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Rettungsschirm-Abstimmung: Merkels Angst vor den Abweichlern

Die Bundestagsabstimmung über den EFSF-Rettungsschirm an diesem Donnerstag ist vielleicht die wichtigste Entscheidung der schwarz-gelben Koalition. Wie werden die Abgeordneten votieren?

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Die Bundestagsabstimmung über den erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF an diesem Donnerstag ist vielleicht die wichtigste Entscheidung der schwarz-gelben Koalition. Und zwar europa- genauso wie innenpolitisch. Für die 17 Mitgliedsländer der Euro-Zone ist die rasche Ertüchtigung des Rettungsschirms notwendig, um hoch verschuldete Länder finanziell unterstützen, aber auch „gesunde“ Länder vor den Folgen einer Staatsinsolvenz schützen zu können. Ohne eine Zustimmung des deutschen Parlamentes stünde die Zukunft des Euro infrage. Für die schwarz-gelbe Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geht es aber auch um ein weiteres Signal: An der Zahl der Abgeordneten von Union und FDP, die am Donnerstag gegen den EFSF stimmen oder sich enthalten werden, kann der Rückhalt gemessen werden, den Merkel und ihre Regierung in den eigenen Reihen noch haben.

Braucht Merkel eine Kanzlermehrheit?

Rein rechtlich ist das Gesetz zur Ertüchtigung des Rettungsschirms, über das am Donnerstag abgestimmt wird, ein einfaches Gesetz. Dafür reicht die einfache Mehrheit der Anwesenden. Diese Mehrheit ist allein schon deshalb absehbar, weil SPD und Grüne angekündigt haben, dass sie dem Gesetz zustimmen werden. Die Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit einer Regierung bemisst sich jedoch daran, wie stark ihr Rückhalt in der eigenen Koalition in solch zentralen Entscheidungen ist. Eine eigene einfache Mehrheit ist politisch das Minimum, eine Kanzlermehrheit – bei der die Mehrheit aller Bundestagsabgeordneten im Sinne der Kanzlerin stimmt – wäre ein starkes Signal. Rechnerisch benötigt Schwarz-Gelb für dieses Signal 311 ihrer 330 Stimmen, genau eine Stimme mehr als die Hälfte der 620 Sitze im Bundestag. Es dürfen also nicht mehr als 19 Abgeordnete gegen das Gesetz stimmen oder sich enthalten.

Wie groß ist die Zahl der Abweichler?

Als das Gesetz Anfang September in den Bundestag eingebracht wurde, haben Union und FDP zur Probe abgestimmt. Das Ergebnis damals: 12 Gegenstimmen der Union und sieben Enthaltungen, zwei Gegenstimmen bei der FDP und vier Enthaltungen. Am Donnerstag ergab der neuerliche Zählappell bei der Union ein etwas günstigeres Ergebnis: elf Nein-Stimmen, nur noch zwei Enthaltungen. Allerdings war von den bekannten Kritikern mindestens Wolfgang Bosbach nicht zu der Sitzung gekommen. Bei der FDP wurde nicht noch einmal abgestimmt. Dort galt als ausgemacht, dass zwei Abgeordnete sich nicht vom Nein abbringen lassen werden.

Bleibt es bei diesen Zahlen, könnte die Koalition die Kanzlermehrheit gerade noch erreichen, zumal selbst ein Nein-Stimmer wie Peter Gauweiler damit rechnete, dass mancher, der in der Fraktion noch einmal Protest zu Protokoll gegeben hat, im Ernstfall mit der Mehrheit stimmt. Nach den Fraktionsregeln müssen sich Abweichler bis Mittwochabend bei ihren Fraktionsführungen melden.

Wie die Abweichler argumentieren und inwieweit Berichte über eine Ausweitung des Rettungsschirms die Mehrheit der Koalition gefährden, lesen auf der folgenden Seite.

Wie argumentieren die Abweichler?

Natürlich legt jeder Abgeordnete in der Begründung für sein Nein oder seine Enthaltung den Schwerpunkt ein wenig anders. Dennoch treffen sich die Argumente an zwei Stellen: Zum einen richtet sich die Kritik gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden aller Euro-Länder. Und zum anderen spielt die Befürchtung, dass Griechenland trotz immer neuer Milliardenhilfen nicht auf die Beine kommt, eine große Rolle. Zwar steht eine weitere Unterstützung der Griechen an diesem Donnerstag nicht zur Abstimmung an. Für die Kritiker des EFSF jedoch ist der Rettungsschirm so etwas wie die Öffnung eines Tores, durch das später den Schuldenländern immer mehr Geld zur Verfügung gestellt werden wird, für das Deutschland haften muss.

„Man kann Schulden nicht mit noch mehr Schulden bekämpfen“, ist ein Satz, der von den meisten Abweichlern zu hören ist. Sie fürchten die Umwandlung der Euro-Zone in eine gigantische Schuldenhaftungsunion – und damit das Gegenteil dessen, was den Deutschen bei der Einführung des Euro versprochen wurde. Nämlich: einen harten Euro, der nach den Spielregeln der D-Mark funktioniert. Zum einen durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt mit den „Maastricht-Kriterien“, der dafür sorgen sollte, dass kein Land übermäßige Schulden aufhäufen kann. Und zum anderen das „Bail-out-Verbot“, also das ausdrückliche Verbot, für die Schulden eines anderen Staates aufzukommen. In der Ausweitung des Rettungsschirms EFSF auf insgesamt 750 Milliarden Euro und der Erweiterung seiner Befugnisse – insbesondere in der Möglichkeit, Staatsanleihen von Schuldenländern aufzukaufen – sehen die Abweichler nun die Gefahr, dass der EFSF, eine luxemburgische Zweckgemeinschaft, immer mehr Risiken für die deutschen Steuerzahler aufhäuft. Dem Argument, dass der Bundestag einem solchen Weg in Zukunft immer zustimmen muss und damit ein wirksames Kontrollinstrument in der Hand hält, trauen die Abweichler nicht. Sie fürchten, dass der Bundestag so unter Druck gesetzt werden wird, dass er keinen Ausweg haben wird, einer Schuldenunion aus dem Weg zu gehen.

Viele der Abweichler setzen dagegen auf eine Verschärfung des Stabilitätspaktes und automatische Sanktionen für Schuldensünder. Außerdem fordern sie die Ausarbeitung eines Insolvenzverfahrens für Staaten und die Möglichkeiten, einzelne Länder bei Verstößen aus dem Euro-Raum ausschließen zu können. Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone wäre ihrer Ansicht nach nicht der Untergang der Gemeinschaftswährung. Vielmehr glauben sie, dass ein solcher Schritt den immensen Druck aus dem System nehmen und somit zu seiner Stabilisierung beitragen würde.

Gefährden Berichte über eine Ausweitung des Rettungsschirms EFSF die Mehrheit der Koalition?

Die Jahrestagung des Weltwährungsfonds (IWF) hat wenige Tage vor der heiklen Abstimmung viele Abgeordnete noch einmal aufgeschreckt. Denn dort ist darüber diskutiert worden, den Rettungsschirm durch finanztechnische Kniffe effektiver zu machen. Wie diese „Hebelwirkung“ funktionieren soll, haben die Wenigsten verstanden; über den Atlantik schwappte nur der Eindruck herüber, dass – womöglich mit Wissen und Billigung des Bundesfinanzministers – der EFSF immer weiter aufgestockt werden könnte. Wolfgang Schäuble sah sich genötigt zu erklären, dass es bei der Obergrenze von 440 Milliarden Euro bleibe.

Die Kanzlerin suchte in der Unionsfraktion der Unruhe mit einem weiteren Argument die Spitze zu nehmen, ohne sich international ihre Handlungsmöglichkeiten zu verbauen: Sie könne angesichts der Unsicherheiten in der Lage nichts von vornherein ausschließen. Doch stelle die neue, strenge Parlamentsbeteiligung sicher, dass nichts über den Kopf des Bundestags hinweg passieren könne. Mit anderen Worten: Wer Schlimmeres verhindern wolle, müsse gerade für das Gesetzespaket stimmen. Überzeugt hat das nicht jeden: Mehrere Abgeordnete in der Union begründeten ihr Nein in der Probeabstimmung mit den neuen Ungewissheiten über den Umfang des EFSF.

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