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Rettich gegen Softeis: Machtwechsel in Japan möglich

In Japan könnte es erstmals seit 1945 einen nachhaltigen Machtwechsel geben. Das Land versinkt im politischen Chaos. Während die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt eine historische Krise zu bewältigen hat, verzettelt sich die Regierung in Grabenkämpfen um die Macht.

Seit Premier Taro Aso am Montag Neuwahlen für den letzten Augustsonntag festgesetzt hat, gewinnen die Auseinandersetzungen noch einmal an Schärfe. Denn dieses Mal geht es in Nippon ums Ganze – zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg droht der Liberaldemokratischen Partei (LDP) die Abwahl. „Die Liberaldemokraten irren hilflos in den Wahlkampf“, titelt die seriöse Tageszeitung „Yomiuri“.

Die LDP hat jahrzehntelang die Kontrolle über die Regierung als ihr Eigentum angesehen. Jetzt droht eine Verbannung in die Opposition – und das macht viele Akteure in Tokios Regierungsviertel nervös. Angreifer ist die Demokratische Partei Japans (DPJ), die derzeit vor Selbstbewusstsein strotzt. „Die Demokraten haben gute Chancen, diese Wahl zu gewinnen“, sagt Parteienforscher Yasunori Sone von der Keio-Universität. Nach Umfragen könnte ihr sogar eine absolute Mehrheit zufallen.

Die Liberaldemokraten machen es der DPJ aber auch einfach, die Bürger auf ihre Seite zu ziehen. Das Gezänk der Regierenden lässt auch die treuesten Wähler nach und nach das Vertrauen in die Traditionspartei verlieren. Denn die schlimmsten Feinde hat Premier Aso nicht in der Opposition, sondern in den eigenen Reihen. Gerade erst präsentierten seine Gegner eine Liste mit 135 Unterschriften von LDP-Abgeordneten, die angeblich eine Fraktionssitzung zu seiner Absetzung forderten. Darunter fand sich sogar Asos Finanzminister, eigentlich ein politischer Freund. Doch die Leute des Premiers konnten nachweisen, dass viele der Abgeordnete auf der Liste das Vorhaben gar nicht unterstützten. Der Angriff ging ins Leere.

Aber Japans Medien spekulieren munter weiter, ob es in den kommenden Tagen nicht doch „Reibe-Aso“ geben wird – in Anspielung auf ein Gericht mit fein geriebenem Rettich. So wie das Gemüse soll auch der Spitzenmann der LDP zerrieben werden. Parteienforscher Sone hält es jedoch derzeit für wahrscheinlich, dass Aso die kurze Strecke bis zur Wahl noch durchsteht. „Schon die Vermutung, durch einen neuen Kandidaten die eigene Lage zu verbessern, entbehrt jeder Grundlage“, sagt der Professor. Im Gegenteil. Den Liberaldemokraten werde es schwerfallen, dem Volk ihren schnellen Verschleiß an Spitzenleuten zu erklären. In den vergangenen vier Jahren haben vier Premierminister das Land regiert. Dazu komme, dass Aso keinesfalls freiwillig zurücktreten werde.

Doch selbst wenn Aso sich über die verbleibenden sechs Wochen bis zur Wahl retten kann – seine Chancen auf einen Sieg schwinden mit jedem Tag. Die opponierende Demokratische Partei hat vergangene Woche eine Wahl in der Präfektur Tokio hoch gewonnen. Die Hauptstadt mit ihren zwölf Millionen Einwohnern setzt in Japan den Trend. Oppositionsführer Yukio Hatoyama tritt daher jetzt schon siegesgewiss auf.

Einst haben seine Gegner Hatoyama als „das Softeis“ verspottet, weil er nie klar Stellung bezog. Doch der 62-Jährige hat einiges gelernt und zieht einen harten Wahlkampf durch. Er greift Aso genau da an, wo es weh tut. Die staatliche Rentenversicherung etwa musste kürzlich zugeben, einige Millionen Datensätze über Einzahlungen und Guthaben verschlampt zu haben: Munition für Hatoyama, der ein „Aufräumen in der Renten-Rumpelkammer“ verspricht. Zudem stellt er mehr Arbeitsplätze und soziale Wohltaten bei einem Abbau der Staatsschulden in Aussicht.

Im Duell Aso gegen Hatoyama zeigt sich noch eine Besonderheit der japanischen Politik: Die Großväter beider Kandidaten standen sich in den 50er-Jahren bereits als Gegner im Parlament gegenüber. Denn in Japan dominieren Politiker-Dynastien, zum Teil seit dem 19. Jahrhundert. Ein Bruder Hatoyamas diente bis vor kurzem als Minister in Asos Kabinett. Auch der Oppositionsführer selbst war früher Mitglied in der LDP.

Parteienexperte Sone hofft, dass mit einem Sieg der Demokraten endlich eine echte Parteienkonkurrenz beginnen wird. Vorausgesetzt, die DPJ vergeigt den Machtwechsel nicht wieder. Eine Vorgängerpartei war 1993 bereits an die Macht gekommen – musste sie aber nach einem Koalitionskrach schon nach neun Monaten wieder an die LDP zurückgeben. Einen durchgreifenden Wandel in der Politik erwartet in Japan jedoch kaum einer, selbst wenn die DPJ eine stabile Regierung aufbaut. „Während der Debatte um die Konjunkturprogramme konnten wir nur geringe Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien ausmachen“, sagt Takahide Kiuchi, Chefökonom des Wertpapierhauses Nomura. Auch „außenpolitisch werden wir da weitermachen, wo wir von der LDP übernehmen“, sagte kürzlich ein hoher DPJ-Mann vor Reportern.

Finn Mayer-Kuckuk[Tokio]

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