. Das Notwendigste macht nur einen verschwindenden Teil ihres Besitzes aus, denn die Familie hat alles: einen Palast von 2000 Quadratmetern, fünf Bäder aus italienischem Marmor und fünf Kinder im Schulalter.

Fatima gehört zu den wenigen Einwohnern Bagdads, denen trotz der Sanktionen nie etwas gefehlt hat. „Wenn man Geld hat, bekommt man alles. Auch ausgefallene Medikamente. Die kommen auf dem Landweg aus Jordanien“, erzählt sie, während das Dienstmädchen Kaffee in kleinen orientalischen Tassen serviert. Viele der Reichen in Bagdad haben beschlossen, aus der Hauptstadt zu verschwinden. „Nach Jordanien. Da haben wir Verwandte. Wir haben noch ein paar Tage Zeit, aber der Krieg lässt nicht mehr lange auf sich warten. Bush ist fest entschlossen“, sagt sie resigniert und schaut sich im Wohnzimmer um. Sie wirkt träge. Fatima geht nur selten aus, die meisten Besorgungen erledigt das Personal. Bei der Evakuierung hatte sie nicht mitzureden. „Allah bestimmt, wann unsere Zeit auf Erden abgelaufen ist, und mein Mann hielt es für das Beste, dass wir fahren. Er selbst bleibt hier, um sich um die Geschäfte zu kümmern.“

Fatimas Mann ist Holzhändler. Er hat enorme Summen an den Sanktionen verdient und sich so diesen Palast im Stadtteil Al-Wasiriya bauen können, in dem auch mehrere von Saddams wichtigsten Beamten ihre kleinen Schlösser besitzen. „Das ist der andere Grund, warum es hier nicht sicher ist. Viele von seinen Männern wohnen hier“, verrät Fatima.

Auch Ani und ihr Ehemann Alaw denken an eine Ausreise. Ihm gehört das Lokal, in dem der UN-Chefinspekteur Hans Blix und sein Kollege Mohammed al Baradei während ihrer Besuche in Bagdad mit Vorliebe gegessen haben. Ani hat rotblond gefärbtes Haar, eine Menge Ringe an den Fingern und trägt ein elegantes Kostüm aus rotbraunem Tweed. Ihr Leben besteht aus Vormittagen im Schönheitssalon, Abenden in den privaten Clubs Bagdads und langen Stunden zu Hause. „Für ein Visum für Deutschland muss ich bei einer Bank in Jordanien 100 000 Dollar als Sicherheit hinterlegen“, erklärt Alaw. „Und auch wenn ich das tue, ist nicht garantiert, dass sie wirklich eins bekommen.“

Im Künstlercafé „Sjanbandar“ im Souk Saraj, einem der ältesten Stadtteile Bagdads, berichtet auch Haider Wady von seiner bevorstehenden Abreise. In dem Café versammeln sich Lyriker, Maler, Theaterregisseure und Professoren, rauchen Wasserpfeife oder trinken heißen Zitronensaft mit Gewürzen und Zucker. Haider wird nach Damaskus fahren. In Syrien will er ein Visum für Spanien beantragen. Haider ist einer der jungen und vielversprechenden Bildhauer des Irak und hat bereits mehrmals in Bagdad ausgestellt. Im Gepäck hat er zwanzig Skulpturen.

Im Künstlercafé unterhalten sich die Gäste nur halblaut. Einige von ihnen machen einen schwermütigen Eindruck, andere sind sorgloser. Vor dem Café steht ein kleiner Junge und verkauft Bonbons. Die Leute geben ihm Geld, nehmen seine Bonbons jedoch nicht an. Aber auch wer etwas mehr Geld hat als dieser Junge, dem fehlt in Bagdad in der Regel eines: die Möglichkeit zur Flucht.

Asne Seierstad[Bagdad]

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